Chatprotokoll "Geschäftsmodelle für E-Learning" mit Prof. Dr. Rolf Granow

Am 25.4. fand ein Expertenchat zum Thema "Geschäftsmodellentwicklung für E-Learning" statt. Zu Gast war Prof. Dr.-Ing. Rolf Granow, Geschäftsführer der oncampus GmbH und E-Learning-Beauftragter FH Lübeck.

Die besprochenen Themen im Schnellzugriff:

Moderator: Hallo und herzlich willkommen zum e-teaching.org-Expertenchat. Heute ist Rolf Granow unser Gast. Er ist Professor an der Fachhochschule Lübeck und Geschäftsführer der oncampus GmbH. Herr Granow, können wir beginnen.

Rolf Granow: Wir können gerne beginnen.

Informationen zur oncampus GmbH und ihren Angeboten

Moderator:
Können Sie beschreiben, was die oncampus GmbH ist und wie Studierende dort lernen.

Rolf Granow:
Die oncampus GmbH ist zunächst einmal eine E-Learning-Tocher der Fachhochschule Lübeck und bietet E-Learning-Dienstleistungen für Hochschulen und andere Anbieter an. Zusammen mit deutschen und internationalen Hochschulen haben wir seit 2002 vollständige Online-Studiengänge und Online-Weiterbildungen im Angebot.

m.manz:
Welche Hochschulen sind beteiligt?

Rolf Granow:
In unserem deutschen Hochschulverbund haben sich überwiegend im Norden der Republik befindliche Standorte zusammengefunden: In der virtuellen Fachhochschule sind dies Lübeck, Berlin, Brandenburg, Stralsund, Braunschweig/Wolfenbüttel, Bremerhaven, Emden und Wilhelmshaven. Darüber hinaus haben wir Onlineangebote mit den Fachhochschulen in Kiel und Flensburg. Wir beabsichtigen, zum Ende diesen Jahres mit Einbeziehung der FH Frankfurt auch einen Standort weiter im Süden zu haben. Im internationalen Bereich kooperieren wir mit Hochschulen im gesamten Ostseebereich: Im Baltic Sea Virtual Campus (BSVC) sind Hochschulen aus Deutschland, Schweden, Finnland, Polen, Litauen, Lettland und Russland Mitglied.

alfred:
Wie viele Personen sind an Ihrem Unterfangen eigentlich beteiligt? Wie viele managen das hauptamtlich?

Rolf Granow:
Bei oncampus sind gut 30 Personen am Standort Lübeck hauptamtlich tätig. Wir haben in den letzten 10 Jahren hier Modulentwicklungen mit etwa 200 ProfessorInnen/AutorInnen durchgeführt, die ihr inhaltliches Wissen in der Regel nebenamtlich in die Module haben einfließen lassen. Darüber hinaus ist eine große Anzahl von MentorInnen hauptamtlich in die Durchführung der Kurse eingebunden.

Uwe:
Nach welchen Kriterien wird bei oncampus ausgewählt, welche Kurse/Studiengänge angeboten werden?

Rolf Granow: Das Angebot der Studiengänge vereinbaren wir mit den beteiligten Hochschulen, die diese bei sich einführen. Dabei schauen wir sowohl nach der Nachfrage, die diese Studienangebote haben, wie auch nach den Ressourcen der Hochschulen, um solche Angebote realisieren zu können. Als wir 1998 begonnen haben, muss ich zugeben, haben wir eigentlich hauptsächlich danach geguckt, was wir anbieten können. Inzwischen haben wir gelernt, auch danach zu schauen, wo hinreichende Nachfrage vorhanden ist.

Uwe: Neuerdings bieten Sie nicht nur Studiengänge, sondern auch einzelne kompakte Kurse, z.B. zu Softskills, an. Unter welchen Gesichtspunkten wird hier bei oncampus die Angebotspalette zusammengestellt?

Rolf Granow:
Nachdem wir Studiengänge erfolgreich eingeführt haben, beschäftigen wir uns seit 2005 auch mit dem Thema modulare Online-Weiterbildung. Hier haben wir zunächst Module aus den Studiengängen für die Weiterbildung angeboten. Parallel dazu haben wir dann aber die Nachfrage nach Weiterbildung untersucht und uns auf Grundlage dieser Ergebnisse entschieden, Weiterbildungsmodule zum Thema Softskills, d.h. Vermittlung von Schlüsselkompetenzen, zu entwickeln.

kinscher:
Wie ist der Preisunterschied zwischen einem regulären und einem Online-Studium?

Rolf Granow:
Onlinestudiengänge sind Studiengänge wie andere auch. Es gelten hier die gleichen Gebührengrundsätze. Die deutschen Studiengänge sind Regelangebote ohne Studiengebühren, jedoch werden für die Nutzung der multimedialen Materialien und der Online-Lernumgebung Medienbezugsgebühren erhoben. Diese betragen derzeit 65 Euro für ein Modul mit 5 cps ECTS. Das sind Kreditpunkte nach dem europäischen System, 5 cps entsprechen einem Monatsworkload. Noch konkreter: Wenn jemand Vollzeit bei uns studiert, belegt er oder sie 6 Module im Semester und entrichtet damit die 6 mal 65 Euro. Wir haben aber - wie schon gesagt - überwiegend Teilzeitstudierende. Diese belegen weniger und bezahlen entsprechen weniger im Semester. Detaillierte Aussagen dazu finden sie unter oncampus.de.

Jeschke:
Haben Sie mit Ihren Online-Studiengängen tatsächlich eine andere Zielgruppe von Studierenden erreicht? Wenn ja, welche?

Rolf Granow:
Das haben wir definitiv. Wir sprechen solche Studierende an, die berufsbegleitend bzw. von zu Hause aus studieren wollen. Diese Gruppe macht bei unseren Online-Studierenden mehr als 75 Prozent aus. Wir konnten feststellen, dass sich die Nachfrage nach unseren Präsenzstudiengängen durch die Onlinestudiengänge nicht verändert hat. Durch die Onlinestudiengänge haben wir jetzt mehr Studierende der neuen Zielgruppen, als wir vorher hatten.

Derrick:
Fallen bei E-Learning-Projekten nicht auch Kosten für die Weiterbildung von DozentInnen an? Wie kann man diese gegenfinanzieren?
Rolf Granow:
Die fallen bei E-Learning Projekten natürlich an und wir haben sie bei unseren Projektbudgets berücksichtigt und aus den Projekten heraus finanziert. Bei den dauerhaft implementierten Angeboten wird die Schulung der DozentInnen aus den laufenden Einnahmen heraus geleistet.

Aufbau und Struktur der Kurse (u.a. Einsatz von Medien)

Jeschke:
Wie ist ein typisches Blended-Learning Szenario bei Ihnen gestaltet, wie hoch ist der Präsenzanteil, welche E-Learning-Tools verwenden Sie?

Rolf Granow:
Ein typischer Onlinekurs kombiniert bei uns etwa 20 Prozent Workload als Präsenz an der Hochschule mit 80 Prozent Workload Lernen im Netz. Das Lernen im Netz umfasst das selbstgesteuerte Lernen unter Nutzung multimedialer Selbststudienmaterialien, die mentorielle Betreuung der Studierenden im Netz wie auch die Gruppenarbeit der Studierenden untereinander im Netz. Wir haben die Module hierzu in eine einheitliche Lernumgebung, ein Learning-Management-System integriert. Hier nutzen wir seit Herbst letzten Jahres übergreifend Moodle. Wir sind zur Zeit dabei, leistungsfähige Videokonferenz -Lösungen hier hinein zu integrieren.

RH: In welchem Ausmaß nutzen Sie Medien wie Audio und Video?

Rolf Granow: Wir benutzen Audio und Video innerhalb unserer Module für Erläuterungszwecke. Sie machen hier aber nur einen geringen Teil des Materials aus, weil längere Audios/Videos für das sich selbst Aneignen des Stoffes aus meiner Sicht nur wenig geeignet sind. Wir nutzen in keinem Fall auf Video aufgezeichnete Vorlesungen. Im Rahmen der Onlinebetreuung haben wir mit der Nutzung von Audiowerkzeugen als Audiosprechstunde sehr positive Erfahrung gemacht und möchten diese durch Einbeziehung von Audio-/Videokonferenzen in unsere Lernumgebung auch weiterhin konsequent ausbauen.

Jeschke:
Nutzen Sie auch virtuelle Klassenräume? Welche Software benutzen Sie dafür?

Rolf Granow:
Wir benutzen auch virtuelle Klassenräume. Wir sind zur Zeit dabei, das System Adobe Connect zu installieren.

Nutzer:
Auf der oncampus-Seite steht, dass die Kurse unter Microsoft Windows laufen. Was ist mit Mac-oder Linux-Nutzern?

Rolf Granow:
Die sind in der Lage, diese Kurse auch zu nutzen. Wir garantieren nur nicht die Lauffähigkeit.

Michael Gerth:
Mussten Sie Kurse von der ZFU (Zentralstelle für Fernunterricht) zertifizieren lassen? Wenn ja - welche?

Rolf Granow:
Unsere Onlinestudiengänge sind als Regelangebote der Hochschulen nicht von der ZFU zugelassen, da sie nicht auf vertraglicher Basis angeboten werden. Unsere Weiterbildungsangebote werden von der ZFU zugelassen.

RH:
Wie werden bei Ihnen Prüfungen abgehalten?

Rolf Granow:
Sehr konventionell wie bei allen anderen Studiengängen und Weiterbildungsangeboten auch. Die Klausuren werden unter Aufsicht bei uns an den Hochschulen geschrieben, die mündlichen Prüfungen finden ebenfalls vor Ort statt.

Produktion von E-Learning Inhalten

Jenhausen:
Welche Hilfestellung brauchen Autoren, um die Online-Kurse zu erstellen?

carlos:
Welche Vereinbarungen werden mit den AutorInnen (course developers) zwecks Bezahlung getroffen?

Rolf Granow:
Die AutorInnen unserer Module stellen uns ihr inhaltliches Wissen für die Umsetzung zur Verfügung. Dafür schließen wir mit ihnen ganz normale Autorenverträge, die sowohl die Vergütung als auch die Nutzungsrechte an den Ergebnissen transparent regeln. Wenn jetzt neue AutorInnen mit der Modulentwicklung starten, so unterstützen wir sie durch unsere Instructional Designer, die sich für die mediendidaktische Konzeption verantwortlich zeichnen. Diese stellen die Schnittstelle zu den AutorInnen dar und stehen ihnen zur Seite, um ein adäquates Kurskonzept gemeinsam zu entwickeln. Dabei richten wir uns nach den Anforderungen des Faches und haben nicht den Ansatz, hier ein standardisiertes didaktisches Konzept umsetzen zu wollen.

RH:
Sie haben geschrieben, dass sie sich stärker auf die hochwertige Gestaltung der Inhalte konzentrieren. Gibt es Richtwerte, wie lange die Produktion "einer Stunde E-Learning" dauert bzw. was sie kostet?

Rolf Granow:
Es gibt solche Richtwerte, es ist aber kennzeichnend, dass ich die nicht auf eine Stunde E-Learning herunterbrechen kann, weil wir eigentlich Inhalte entwickeln, die aus dem Studienumfeld 150 Lernstunden umfassen, aus dem Weiterbildungsbereich 30-90 Lernstunden. Für ein 150 Stunden-Modul rechnen wir mit einem Gesamterstellungsaufwand einschließlich Autorentätigkeit zwischen 50.000 und 70.000 Euro. Dieser Aufwand hängt wesentlich von der Anzahl der zu erstellenden Medienobjekte ab und ist in technisch orientierten Modulen deshalb in der Regel höher als in betriebswirtschaftlichen.

Betreuung und Support für die Studierenden

Jeschke:
Diejenigen, die berufsbegleitend studieren sind ja häufig schon etwas älter (>35) und haben nicht immer das Know How im Umgang mit neuen Medien. Haben Sie dadurch einen hohen Support-Aufwand und durch wen wird dieser geleistet?

Rolf Granow:
Der Supportaufwand wird durch uns geleistet. In den Onlinestudiengängen liegt der Schwerpunkt der Altersverteilung zwischen 25 und 40 Jahren. Die Onlinestudierenden haben zu unserem Glück in der Regel eine hinreichende Affinität zur Nutzung des Internets, so dass sich der zu leistende Supportaufwand hier in Grenzen hält. In der Weiterbildung ist der Supportaufwand größer, weil hier die Zielgruppen weniger Erfahrung mit Internettools haben.

joker:
Welche Betreuungsformen bieten Sie? Wie wird deren Akzeptanz und Erfolg gemessen?

Rolf Granow: Wir bieten sowohl Onlinebetreuung im Netz an als auch die Betreuung in Präsenzseminaren vor Ort, das heißt, wir haben generell ein Blended Learning Konzept. In der Onlinebetreuung nutzen wir eigentlich alle Arten synchroner und asynchroner Kommunikation. In den Informatik-nahen Fächern können wir dabei eine sehr intensive Nutzung von Synchrontools feststellen. Im Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Themen, teilweise auch der Softskills zeigen sich viele TeilnehmerInnen noch nicht sehr erfahren im Umgang damit, so dass da die asynchrone Kommunikation überwiegt. Asynchrone Kommunikation beginnt mit E-Mails zwischen Betreuern und Lernenden. Es ist aus meiner Sicht ein Kennzeichen gut laufender Kurse, dass hier die Studierenden untereinander intensiv kommunizieren, auch asynchron, und die Kommunikation nicht dominiert wird durch die Dialoge zwischen Lehrperson und Studierenden. Akzeptanz und Erfolg messen wir durch systematische Evaluation der Kurse, ihrer TeilnehmerInnen und der Lehrenden.

Zusammenarbeit und Kooperation im Rahmen der On Campus GmbH

m.manz:
Inwiefern arbeitet die oncampus GmbH mit der FH zusammen? Gibt es Überschneidungen, was den Service betrifft?

Rolf Granow:
Wir erbringen für die FH die E-Learning-Dienstleistung für die Onlinestudierenden. Ja, es gibt Überschneidungen, weil die FH noch ihr eigenes Rechenzentrum für die Präsenzstudierenden hat.

efetzer: Sind die Hochschulen bereit, thematische Synergien im Verbund anzustreben? Oder wird dies durch "Konkurrenzdenken" behindert?

Rolf Granow:
Meine generelle Erfahrung ist, dass Hochschulen bereit sind. Wir hatten selten Probleme in diesem Punkt.

Wichtige Schritte und Erfahrungen bei der Geschäftsmodell-Entwicklung

jutta:
Wenn Sie an die Anfänge der virtuellen Fachhochschule denken, was würden Sie heute anders machen? Was haben Sie bei der E-Learning-Entwicklung gelernt?

Rolf Granow:
Die Frage, was wir anders machen würden, stellt sich für mich so nicht. Ich glaube, es war richtig, wie wir vorgegangen sind. Wir haben allerdings auch sehr viel gelernt. Das äußert sich zum Beispiel darin, wie wir heute ähnliche Projekte angehen, in denen wir ähnliche Studiengänge entwickeln. Wir bleiben bei dem Prinzip der Kooperation mit mehreren Hochschulen und auch bei dem Konzept der nachhaltigen Implementierung der Angebote. Das eigentliche Geschäftsmodell haben wie ebenfalls nicht verändert. Wir haben allerdings sehr stark die Technologie verändert, in der wir Inhalte entwickeln und bereitstellen. Wir haben aufbauend auf unseren Erfahrungen die Prozesse der Kursentwicklung sehr stark standardisiert und professionalisiert. Solche Standards standen uns bei Beginn unserer Entwicklung ja noch nicht zur Verfügung. Wir konzentrieren uns heute wesentlich stärker auf eine hochwertige Gestaltung der Inhalte, als auf die Lösung technischer Aufgabenstellungen bei der Contententwicklung.

floh:
Was waren für Sie rückblickend die wichtigsten Schritte bei der Implementierung eines Geschäftsmodells für die virtuelle Fachhochschule?

Rolf Granow:
Die erste Überlegung bestand darin, dass auch ein Onlinestudiengang an den beteiligten Hochschulen keine höheren laufenden Kosten haben darf, als ein Präsenzstudiengang. Ansonsten wird er wahrscheinlich nicht dauerhaft betrieben. Zum Zweiten muss die dauerhafte Finanzierung eines solchen Angebotes mit den real existierenden Hochschulhaushalten und ihren Verwendungsmöglichkeiten geleistet werden.

m.manz:
Lässt Sich das Konzept der oncampus GmbH auf andere Hochschulen/Regionen übertragen, oder müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen? Wenn ja, welche Rahmenbedingungen müssen vorhanden sein, damit das Konzept aufgeht?

Rolf Granow:
Ich glaube, das Konzept lässt sich eindeutig und einfach übertragen. Es ist interessant für solche Hochschulen und Regionen, die solche zusätzlichen(!) Angebote für Studium und Weiterbildung bei sich implementieren möchten.

joker:
Warum gibt es so wenig erfolgreiche Geschäftsmodelle im Hochschulbereich? Andersrum: Was können andere Hochschulen von Ihnen lernen?

Rolf Granow: Ich muss mir am Anfang Gedanken machen, wer eigentlich auf Dauer das, was ich tun möchte, finanzieren soll, und dafür eine Lösung finden. Das ist eigentlich schon alles. Unsere Lösung habe ich ja vorab schon geschildert. Man muss sich auch von dem Gedanken verabschieden, dass sich im E-Learning dauerhaft durch Aktivitäten einzelner Personen und einzelner Institutionen/Hochschulen Erfolge erzielen lassen. Es ist wichtig, sich hier auf neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Lehrenden einzustellen und sie ernsthaft zu gestalten.

patrick johnscher:
Herr Granow, können Hochschulen Ihrer Meinung nach mit dem Verkauf von Content - also im weitesten Sinne standardisierten E-Learning-Inhalten - Geld verdienen, in dem die Hochschulen bspw. E-Learning-basierte Kurse (das heißt nur den Content, nicht eine Blended-Learning-Maßnahme) an Unternehmen verkaufen?

Rolf Granow: Nein.

Moderator: Warum nicht?

Rolf Granow: Wir hatten diese Hoffnung, noch mehr hatten die Ministerien diese Hoffnung, Ende des letzten Jahrtausends. Wir haben hier dieselben Erfahrungen gemacht wie fast alle anderen auch: Der Content, den wir für das Studium nutzen, verfolgt andere Lernziele als das, was Unternehmen in der Regel für die Weiterbildung benötigen, auch wenn die groben Überschriften häufig ähnlich sind.

Vermarktung von E-Learning-Content contra Open Educational Resources?

susi: Sind E-Learning-Content und Geschäftsmodelle in Zeiten von Open Educational Resources nicht eine Antithese?

Rolf Granow:
Diese Ansätze stellen aus meiner Sicht keine Antithese dar, sondern ergänzen sich und haben bestimmte Einsatzfälle. Innerhalb von Hochschulen macht es sehr wohl Sinn, sich seine Inhalte gegenseitig frei zur Verfügung zu stellen. Wir sind seinerzeit von einer anderen Aufgabenstellung ausgegangen: Hier bieten Hochschulen verbindlich Studieninhalte an, für deren Qualität sie verantwortlich sind. Diese Inhalte werden gemeinsam entwickelt und gemeinsam genutzt. Es ist nötig, dass die Hochschulen sicherstellen, dass diese Inhalte auch jeweils aktuell sind und den Qualitätsstandards entsprechen. Um diese Verantwortung umzusetzen, muss auch jemand verantwortlich gemacht werden, diese Aktualisierung durchzuführen und für die Qualität zu stehen. Eine solche Verantwortung übernehmen Menschen in realen Hochschulen dauerhaft aber nicht, wenn es dafür keine Gegenleistung gibt. Deshalb finanzieren wir diese Tätigkeit aus den schon geschilderten Medienbezugsgebühren.

carla:
Was sagen Sie zu der Argumentation, dass öffentlich geförderte Projekte ihre Ergebnisse auch frei zugänglich der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen sollten?

Rolf Granow: Ich stimme dieser Argumentation zu. Als wir das Projekt "Virtuelle Fachhochschule" in der Umsetzung hatten, haben wir mit dem Mittelgeber diskutiert, was denn mit den Ergebnissen eigentlich geschehen soll: Sollen die Ergebnisse unverbindlich zu beliebiger Nutzung im Netz stehen und eventuell weiter genutzt werden? Oder unterstützt der Fördergeber die Hochschulen dabei, die Verantwortung für eine dauerhafte Aktualisierung und Pflege der Ergebnisse auch in finanzieller Hinsicht zu übernehmen? Die Hochschulen der VFH haben sich verpflichtet, die Projektergebnisse aktiv zu verwerten. Dafür wurde ihnen das Recht zugestanden, den Zugang zu diesen Ergebnissen zu begrenzen. Die Alternative hieß, ich finde heute im Netz irgendwelche Ergebnisse aus 2004 oder aber, wir haben Studiengänge, die jetzt noch aktuell sind.

Vom Geschäftsmodell zu realen Einnahmen

bruni:
Mit E-Learning Geld verdienen - das klingt in meinen Ohren nach Alchemie! Was sind die Grundzutaten für den Erfolg?

Rolf Granow:
Zunächst mal geht es gar nicht so sehr darum, mit E-Learning Geld zu verdienen, sondern es überhaupt dauerhaft betreiben und damit langfristig finanzieren zu können. Ansonsten stimme ich der Alchemie zu. Grundzutaten für einen Erfolg liegen allerdings sicherlich darin, dass das, was wir hier tun, für möglichst viele interessant ist und auch von möglichst vielen genutzt wird. Das gilt auch für unser Modell.

alfred:
Ein Geschäftsmodell zielt in der Regel auf Gewinnerlöse. Haben Sie die? Werden die reinvestiert?

Rolf Granow:
Gewinn ist eine zweite Kategorie. Zunächst mal reden wir über Einnahmen. Und die Einnahmen, die wir erzielen, nutzen wir, um den Bestand aktuell zu halten und unser Angebot aufrecht zu erhalten. Gewinne lassen sich damit zur Zeit noch nicht erzielen, aber es lassen sich die anfallenden Kosten des Betriebes decken.

Uwe:
Vom Geschäftsmodell zum Geschäft: Welche Bildungsangebote sind Ihre "Cash Cows" oder: Womit verdient oncampus Geld? Kann allein die Medienbezugsgebühr eine ausgeglichene Bilanz bewirken?

Rolf Granow: Wenn man den Begriff Cash Cow benutzen will, dann sind es die Onlinestudiengänge, weil hier eine große Anzahl von Studierenden unsere Angebote sehr intensiv nutzt. Im Bereich der Weiterbildung wenden wir uns an Einzelpersonen. Hier stellen wir zwar eine sehr erfreuliche Steigerung der Nachfrage fest, allein die Zahlungbereitschaft bei Angeboten aus Hochschulen ist nach wie vor sehr niedrig.

Ausblick, Visionen
Uwe: Welche Vision haben Sie für die Zukunft von oncampus? Wo sehen Sie oncampus im Bildungsmarkt in fünf bis zehn Jahren? Und mit welchen Angeboten - mehr bei Studiengängen oder eher bei kompakten Kursen?

Rolf Granow:
Wir verfolgen hier verschieden Wege. Kernziel ist es, auch weiterhin zu den führenden internationalen Anbietern im Bereich von E-Learning Services zu gehören. Dazu möchten wir unser Angebot an Onlinestudiengängen konsequent erweitern. Dieses zunächst im Bachelorbereich. Mittelfristig erwarte ich eine sehr starke Nachfrage im Bereich der Masterstudiengänge, da ich nicht glaube, dass BachelorabsolventInnen, die bereits erfolgreich im Beruf sind, diesen wieder verlassen, um an die Hochschule zurückzukehren. Deshalb erwarte ich hier eine ansteigende Nachfrage nach berufsbegleitenden Masterangeboten.

Irmgard:
Was empfehlen Sie e-teaching.org in Sachen Geschäftsmodellentwicklung?

Rolf Granow:
Erstens darüber nachzudenken, für wen die Institution Mehrwerte erzeugt und zweitens, wer dafür bereit ist, die Finanzierung zu übernehmen - die NutzerInnen selber oder aber dritte Organisationen wie z.B. eine öffentliche Finanzierung. Im Internet ist es in sehr vielen Fällen eher so, dass nicht die NutzerInnen für die Informationen und Leistungen bezahlen, die sie aus dem Internet beziehen. Ob eine Werbefinanzierung oder eine Finanzierung durch Sponsoren wie bei Wikipedia für e-teaching.org gangbar oder wünschenswert ist, vermag ich von hier nicht zu beurteilen.

Moderator:
Wir sind kurz vor Schluss. Herr Granow, möchten Sie noch ein Schlusswort an die Nutzer richten?

Rolf Granow:
Bei der Frage von Geschäftsmodellen für E-Learning geht es aus meiner Sicht nicht so sehr darum, ob und wie Gewinne erzielt werden, sondern um die Frage, wie kann ich überhaupt dauerhaft meine Aktivitäten erbringen und auch finanzieren. Aus meiner Sicht gibt es kein eindeutiges Geschäftsmodell für E-Learning. Ich komme nicht umhin, mir selbst Gedanken darüber zu machen, wer auf Dauer meine Aktivitäten finanzieren wird.

Moderator:
Das waren wieder knapp 70 Minuten e-teaching-org Expertenchat. Vielen Dank an Herrn Granow für seine Antworten, und natürlich vielen Dank an unsere Nutzer für die vielen Fragen, die wir aus Zeitgründen leider nicht alle stellen konnten. Das Chat-Team wünscht ein schönes Wochenende.

Rolf Granow:
Danke schön. Das wünsche ich uns auch allen.

Letzte Änderung: 08.04.2015