Virtuelle Realität

Virtuelle Realität (VR) ermöglicht das Erleben von virtuellen Welten auf eine viel direktere Weise als herkömmliche zweidimensionale Medien. Dieser Artikel liefert einen Überblick über die verschiedenen Technologien, die VR erlebbar machen. Es werden mögliche Vorteile des Einsatzes in der Lehre aufgezeigt, aber auch die Herausforderungen und Probleme angesprochen. Zusätzlich wird auf bestehende VR-Netzwerke verwiesen, bei denen man eine Vielzahl an aktuellen Anwendungsbeispielen und Ansprechpartner vorfinden kann.

1965 wurde von Ivan Sutherland erstmalig als Ultimate Display das beschrieben, was wir heute als Virtual Reality (VR) verstehen: Eine dreidimensionale Darstellung von Inhalten, in die Nutzende förmlich eintauchen können, anstatt auf eine zweidimensionale Projektion beschränkt zu sein. Diese sogenannte Immersion wird allgemein als ein wesentlicher Vorteil von VR-Anwendungen verstanden. Der Begriff „Virtual Reality“ selbst wurde 1989 von Jaron Lanie geprägt. Das wachsende öffentliche Interesse an diesem Gebiet und die damit einhergehenden, immer schneller auftretenden, technischen Neuerungen machen VR zunehmend massentauglich.

Technologische Basis Virtueller Realität

Generell kann man zwei unterschiedliche Technologien verwenden, um Virtuelle Realitäten zu generieren: zum einen die Head-Mounted-Devices und zum anderen CAVE-Lösungen. Beide Technologien sollen kurz vorgestellt werden.

Head-Mounted-Devices / VR-Brillen

Der aktuell am weitesten verbreitete Hardwaretyp für Virtual Reality ist das Head-Mounted-Device (HMD), also die klassische „VR-Brille“. Nutzende tragen dabei überdimensionale Brillen, die durch die Projektion über eingebaute Linsen vor jedem Auge eine stereoskopische Präsentation eines künstlich generiertes 3D-Szenarios bereitstellen. In der Regel sind in VR-Brillen Mikrofone und Lautsprecher integriert, sodass eine freie Kommunikation ermöglicht wird. Das Ziel ist es, dass die Nutzenden die virtuellen 3D-Welten immersiv wahrnehmen: sie tauchen in die Inhalte der virtuellen Welt ein und empfinden den audio-visuellen Stimulus als real.

Bei derartigen VR-Brillen wird kontinuierlich die Position sowie Rotation des Kopfes sowie der zugehörigen Controller durch eingebaute Sensoren getrackt. Da sowohl die Position, als auch die Rotation in je drei Dimensionen abweichen kann, spricht man von den sechs Freiheitsgraden. In erweiterten Szenarien können zusätzliche Tracker eingesetzt werden, um auch die räumliche Position anderer Körperteile zu bestimmen. 

Bei VR-Brillen als Stand-Alone-Geräte ist keine Verbindung zu einem Computer notwendig. Die Rechenleistung wird durch die integrierten Chips der VR-Brille bereitgestellt. Lediglich eine Verbindung zu einem WLAN ist erforderlich, um Zugang zu den VR-Welten zu erhalten. Eine solche VR-Brille rendert die angezeigten Inhalte selbstständig. Somit sind die Grenzen der Darstellung durch die eingebaute Prozessor-Leistung vorgegeben. 

Das Gegenstück zu den Stand-Alone-Geräten bilden sogenannte Tethered-Headsets, die an einen Computer angeschlossen werden müssen. Ihre Funktionsweise ist mehr mit der eines Bildschirms zu vergleichen. Hier dient das HMD lediglich als Display und rendert nicht selbstständig die angezeigten Inhalte. Die Tethered-Headsets sind in der Regel in Bezug auf die grafische Darstellungsqualität der 3D-Welten deutlich leistungsfähiger, da sie auf die CPU/GPU, d.h. auf den Hauptprozessor sowie den Grafikprozessor, eines Computers zurückgreifen können.

Es sollte stets im Kontext des jeweiligen Anwendungsfalls abgewogen werden, ob die höhere Rechenkapazität und die damit mögliche detailliertere Darstellung der Virtuellen Welt eines Tethered-Headsets, oder die allgemeine Verfügbarkeit und technisch geringere Komplexität der Standalone-Headsets zu bevorzugen sind. Für den breiten Einsatz in der Lehre werden in der Regel Standalone-Geräte verwendet (aus Kostenüberlegungen, Skalierbarkeitsansätzen sowie der Einfachheit der Anwendung in Lehr-Lernsettings).

CAVE-Systeme

Deutlich aufwändiger ist die Nutzung von sogenannten CAVE (kurz für „Cave Automatic Virtual Environment“)-Systemen. Wie der Name schon andeutet, befinden sich Nutzende hier in einem realen Raum, in dem sie sich frei bewegen können. Die Immersion entsteht dadurch, dass die Wände durch Projektoren mit virtuellen Inhalten bespielt werden. Dazu können wahlweise Projektionen auf drei bis zu sechs Wände erfolgen. Anstelle klassischer Projektionstechnik kommen hier auch große LED-Display-Wände zum Einsatz. Nutzende tragen häufig zusätzlich eine 3D-Brille, damit eine echte räumliche Wahrnehmung entsteht. So können Gegenstände auch als schwebend wahrgenommen werden, man kann um Objekte herumgehen und sie dadurch von allen Seiten betrachten. Die Bewegungen der Nutzenden werden hierbei durch Infrarot-Kameras oder Elektromagnetik durch das System aufgezeichnet und verarbeitet.

Diese Technologie bietet zwar eine enorme Bewegungsfreiheit bei der Nutzung, ist aber aufgrund der komplexen Darstellungs-Mechanismen nur eingeschränkt von mehreren Personen gleichzeitig nutzbar und erfordert die Anschaffung sehr teurer technischer Gerätschaften. Somit ist die Nutzung von CAVE-Systemen eher im Forschungskontext als in der Lehre anzutreffen.

Einsatzgebiete in der Lehre / Netzwerke

Der Einsatz von Virtual Reality in der Lehre kann sicherlich immer noch nicht als Standard bezeichnet werden; allerdings gibt es vielfältige Entwicklungen, die rasant voranschreiten. Statt an dieser Stelle einzelne Beispiele aufzuführen, die sehr schnell wieder veraltet sein können, soll auf bestehende Netzwerke hingewiesen werden, in denen sich engagierte Akteure und Akteurinnen aus der VR-Szene zusammengeschlossen haben, um die Entwicklung von didaktisch wertvollen VR-Szenarien für die Lehre zu befördern.

  • Eines dieser Netzwerke ist uniVERSEty: Seit 2023 entsteht – mit einer dreijährigen Förderung durch die Stiftung Innovation in der Hochschullehre – ein Netzwerk aus Kompetenzen und virtuellen Räumen, in dem Studierende und Dozierende zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsam lernen.
  • Eine weitere wertvolle Informationsquelle stellt das Network for Impactful Digital International Teaching Skills bereit. Dort wird mit dem VR-Use-Case-Katalog eine Sammlung von Aktivitäten an Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich mit dem Thema Virtual Reality in der Hochschullehre beschäftigen, bereitgestellt.

Vorteile der Anwendung von VR in der Lehre

Kollaboratives Lernen von Dozierenden und Studierenden an unterschiedlichen Standorten: VR kann das kollaborative Lernen befördern, indem es den Lernenden ermöglicht, in virtuellen Umgebungen zusammenzuarbeiten und gemeinsame Aufgaben zu lösen. Studierende können miteinander kommunizieren, Ideen austauschen und gemeinsam Probleme lösen, unabhängig von ihrem geografischen Standort. Dies kann die Zusammenarbeit befördern und zur Verbesserung sozialer Fähigkeiten beitragen. Außerdem werden durch den Einsatz von VR räumliche Grenzen zwischen Dozierenden und Studierenden an unterschiedlichen Standorten überwunden, ohne das man auf die Einschränkungen zweidimensionaler Video-Konferenzsysteme beschränkt wird. 

Immersives Lernerlebnis: VR ermöglicht es den Lernenden, in eine virtuelle Umgebung einzutauchen und interaktiv mit ihr zu interagieren. Dadurch kann ein immersives Lernerlebnis entstehen, das das Interesse und die Motivation der Studierenden steigert. Die Studierenden können mit Hilfe der VR komplexe Konzepte und/oder abstrakte Ideen auf eine anschauliche Weise erleben, was zu einem besseren Verständnis beitragen kann.

Zugang zu schwer erreichbaren Orten und anderen Zeiten: Mit VR können Studierende historische Ereignisse, entfernte Orte oder schwer zugängliche Umgebungen virtuell erkunden. Sie können beispielsweise das antike Rom besuchen, den Weltraum durchqueren oder in vergangene Epochen reisen. VR eröffnet neue Möglichkeiten des Lernens, die über traditionelle Grenzen von Raum und Zeit hinausgehen.

Praxisorientiertes Lernen: VR bietet die Möglichkeit, realistische Simulationen und Szenarien zu erstellen, in denen die Studierenden praktische Fähigkeiten üben können. Beispielsweise können angehende Ärzte und Ärztinnen chirurgische Eingriffe in einer virtuellen Umgebung durchführen oder Ingenieure und Ingenieurinnen komplexe Maschinen virtuell warten. Dieses praxisorientierte Lernen ermöglicht es den Studierenden, ohne reale Risiken oder teure Ausrüstung ihre Fähigkeiten zu verbessern. Dabei ist unbedingt darauf hinzuweisen, dass diese Form des praxisorientierten Lernens stets gekoppelt sein muss mit einem Training der identischen Aufgabe in der realen Welt. 

Individualisiertes Lernen: VR ermöglicht es den Lehrenden, die Lernumgebungen individuell anzupassen und auf die Bedürfnisse der einzelnen Studierenden einzugehen. Die Studierenden können in ihrem eigenen Tempo lernen und sich auf die für sie relevanten Aspekte des Lerninhalts fokussieren. VR-Anwendungen können so aufgebaut werden, das sie personalisierte Rückmeldungen und Anleitungen bieten, um den Lernfortschritt zu unterstützen. Beispiele hierfür sind Rollenspielszenarien, in denen Studierende für sie neue und unbekannte Kommunikationsaufgaben anonym ausprobieren können oder sich z.B. in Prüfungsformaten, wie dem Staatsexamen in den Rechtswissenschaften, testen.

    Herausforderungen und Probleme

    Kosten der VR-Nutzung: Die Kosten der Standalone-Geräte sind seit ihrer Einführung zwar zurückgegangen, die Anschaffung ist aber dennoch relativ kostspielig. Somit besteht die Herausforderung für die Lehre, wie derartige Geräte finanziert werden können, zumal die technische Nutzungsdauer durch die kontinuierliche Weiterentwicklung eher mit einer Zeitspanne von drei Jahren anzusetzen ist. Zustätzlich entstehen Kosten für die Entwicklung der didaktisch aufbereiteten 3D-Szenarien. Der Umfang der frei verfügbaren Szenarien, die als Open Educational Resources (OER) unter Lizenzen wie z.B. Creative Commons bereitgestellt werden, ist eher überschaubar. 

    Motion Sickness / Nutzungsdauer: Leider weit verbreitet ist das Phänomen der Motion Sickness, bei der bei Nutzenden Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen, Schwindel oder Kopfschmerzen auftreten. Hervorgerufen werden diese Symptome durch eine Unstimmigkeit zwischen visuell wahrgenommener Bewegung und dem Bewegungssinn unseres Gleichgewichtssystems. Bei dem Einsatz in der Lehre ist somit immer ein Plan B mit zu denken, wenn Nutzende mit Motion Sickness zu kämpfen haben. Darüber hinaus ist aber auch ohne Motion Sickness die Nutzungsdauer von VR zeitlich nicht beliebig skalierbar, da die maximale Nutzungszeit von individuellen Faktoren der Nutzenden, wie z.B. Druckempfinden, abhängig ist. 

    Datensicherheit: Ein entscheidender Punkt beim Einsatz von VR in der Lehre sind die Belange des Datenschutzes bzw. der Datensicherheit. Wie bei allen DV-technischen Anwendungen, d.h. Anwendungen basierend auf Datenverarbeitung (DV), ist sicherzustellen, dass keine personenbezogene Daten in den Anwendungen erfasst und gespeichert werden dürfen. 

    Technische Einschränkungen: Speziell bei älteren VR-Brillen ist die erreichbare Bildqualität und die Bildwiederholungsrate sehr eingeschränkt, so das selbst das beste didaktische Design an technischen Restriktionen scheitert. Die technischen Handicaps in Bezug auf Bildverzögerungen, mögliche Audiofeedbackschleifen bzw. Hardwareausfälle sollten bei der Nutzung von VR in der Lehre immer mit bedacht werden. 

    Wirtschaftliche Interessen: Sobald auch wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen, gehen damit häufig auch Mechanismen wie Blockchain-Technologien und Non-Fungible Token (NFTs) einher. Diese können genutzt werden, um digitales Eigentum zu schützen. Sie bringen aber auch ganz eigene Probleme mit sich, wie ein erhöhter Energieverbrauch. Es muss daher gut abgewogen werden, ob solche Mechanismen zur Kommerzialisierung der Virtuellen Realität ihren Platz in der akademischen Welt des Lernen und Lehrens finden sollten.

    Weiterführende Informationen

    • Ausführlichere Informationen zu didaktischen Optionen und der damit verbundenen empirischen Evidenz bietet u. a. ein Vortrag von Dr. Malte Persike beim Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen.
    • Zusätzliche Informationen zum Thema Virtuelle Labore und Virtuelle Welten finden Sie außerdem im Portal.