Digitalisierung der Hochschullehre an der DHBW Mannheim - das Verbundprojekt optes

07.06.2018: Teil 1: Interview mit Katja Derr, akademische Mitarbeiterin im optes-Teilprojekt „Formatives eAssessment & Propädeutika" an der DHBW Mannheim.

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In den letzten Jahren wird die Studierendenschaft an den Hochschulen als zunehmend heterogen beschrieben. Trifft das auf die DHBW auch zu?

Katja Derr: Ja, auf jeden Fall. Im optes-Projekt haben wir ja vor allem die Mathematik-Vorkenntnisse im Blick, und die sind sehr heterogen. Das wirkt sich natürlich auf die Lehre aus – für die einen geht es in den Vorlesungen viel zu schnell, und die anderen sind genervt, wenn immer wieder Rückfragen kommen, die sich auf Stoff der Mittelstufe beziehen. Für die Dozent/-innen ist es natürlich schwer, allen gerecht zu werden und gleichzeitig den Lehrplan einzuhalten.

Von 2012 bis 2016 wurden im Verbundprojekt optes, an dem die DHBW Mannheim beteiligt war, Angebote für das Selbststudium – insbesondere für Studienanfänger in den MINT-Fächern – entwickelt. Worum ging es dabei genau und welche Schwerpunkte hatte die DHBW Mannheim in diesem Projekt?

Katja Derr: Das optes-Projekt zielt ja auf die Problematik der unterschiedlichen Wissensstände im Fach Mathematik. Hier wurden Konzepte und Lehrmaterialien entwickelt, um die Studierenden zum Selbststudium anzuleiten. optes bietet neben einem webbasierten Mathematik-Vorkurs diagnostische Tests auf Basis umfangreicher Fragenpools, mit denen Studieninteressierte den eigenen Lernstand einschätzen können. Daneben werden elektronische Prüfungsformen während des Studiums sowie flankierende Betreuungskonzepte in Form von elektronischem Mentoring für Studierende von Studierenden, Tutoring-Programme für Lehrende sowie online-gestützte Portfolio-Arbeit angeboten.
Jedes Teilprojekt hat einen anderen Aspekt bearbeitet, von der Erstellung von Lernmodulen über die Arbeit mit E-Portfolios bis hin zur Entwicklung von E-Mentor/-innen- und E-Tutor/-innen-Konzepten. In Mannheim waren wir in der ersten Förderphase für die Entwicklung von Test- und Übungsaufgaben zur Grundlagenmathematik zuständig. Wir haben einen diagnostischen Online-Selbsttest erstellt – auf Basis des Testergebnisses werden den Lernenden bestimmte Lerninhalte empfohlen. Auf der Lernplattform können diese dann bearbeitet werden. Es gibt außerdem einen umfangreichen Fragenpool mit Übungsaufgaben zur Mathematik der Mittel- und Oberstufe, alle mit detailliertem Feedback inklusive Lösungsweg. Und es gibt einen Kontrolltest bzw. Post-Test, der den Lernerfolg im Vorkurs dokumentiert. Seit 2016, dem Beginn der zweiten Förderphase, werden in Mannheim auch die Lernmodule Propädeutik weiterentwickelt.

Welche Angebote von optes kommen aktuell an der DHBW zum Einsatz und welche Problemstellungen wollen Sie als Hochschule damit adressieren?

Katja Derr: Aktuell richten sich die optes-Angebote, also web-basierte Vorkurse in Mathematik, an alle Studienanfänger/-innen der Fakultät Technik. Ziel ist es, die Studienanfänger/-innen für die Bedeutung grundlegender mathematischer Fertigkeiten zu sensibilisieren und natürlich ein Angebot zu schaffen, das beim Schließen von Wissenslücken hilft. Dies sollte idealerweise vor Studienbeginn passieren, denn erfahrungsgemäß bleibt im ersten Studienjahr wenig Zeit, um neben dem Vorlesungsbetrieb noch Schulmathematik zu wiederholen. Dabei soll auch die Fähigkeit zum selbständigen Lernen gefördert werden; auch hier gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Studienanfänger/-innen. Darum gibt es unterstützende (Zusatz-) Angebote, die an den verschiedenen Partnerhochschulen unterschiedlich ausgestaltet sind. In Mannheim können die Studienanfänger/-innen z.B. wählen zwischen dem reinen Selbststudium, dem Kurs „Betreutes E-Learning“, bei dem der Lernprozess durch Fach-Tutor/-innen unterstützt wird, und einer Blended-Learning-Version, also der Kombination von betreutem E-Learning und Präsenzterminen. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, ein- oder zweiwöchige Kompaktkurse in Präsenz zu belegen.
Wir waren ursprünglich davon ausgegangen, dass nur eine sehr kleine Gruppe von Studienanfänger/-innen zusätzliche Unterstützung wünscht oder benötigt; im ersten Jahr waren darum unsere Zusatz-Angebote ausschließlich für Studienanfänger/-innen mit Fachhochschulreife oder mit Meisterabitur konzipiert. Diese Beschränkung haben wir dann aufgehoben, da auch aus der Gruppe der Abiturient/-innen sehr große Nachfrage nach Zusatzangeboten kam.

Abbildung 1 - Screenshot aus dem optes-Angebot


Die mit optes entwickelten Angebote, Inhalte und Konzepte für das begleitete Selbststudium der Mathematik wurden an den beteiligten Hochschulen zunächst im Pilotbetrieb getestet. Was ist dabei besonders gut angekommen? Was wurde nach der Pilotphase noch verbessert – und gibt es auch Aspekte, die sich nicht bewährt haben?

Katja Derr: Zunächst einmal ist es sehr wichtig, bei den angehenden Studierenden überhaupt ein Bewusstsein für die Bedeutung der Grundlagenmathematik zu schaffen. Bei vielen ist das Wissen ja vorhanden, nur etwas „eingerostet“. Dabei hat sich der diagnostische Eingangstest gut bewährt. Er ist zwar nicht direkt beliebt und die Ergebnisse werden von manchen Teilnehmer/-innen als „Schock“ empfunden - aber wir bieten ja Hilfen an, wie man sich auf das Studium vorbereiten kann. Im Nachhinein ist das Feedback der Studienanfänger/-innen darum meist positiv, da sie den „Schock“ vor dem Studium hatten, und nicht in der ersten Vorlesung. Es wäre darum natürlich ideal, möglichst früh mit der Studienvorbereitung zu beginnen. Bei uns kann der diagnostische Selbsttest ab dem ersten Mai durchgeführt werden, auch die Online-Lernmodule sind ab Mai verfügbar. Die Zusatzangebote finden dann von August bis September statt.
Aus technischer Sicht haben wir sehr gute Erfahrungen mit dem Einsatz des Fragetyps STACK gemacht. Das ist ein PlugIn, das die Anbindung an das Computer-Algebrasystem Maxima ermöglicht, und damit die Erstellung von randomisierten Mathematik-Aufgaben. Das ist für den Übungsbetrieb sehr wertvoll. STACK wurde in England von Chris Sangwin und Tim Hunt als Moodle-PlugIn entwickelt, aber wir konnten über das optes-Projekt die Finanzierung eines STACK PlugIns für ILIAS anstoßen, die Programmierung haben dann Jesus Copado und Fred Neumann von der Universität Erlangen übernommen. Mittlerweile gibt es in Deutschland eine wachsende Community, die sich mit der Erstellung von digitalen Mathematikaufgaben mit STACK befasst – im Herbst 2018 gibt es dazu übrigens eine Tagung in Erlangen.
Es hat sich auch gut bewährt, dass wir ein modulares und flexibles Vorkursprogramm anbieten können. Optimierungsbedarf haben wir bei der Übersichtlichkeit unseres modularen Angebots: die Studienanfänger/-innen sind sich teilweise unsicher, was für sie der richtige Kurs ist. Natürlich ist auch der administrative Aufwand bei unterschiedlichen Kursformaten deutlich höher. Wir sehen aber ganz klar den Bedarf nach gestaffelten Angeboten für sehr unterschiedliche Gruppen von Lernenden.
Das bezieht sich auch auf das individuelle Lernverhalten. Beispielsweise gibt es immer noch jedes Jahr einen Anteil an Studienanfänger/-innen, die gar nicht online lernen sondern sich lieber das PDF-Skript des Vorkurses ausdrucken möchten. Andere sind von den interaktiven Modulen begeistert und lernen nur am Rechner, und eine dritte Gruppe kombiniert Online- und Offline-Phasen.
Ähnliche Erfahrungen haben wir in den betreuten E-Learning Kursen: in manchen Gruppen werden die Foren intensiv genutzt, in anderen läuft die Kommunikation fast ausschließlich über E-Mail, und in manchen Gruppen gibt es kaum Kommunikation. Die E-Dozent/-innen und E-Mentor/-innen müssen dann in der Lage sein, mit sehr unterschiedlichen Gruppen und Gruppendynamiken umzugehen.

Wie werden die optes-Angebote eigentlich ganz praktisch eingesetzt? Sind es einfach Selbststudienangebote, die die Studierenden ganz nach ihren jeweiligen Bedürfnissen nutzen? Oder gibt es auch Lehrende, die optes-Angebote gezielt in ihren Veranstaltungen einsetzen und auch das Lernen damit betreuen?

Katja Derr: Die Vorkursteilnehmer/-innen können auch nach Beginn des Studiums auf die Lernmaterialien zugreifen; manchmal kommt ja z.B. in einer Vorlesung ein Verfahren zum Einsatz, das zum Schul-Curriculum gehört und darum nicht mehr explizit erläutert wird. Wenn wir den Traffic auf der Lernplattform anschauen, ist das allerdings nur noch eine Minderheit der Studierenden.
In den Lehr-Veranstaltungen kommen unsere propädeutischen Materialien eher nicht zum Einsatz; aber es gibt im optes Verbund das Teilprojekt „eAssessment im Studium", das an der DHBW Karlsruhe angesiedelt ist und einen stärkeren Fokus auf die ersten beiden Studienjahre hat. Hier werden spezielle Mathematik-Aufgaben erstellt, die im Rahmen eines Flipped-Classroom-Konzepts zum Einsatz kommen. Darüber hinaus wird ein Fragenpool mit zahlreichen Übungsaufgaben erstellt, die zum Üben, Wiederholen und zur Vorbereitung auf E-Klausuren genutzt werden.

Mit dem Gemeinschaftsprojekt optes+ wird derzeit die Fortführung von optes durch das BMBF gefördert. Welche Ziele möchten Sie mit optes+ erreichen?

Katja Derr: In optes+ wird die Arbeit aus der ersten Förderphase fortgesetzt. Vieles geht nahtlos ineinander über, auf technischer Ebene wird z.B. die konzeptionelle und technische Einbindung einer Fähigkeitsmatrix Mathematik weitergeführt. Neu in der Förderphase II ist die Arbeit mit adaptiven Tests, die eine stärkere Individualisierung des Lernprozesses ermöglichen soll.
Wir in Mannheim werden in der zweiten Förderphase am Ausbau der Online-Lernmodule arbeiten. Das Vorkurs-Curriculum wird erweitert und besser auf einzelne technische Studiengänge angepasst, beispielsweise durch einen Kurs „Logik“ für die Informatik- Studiengänge, oder einen Kurs „Statistik“ für Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsinformatiker. Auch die bestehenden Lernmodule werden, basierend auf unseren Evaluationen, nochmals angefasst und inhaltlich sowie didaktisch optimiert.
Außerdem wird in der verbleibenden Zeit ein stärkerer Fokus auf die Verbesserung der Selbstlernkompetenz und Selbststeuerung gelegt. Hier gibt es den inhaltlichen Schwerpunkt „Reflektiertes Üben“ im Bereich Mathematik. Unsere Evaluationen zeigen außerdem, dass sich viele angehende Studierende Unterstützung beim Thema „Lernen lernen“ wünschen, also etwa beim Zeitmanagement oder beim Umgang mit Frust und Demotivation.
Das Ziel ist, dass am Ende der zweiten Förderphase ein umfassendes, qualitätsgesichertes Vorkursprogramm vorliegt, das als offene Ressource nicht nur allen Partner-Universitäten, sondern allen interessierten Bildungsinstitutionen frei zur Verfügung steht.

Projekt

Das Projekt optes bzw. optes+ ist ein Gemeinschaftsprojekt im Rahmen des Qualitätspakts Lehre. Die Förderphase I (optes) ging von 2012 bis 2016. Seit 2016 wird das Projekt (optes+) in einer Förderphase II bis 2020 gefördert. Zu den beteiligten Projektpartnern gehören neben der Dualen Hochschule Baden-Württemberg mit den Standorten Karlsruhe, Mannheim und Mosbach auch die Hochschule Ostwestfalen-Lippe, die Universität Hamburg sowie ILIAS open source e-Learning e.V.. Kooperationspartner sind die Julius-Maximilians-Universität Würzburg und die Pädagogische Hochschule Heidelberg.

Weiterführende Links zum optes-Angebot:

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Teil 2 - Digital Learning Center (DLC):
Interview mit Alexander Jaensch, dem Operativen Leiter des Digital Learning Center (DLC) an der DHBW Mannheim.

Weitere Informationen

Dieser Erfahrungsbericht ist Teil des Themenspecials Heterogenität im Studium.