Vermittlung propädeutischer Grundlagen als Teil der Qualitätsdebatte

Severin Werner (M.Ed.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn. Im Interview mit Jessica Kathmann berichtet er über die Herausforderungen, die mit der zunehmenden Verlagerung von propädeutischen Lerninhalten ins Selbststudium und den unterschiedlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der angehenden Studierenden einhergehen und welche Chancen die Lernendenzentrierung sowie digital gestützte Lehre in diesem Kontext bieten.

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Transkript

Im Rahmen des Themenspecials Qualität in der Hochschullehre mit digitalen Medien auf e-teaching.org begrüße ich, Jessica Kathmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin, heute Severin Werner. Hallo, Herr Werner.

Severin Werner: Ja hallo.

Sie haben Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert und arbeiten jetzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Geschichtswissenschaft der Uni Bonn und beschäftigen sich da mit der Vermittlung von Propädeutik im Studium, also dem Handwerkszeug des jeweiligen Fachs. Was sind denn da die Herausforderungen?

Severin Werner: Naja, zunächst einmal müsste man anmerken, oftmals denkt man, dass das Studium sich vor allem des Studiums der Fachinhalte widmet und mit Fachinhalten zu tun hat. In der Tat würde ich aber ergänzen, dass propädeutische Grundlagen unverzichtbare Voraussetzungen sind, um sich überhaupt mit Fachinhalten auseinandersetzen zu können. Sprich, ich muss wissen, wo ich Informationen finde, wo ich zum Beispiel Literatur finde, auch wie ich meine Erkenntnisse fundiert darlegen kann. Sprich, ich muss für innerhalb der Gepflogenheiten meines Fachbereiches auch entsprechend zitieren können und meine Erkenntnisse belegen können, Quellen angeben können, solche Sachen.

Und das zu lernen, findet nun mal am Anfang des Studiums statt, das heißt also, dass die Einstiegsphase des Hochschulstudiums so gesehen richtungsweisend für die weitere akademische Laufbahn von Studierenden ist. Im ersten Studienjahr sollen die Studierenden ferner insbesondere die propädeutischen Grundlagen ihres Studienfachs erkennen, erlernen und internalisieren, die notwendige Voraussetzung für die spätere Erbringung von Studien- und Prüfungsleistungen, hier zum Beispiel Referate, ausgearbeitete Referate oder Hausarbeiten klassischerweise oder auch vor allem für das Verfassen der Abschlussarbeiten, also Bachelorarbeit, Masterarbeit in den meisten Fällen. Dazu werden ausgeprägte Selbstorganisations-, Selbstregulations- und Selbstlernkompetenzen, sowie Kompetenzen des wissenschaftlichen Arbeitens des jeweiligen Faches benötigt und vorausgesetzt von Hochschulseite, die aber trotz Zentralabitur - manche würden sogar sagen gerade wegen des Zentralabiturs - aber gar nicht vorausgesetzt werden können bei allen Studierenden. Die Ursachen hierfür können mannigfaltiger Art sein, also sicherlich spielen persönliche Lernenden-Biografien eine Rolle, aber eben auch die Reaktionen auf die Pisa-Studien und vor allem auch die verkürzten Schulzeiten. Ich beziehe mich hier auf G8, die ganzen G8-Jahrgänge laufen hier gerade noch durch das Abitur. Unter anderem kann aber auch als ursächlich angenommen werden, dass die Vorbereitungen auf das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten in der Schule neben den sehr wichtigen und sehr berechtigten Bestrebungen zur Inklusion und Bildungsgerechtigkeit eben eher in den Hintergrund geraten aufgrund mangelnder Kapazitäten.

Das heißt also auch, dass die Studierenden, wenn sie an die Universität kommen, ganz unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Also an der Schule ist man noch sehr an die Hand genommen worden, was das Arbeiten angeht, es gab sehr klare Vorgaben und in den meisten Studiengängen hat sich das schon verändert. Also da geht's vielmehr darum, Dinge auch selbstständig zu machen und sich Wissen selbstständig anzueignen und das ist eben bei den frisch Studierenden unterschiedlich ausgeprägt, wenn ich Sie da richtig verstehe.

Severin Werner: In der Tat, also was Sie ansprechen ist etwas sehr Wichtiges. An einer Stelle würde ich noch ergänzen: Wissen schaffen ist ja immer ein aktiver Konstruktionsprozess, auch in der Schule. Sie haben aber recht, wenn es darum geht, dass die Lernenden im Übergang von Abitur zu Studium definitiv einen Rollenwechsel vollführen, sprich in der Schule sind die Lernenden trotz aller „wissenschaftlichen Häppchen“, die sie dort erledigen, also hier eine Facharbeit, da ein Referat, sind Lernende trotzdem eher - ich will nicht Konsumenten sagen, denn Konsumenten klingt so passiv, und hat schon ein „Geschmäckle“ – aber Rezipienten von Bildung. Sprich, sie befassen sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen anderer, nehmen sie auf, versuchen daraus ein eigenes Weltbild zu bauen, sich darin zurechtzufinden, einen eigenen Wissenskosmos zu kreieren, während hingegen an den Hochschulen eine andere Erwartungshaltung vorherrscht.

Die Hochschulen erwarten, dass die Studierenden peu à peu, mehr und mehr, zunehmend Produzenten von Wissen von wissenschaftlichen Erkenntnissen werden und das ist aber ein Rollenwechsel, den vielleicht auch gar nicht alle Lernenden, alle Studierenden, die ins Studium kommen - so zumindest meine Beobachtungen – wahrnehmen. Also viele mögen vielleicht denken, wenn sie nach dem Abitur ins Studium starten, das ist irgendwie ein bisschen wie Schule. Böse Zungen würden sagen, es ja auch so. In der Tat ist das Studium sehr schulisch geworden aber wie gesagt, der Anspruch ist eigentlich ein anderer und diesen Wechsel, diesen Perspektivwechsel, den müssen Studierende erst mal wahrnehmen und müssen dann den Kontrast zwischen Anspruch der Hochschulen und dem Kompetenzniveau der Lernenden, das ja dafür da drunter liegt, diesen Kontrast müssen sie erst mal überwinden.

Und die Idee von der Propädeutik ist jetzt genau diese Grundlagen an die Studierenden heranzutragen, dass alle irgendwann auf einem ähnlichen Niveau sind. Und jetzt ist es ja so, dass diese Grundlagen noch häufig ins Selbststudium verlegt werden, also gerade jetzt, wo die Digitalisierung auch die Hochschulen ein bisschen mehr erreicht hat in den letzten Jahren, wird das dann oft einfach in irgendwelchen Learning Management Systemen hinterlegt. Was ist denn da der Gedanke dahinter und wo sind Schwierigkeiten und Herausforderungen und wo ist es vielleicht auch vorteilhaft, das so zu gestalten?

Severin Werner: In der Tat, also das Ganze wird ins Selbststudium verlegt. Zumindest ist eine Tendenz, ein Trend dahin, spätestens seit Corona zu erkennen. Ganz einfach ausgedrückt, der Gedanke dahinter ist, das ist eine Entlastung. Eine Entlastung aus Sicht der Lehrenden und aus Sicht des Studiengangmanagements, weil es eine recht praktikable Lösung ist. Dazu muss ich vielleicht nochmal ausholen: Wir leben ja in einer hochspezialisierten Welt, in der es Fachbereiche innerhalb von Fachbereichen innerhalb von Fachbereichen eines Fachbereichs gibt und es wird erwartet, dass am Ende die Studierenden, wenn sie ihren Abschluss machen, einen hochspezialisierten Abschluss haben, um in dieser hochspezialisierten Arbeitswelt, in der wir uns ja mittlerweile global befinden, zurechtzufinden und eben das Beste aus ihrem Fach herausholen zu können.

Nur die Schwierigkeit ist: Durch diese Zunahme an hochspezialisierten Bildungsinhalten auch im Studium stellt sich die Frage, was machen wir denn mit den ganzen allgemeinen Inhalten? Da besteht die Gefahr, dass sie möglicherweise peu à peu auf der Strecke bleiben. Was macht man also damit? Man setzt sie voraus. Man sagt einfach, die Studierenden kommen am besten damit schon im Studium an. Nur wie will man das machen? Also man hat das Studium in enge Grenzen gefasst, auch durch den Bologna-Prozess und es wird erwartet, dass man nach einer gewissen Regelstudienzeit fertig ist mit dem Studium und dann eben seine Arbeitskraft dem Staat zur Verfügung stellt. Wir müssen also gerade diese propädeutischen und allgemeinen Inhalte sehr komprimieren oder aber ausdünnen. Wie machen wir das? Wir setzen das voraus, wir setzen vor dem Studium an.

Es gibt die berühmt-berüchtigten Vorkurse, aber auch das unbegleitete Selbststudium ist durchaus eine Form, in der das stattfindet. Und hier schließt sich der Kreis: Das wird oftmals online gemacht über Lernmanagement-Systeme und das ist eben praktikabel, denn die sind ja vorhanden in den meisten Fällen, also kann man sie auch nutzen. Nur die Beschäftigung mit den Materialien, die dann dort hochgeladen werden und den Studierenden zur Verfügung gestellt werden, die müssen ja geübt werden. Man sagt ja so schön: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Das heißt, die Lernenden müssen da herangeführt werden, gerade wenn man diesen Kontrast zwischen Abitur und Studium betrachtet. Denn wenn ich wenig Vorerfahrung mit wissenschaftlicher Arbeit habe und mit wirklich selbstständiger, aktiver Arbeit, dann muss das geübt werden. Man kann nicht erwarten, dass die Studierenden das von Haus aus können. Wir brauchen also, und darum geht es ja heute in diesem Beitrag, ich sehe hier eine Notwendigkeit einer didaktischen Ausrichtung mit Kriterien und Modellen für das Lernen mit digitalen Medien, damit die Studierenden auch schon im ersten Studienjahr den Umgang mit diesen Inhalten, die dort zur Verfügung gestellt werden, erlernen.

Ja, da setzen Sie ja gerade an dem Punkt an, wie Sie schon gesagt haben, worum es ja heute auch gehen soll. Wir sehen, dass Propädeutik eben auch Teil der Qualitätsdebatte sein kann. Wenn wir uns diesen Qualitätsbegriff anschauen, ist das ja auch gar nicht so einfach, weil Qualität eben kein feststehendes Konstrukt ist, das wir in allen Kontexten gleich definieren, sondern das ist immer etwas, das im jeweiligen Kontext neu entfacht werden muss. Und die Vermittlung von Propädeutik ist also auch ein Teil der Qualitätsdebatte, wo setze ich denn da den Hebel an, um diese Propädeutikvermittlung zu verbessern und eben auch diese unterschiedlichen Niveaus, mit denen die neu Studierenden kommen, zu adressieren?

Severin Werner: Ich setze an dieser Stelle nochmal da an, wo eigentlich die Schwierigkeiten liegen, das habe ich, glaube ich, vorhin nicht deutlich genug benannt, sondern bin ein bisschen abgeschweift. Aber was ich in meiner Arbeit als zwei große Schwierigkeiten sehe ist, zum einen die Motivation der Studierenden. Gerade, wenn Materialien wenig oder wenig didaktisch aufbereitet zur Verfügung gestellt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Studierenden die Materialien schnell als redundant oder öde wahrnehmen. Also konkret gesprochen, es gibt wohl kaum etwas anstrengendes, als sich durch Wände von Texten in irgendwelchen Lernmodulen durcharbeiten zu müssen, denn dann kann ich auch gleich den Artikel lesen oder Zeitschriftenbeitrag oder ein Buch. Ich meine, das wäre sicherlich auch wünschenswert, nur eben ist es nicht besonders motivierend. Das ist das eine.

Zum anderen nehme ich wahr, dass zentrale Selbstlernkompetenzen fehlen, gerade oft auf der Ebene der kognitiven Regulation wird ein Kompetenzzuwachs angestrebt und das muss ich sagen ist oftmals auch bereits im Blick derjenigen, die solche Materialien bereitstellen. Also kognitive Regulation meint hier das Erlernen von Problemlösungsstrategien, also Heuristiken. Also ich lerne, wo ich nachgucken muss, wenn ich eine bestimmte Fachzeitschrift zu einem bestimmten Thema zum Beispiel suche, dass ist so eine kognitive Strategie. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass darüber hinaus auch der Arbeitsprozess und Lernprozess, regulatorische Strategien und selbstregulatorische Strategien benötigt werden, um erfolgreich im Selbststudium voranzukommen. Auch das wird durchaus bereits angestrebt, auch in der Vermittlung propädeutischer Grundlagen. Nur, man könnte das eben noch erweitern, indem man auch häufiger noch meta-kognitive Aufgaben, Reflexionsaufgaben, quasi so kleine Knobelaufgaben mit rein gibt, das wäre eine Möglichkeit.

Ich möchte aber noch ein bisschen allgemeiner werden: Wo setzen wir jetzt also den Hebel an? Das wichtige, gerade beim Erlernen dieser Selbstlernkompetenzen und dieses Selbstlern-Managements, ist eben Selbstwirksamkeitserfahrung, also so eine Art Kompetenzerlebnis. Ich merke, das was ich lerne, dieses Wissen was ich generiere, das hilft mir um im Studium, später am Arbeitsleben oder allgemein in der Gesellschaft zu bestehen. Und das ist genau das, was angestrebt werden sollte und sicherlich auch hilft, die Motivation zu steigern. Wenn ich merke, das was ich lerne, bringt etwas, dann wird dadurch auch das Selbstlernen voran gestoßen oder vorangebracht und initiiert.

Das Prinzip, das ich hier in den Vordergrund stellen möchte, ist das Prinzip, dass ich Studierendenorientierung nenne, in Anlehnung an die Schüler/innenorientierung, man kann auch vereinfacht Lernendenorientierung für alle Lernenden sagen. Und hier kann man in der Tat an zwei Stellen ansetzen: Das Lernen auf Learning Management Systemen ist meistens ausgelegt auf das Lernen an Lernpfaden. Also ich habe bestimmte Lernmodule oder eine Abfolge von Lernsequenzen und innerhalb dieser Lernsequenzen, aber auch außerhalb auf der gesamten Plattform, gibt es nun verschiedene Möglichkeiten, die Lerninhalte, die Bildungsinhalte in Angriff zu nehmen. Auf der äußeren Lerngestaltung sind dann so Prinzipien wichtig wie Adaptivität, Konstruktion, aber auch die eben angesprochene Förderung der Studierendenautonomie, aber auch die Benutzerfreundlichkeit. Ich muss mich auf der Plattform zurechtfinden, so die äußeren Gestaltungsmerkmale. Auf der inneren Ebene wäre dann eben das wichtig, was ich jetzt als Anwendungsorientierung oder als Anwendungsbezug beschreiben würde. Das heißt, hier bräuchten wir Aufgaben, die eben nicht nur auf reines Generieren von Fachwissen ausgelegt sind, sondern die eben auch direkten Anwendungsbezug offenbaren und die auch so gelehrt oder so gelernt werden, dass ich direkt weiß: aha, das kann ich für die und die Aktion gebrauchen. Das sind diese Problemlösungsstrategien, die ich vorhin angesprochen habe.

Ich kann natürlich jetzt nicht im Einzelnen auf diese ganzen Prinzipien eingehen, exemplarisch will ich aber hier vielleicht noch die Gamification nennen. Das Prinzip der Gamification, was seit einigen Jahren auch in Deutschland auf dem Vormarsch ist, international schon sehr viel stärker etabliert ist... Man darf Gamification nicht verwechseln mit Spaß und Freude. Also ich sehe jetzt schon, wie manche Hörer/innen möglicherweise die Hände über dem Kopf schlagen [und denken], noch einer der viel Spaß und Freude am Lernen im Studium propagiert. Ganz so ist es nicht: Gamification meint ja zunächst einmal nur, dass man die Prinzipien aus der Spieleentwicklung, aus der Computerspielentwicklung, die dafür sorgen, dass viele Jugendliche leider auch süchtig nach solchen Spielen werden, das man die sich eben zunutze macht, um die Lernenden eben an das Lernen mit Learning Management Systeme bindet, das spannender, attraktiver interessanter gestaltet, anhand von Maßnahmen, die in der Games-Branche bereits sehr etabliert sind und offenbar sehr gut funktionieren.

Ja, da haben Sie ja schon einen wichtigen und sehr zentralen Punkt sicher auch angesprochen, nämlich den der Lernendenzentrierung. Und durch Systeme, wie hier Lernpfade, die wir eben auch im digitalen Bereich gut nutzen können, haben wir also Möglichkeiten, die verschiedenen Lernniveaus, und vielleicht auch die verschiedenen Arten zu Lernen und Präferenzen, wie man sich an ein Thema heranmacht und sich das aneignet, besser adressieren zu können, als das vielleicht in klassischen Präsenzseminaren oder anderen Formen von frontaler Wissensvermittlung [möglich ist].

Man könnte also weiter gesagt auch sagen, dass Qualität, um nochmal auf diesen Begriff zu kommen, um den es ja auch im Themenspecial geht, dass das ein Begriff ist oder ein Konstrukt, das sich erst im Prozess des Lernens einstellt. Man kann da auch von Koproduzentenverhältnis sprechen. Also, dass wir eben zwei beteiligte Seiten haben, nicht nur die Lehrenden, die Unterrichtsmaterialien oder Selbstlernmaterialien zur Verfügung stellen, sondern eben auch die Studierenden, die mit diesem Material in irgendeiner Form interagieren müssen, um in einen Lernprozess zu kommen, um schlussendlich dann auch Qualität herzustellen. Und daran anschließend würde ich gerne wissen, wie kann man denn jetzt prüfen, auch als Lehrender oder Lehrende zum Beispiel, ob man da auf dem richtigen Weg ist? Also kann man Qualität in diesem Kontext irgendwie messen? Was sind denn da Ihre Erfahrungen, wie ist das möglich?

Severin Werner: Das ist in der Tat eine sehr komplexe Frage. Es ist eben auch nicht einfach zu beantworten, also ich habe ja jetzt ganz viele Prinzipien der äußeren und inneren Lernpfadggestaltung angesprochen und welche Kompetenzen alle eine Rolle spielen und dass es eben an den Lernenden ausgerichtet sein muss. Und das ist alles sehr, sehr umfangreich und daher auch schwierig zu messen. Im Einzelnen geht das sicherlich, aber es ist in der Tat eine Herausforderung. Ich würde sagen tatsächlich, dass das Messen der Qualität hier nur annäherungsweise möglich ist. Es gibt meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten: das Ziel ist ja, dass die Studierenden auch einen gewissen Output zeigen, also das es erstens gewisse Learning Outcomes gibt. Und das kann man annäherungsweise messen, indem man sich eben die Performanz anguckt im jeweiligen Bereich. Das geht über Statistiken, statistische Erhebung, wie oft wird welche Note in welchem Bereich in welchem Modul und so weiter erreicht, wie sind die Abschlüsse, wie hoch ist die Abbrecherquote und solche Geschichten. Das ist sicherlich möglich einerseits, aber bestimmt schwierig, das dann auf die Vermittlung propädeutische Kompetenzen im ersten Studienjahr gezielt zurückzuführen.

Und auf der anderen Seite könnte man annäherungsweise die Zufriedenheit der Studierenden messen, aber nicht Studentenzufriedenheit im Sinne von, es ist alles toll und es macht mir Spaß, also nicht wieder der Spaßaspekt, sondern Zufriedenheit im Sinne von Selbstwirksamkeitserfahrung, also Sinnzuschreibung. Man sprich im Schulkontext beispielsweise auch von dem oft besungenen Lebensweltbezug. Also sehe ich den Sinn, in dem was ich hier eigentlich lerne und fabriziere oder sehe ich ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdsteuerung. Also habe ich eine gewisse Autonomie und werde trotzdem auch zum gewissen Grad an die Hand genommen. Sind die Inhalte, die ich lerne, problemorientiert, vielleicht sogar Szenario-basiert und lerne ich regulatorische Strategien beispielsweise durch meta-kognitive Aufgaben. All das kann man Studenten ja gezielt befragen. Es gibt diese klassischen Semester-Abschlussbefragungen oder Studienabschlussbefragungen und vielleicht wäre es eine Möglichkeit hier anzusetzen und noch stärker als bereits gemacht wird, Items mit einzupflegen, die gezielt diese Selbstwirksamkeitserfahrungsaspekte abfragen und könnte darüber dann annäherungsweise einen Überblick darüber gewinnen, ob das auch entsprechend angenommen wird und genutzt werden kann von den Studierenden.

Also auch da sind die Studierenden im besten Fall eben mit einbezogen und werden auch direkt dazu befragt. Es gibt auch ganz viele verschiedene Qualitätsebenen, die man sich anschauen kann, darum dreht sich ja auch unser Themenspecial als solches. Und auf unseren Seiten, in denen wir Qualität nochmal ausführen, gehen wir da ja auch drauf ein, was es alles für Ebenen gibt: Wir haben den Prozess oder Durchführungsebene, wir haben so eine Outcome-Ebene, die jetzt auch von Ihnen gerade genannt wurde, wo wir uns Noten anschauen können, wo wir uns im besten Fall auch in irgendeiner Form eine Evaluation holen und Rückmeldungen von den Studierenden, ob es als sinnhaft erlebt wird.

Aber wie Sie schon sagen, es gibt sehr viele Größen, die man da messen kann und das ist auch immer ein Punkt, den man sich zu Beginn eines solchen Prozesses auch immer wieder vor Augen führen muss: Wo will ich eigentlich hin? Also was sind die Größen, die mich interessieren und auf welcher Ebene sind diese Größen verortet? Messe ich da verschiedene Ebenen? Will ich verschiedene Ebenen messen? Will ich nur eine Ebene messen und daran anschließend nochmal? Wenn wir nochmal zurückgehen zu dem Thema Propädeutik und Umsetzung, wie wir das eben auch in die Praxis umsetzen können, im besten Fall qualitativ hochwertige Propädeutiklehre zu machen. Wie gestaltet man denn jetzt als Lehrender oder Lehrende den Einstieg ins Studium konkret so, dass die Studierenden möglichst gut abgeholt werden und möglichst viel mitnehmen können?

Severin Werner: Da würde ich gleich da anknüpfen, wo Sie gerade aufgehört haben. Nämlich, dass es nicht ohne die Studierenden geht. Also wir müssen, und dafür möchte ich ja eigentlich werben, dass wir die Lernenden - hier die Studierenden - eben mehr in den Blick nehmen und deren Perspektive auch ein Stück weit einnehmen. Das heißt, bevor ich es irgendwie anfange - fungiert auch gerne - irgendwelche Kriterien da auszubuddeln und die anzuwenden, sollte ich vielleicht tatsächlich mit Studierendenbefragung beginnen oder andere Evaluationen durchführen, die mir Aufschluss darüber geben, was brauchen die Lernenden eigentlich aus eigener Perspektive, also was sind die Bedarfe der Lernenden. Auf der anderen Seite, natürlich, darf man nicht vergessen, was sind die Ansprüche des Studiengangs. Und dazwischen zu vermitteln und auf dieser Basis ein Konzept zu entwickeln, das sowohl für die Studierendenzufriedenheit sorgt, auf der einen Seite, aber auch für die gewünschte Performanz aus Hochschulperspektive.

Und hier schließt sich jetzt der Kreis, würde ich propagieren, hybride Lernarrangements einzurichten. Sprich, hybrid im Sinne von Blended-Learning, dass wir Präsenzanteile haben. Hierbei würde sich beispielsweise das Flipped Classroom Modell anbieten, wie es an der Schule auch oftmals praktiziert wird, aber auch an den Hochschulen schon. Und ergänzend dazu eben ein vorgelagertes Online-Selbststudium. Das hat den Vorteil, dass die jeweiligen Potenziale genutzt werden können. Im vorgelagerten Online-Selbststudium habe ich die Stärken des online, des digitalen Bereichs, nämlich, dass ich die Lernpfade adaptiv gestalten kann, dass ich je nach jeweiligen Voraussetzungen differenzieren kann, dass es die visuellen Lernpfade gibt, dass die Autonomie der Studierenden gefordert und gefördert wird und eben solche Dinge. Und in Präsenz kann ich die Inhalte dann, oder das Lernen der Inhalte dann, entsprechend stärker noch anwendungsorientiert gestaltet und hier die Expertise der jeweiligen Lehrperson besser nutzen. Also wenn die Lehrperson vor Ort ist und nicht mehr damit beschäftigt ist, Aufgaben zu verteilen und zusammen mit den Studierenden an Grundlagen zu üben, dann bleibt mehr Zeit dafür übrig, ans Eingemachte zu gehen und an den Inhalten zu arbeiten. Sprich, wenn ich die Propädeutik vorlagere und in der konkreten Sitzung nur noch das Verständnis sichere, dann kann ich, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher zumindest, dass ich danach direkt in das inhaltliche gehen kann, was ich mir eigentlich wünsche als Lehrperson.

Das heißt auch, dass wir da wieder bei den Qualitätskriterien sind, die Sie vorhin schon erwähnt haben, zum Beispiel sowas wie Adaptivität, Benutzerfreundlichkeit, die Möglichkeit unterschiedliche Lernniveaus aufzugreifen und abzuholen.

Severin Werner: In der Tat, man muss dabei nur bedenken, dass das Ganze sich vielleicht nicht nur auf den Studieneinstieg beschränken sollte. Also wir haben uns jetzt oben in diesem Beitrag sehr auf den Studienanfang, auf das erste Studienjahr fokussiert, aber das ganze sollte idealerweise studienbegleitend bestehen bleiben. Also über möglicherweise das ganze Bachelorstudium hinweg, vielleicht auch über ein anschließendes Masterstudium als zusätzliche Lernressourcen. Und hier muss man dann wiederum sagen, dass hier eine unterschiedliche Verteilung je nach Ebene, auf der ich mich gerade in meinem Lernen befinde, aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen, die vorherrschen, beziehungsweise an mich gestellt werden, dass ich die dann auch berücksichtigen muss in der Art und Weise, welche der vorhin genannten Prinzipien dann im Vordergrund stehen.

Ja wunderbar, also wenn ich das so resümieren und Revue passieren lasse, dann bleibt für mich hängen, dass Propädeutik vor allem am Studienanfang in der Qualitätsdebatte mitgedacht werden muss. Aber, wie Sie eben nochmal ergänzt haben, natürlich nicht nur da, sondern das was sich auch über den gesamten Studienprozess hinziehen kann. Und darauf, dass vor allem Studienanfänger/innen bezüglich ihrer Selbstlernkompetenzen und motivationalen Voraussetzungen auf unterschiedlichem Niveau sind, wenn sie an die Universität kommen und wir diese Niveauunterschiede irgendwie adressieren müssen. Und dass das vielleicht eben mit Lernarrangements, die digitale Medien einbeziehen, besonders gut angegangen werden kann, also zum Beispiel im Sinne von einem Flipped Classroom Modell und individuellen Lernpfaden.

Severin Werner: In der Tat, ich glaube tatsächlich auch, und der Trend ist nicht erst seit Corona zu beobachten, dass das auch vermehrt noch kommen wird, sprich dass der Anteil des Selbststudiums in Online-Formaten, digitalen Formaten oder eben mit Hilfe von digitalen Medien - ich meine, die digitalen Medien allgemein halten auch immer mehr Einzug auch in die Präsenzlehre -  dass das noch verstärkt kommen wird. Und wie anfangs gesagt, müssen wir uns da eben damit auseinandersetzen, dass wir dafür eine entsprechende didaktische Infrastruktur brauchen. Und kurz gesagt, es ist halt selten damit getan, Material einfach bereitzustellen. Dann haben wir im Prinzip Arbeitsblätter, interaktive Arbeitsblätter oder Online-Portfolios, in denen wir etwas nachlesen können, eBooks. Aber das ist eben noch keine Lehre, das ist noch kein Lernen, sondern da gehört eben ein entsprechendes Konstrukt, ein entsprechendes Konzept dahinter und das müssen wir verstärkt in den Fokus nehmen.

Vielen Dank für diese sehr wichtige Ergänzung und vielen Dank, dass Sie heute da waren und uns mit Ihrer Expertise bereichert haben.

Severin Werner: Dankeschön. Ich danke Ihnen vielmals, dass ich dabei sein durfte.