Welttag der Alphabetisierung

13.09.2016 | Kurzmeldung

Am 8. September war Weltalphabetisierungstag. Dieser Tag wurde von der UNESCO im Anschluss an die Weltkonferenz zur Beseitigung des Analphabetentums im September 1965 in Teheran ins Leben gerufen und am 8. September 1966 erstmals begangen. Im Hochschulkontext erscheint die Frage nach Analphabetismus grotesk. Ein genauerer Blick auf das darunterliegende Konzept und die Entwicklung des Begriffes, zeigt aber die Relevanz des Themas auch für den Hochschulbereich.

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UNESCO: 2016 International Literacy Day

Die UNESCO unterscheidet zwischen primärem, sekundärem und funktionalem Analphabetismus. Primärer Analphabetismus liegt vor, wenn eine Person nie Lese- und Schreibkenntnisse erworben hat. Sekundärer Analphabetismus heißt, dass das einmal Erlernte wieder vergessen wurde. Beim funktionalem Analphabetismus sind die Kenntnisse niedriger als im Alltag erforderlich: Betroffene können zwar einzelne Sätze lesen oder schreiben, aber keine zusammenhängenden Texte, auch wenn diese kurz sind.

Analphabetismus und seine Bedeutung im Kontext der (Hoch)Schulbildung

Der Bundesverband Analphabetismus geht davon aus, dass in Deutschland etwa 7,5 Millionen Menschen von funktionalem Analphabetismus betroffen sind. Für betroffene Eltern mit Kindern im Schulalter bedeutet das, dass Dinge, wie den Elternbrief zu Schulbeginn zu lesen, die Teilnahme des Kindes an Ferienaktivitäten zu bestätigen oder den Kindern bei Hausaufgaben zu helfen, keine Selbstverständlichkeiten sind - was wiederum die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften erschwert.

Für viele Lehrerinnen und Lehrer bedeutet den Umgang mit Eltern, die funktionale Analphabeten sind, eine neue Situation die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Denn aus Angst und Scham, sich als Analphabeten offenbaren zu müssen, trauen sich nur wenige, aktiv Hilfe zu suchen. Darüber hinaus könnte unvorsichtiges Handeln Schulkinder eher stigmatisieren, anstatt ein Bewusstsein für Auswege zu schaffen.

Ähnlichen Schwierigkeiten begegnen Lehrkräfte im Umgang mit Schulkindern mit Migrationshintergrund. Dass durch Flucht und Migration Menschen mit anderen Muttersprachen nach Deutschland kommen, die den komplexen Strukturen der deutschen Sprache ebenfalls nicht gewachsen sind, ist kein neues Phänomen. Somit entsteht eine weitere Form des Analphabetismus, bei dem Lese- und Schreibdefizite nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Sprache entstehen.

Bundesweit hat etwa jedes dritte Schulkind einen Migrationshintergrund. Doch Lehrkräfte in Deutschland lernen oft nicht, wie sie auf kulturelle und sprachliche Unterschiede im Klassenzimmer angemessen reagieren können. Einer gemeinsamen Studie des Mercator Instituts und des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zufolge, lernen nur in fünf Bundesländern alle angehenden Lehrkräfte systematisch den Umgang mit sprachlicher und kultureller Vielfalt. Sie stellte auch heraus, dass es zu wenige wirksame Qualifizierungsangebote gibt und, dass Fortbildungen oft zu kurz und zu praxisfern sind. Schließlich wird in der Studie empfohlen, einen kompetenten Umgang mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen als ein zentrales Lernziel für alle Lehrkräfte und die Lehrerbildung zu verankern.

Im Laufe der Jahre hat sich das Konzept der Alphabetisierung weiterentwickelt. Das ursprüngliche Konzept, welches sich auf grundlegende Lesefähigkeiten, Schreiben und Rechnen beschränkt, ist immer noch weit verbreitet. Es sind aber auch neue Formen des Verständnisses von „Analphabetismus“ entstanden, um den unterschiedlichen Lernbedürfnissen von Menschen in globalisierten Gesellschaften gerecht zu werden.

Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Digitalisierung in der Gesellschaft und an Hochschulen sowie die rasante Entwicklung bei den Kommunikationstechnologien, die den Umgang mit digitalen Medien als Basisgrundlage zur Teilhabe (nicht nur) an Hochschulbildung erfordert. Auch wenn Medienkompetenz selten als Voraussetzung zur Studienaufnahme gefordert wird, bedarf die Einführung neuer Lehrformate (und neuer Begriffe) wie Massive Open Online Courses (MOOCs), Small Private Online Courses (SPOCs), Blended Learning oder Flipped Classroom einer ausführlichen Vorbereitung sowohl bei Studienanfängern als auch im Bereich "Lebenslanges Lernen". Ziel ist es in diesem Fall, eventuellem "digitalen Analphabetismus" vorzubeugen.

Die Frage nach Analphabetismus im Hochschulkontext kann auch im Zusammenhang mit funktionalen Analphabeten bei Eltern und Studierenden mit Migrationshintergrund gestellt werden. Die Frage, ob es Analphabetismus unter Studierenden an deutschen Hochschulen gibt, klingt zunächst paradox. Stellen nicht Lese-, Rechnen und Schreibkompetenzen unabdingbare Voraussetzungen für den Zugang zu deutschen Hochschulen dar?

Im Rahmen des CHE Hochschulrankings wurden Professorinnen und Professoren aus 32 Fächern gefragt, welche Voraussetzungen und Fähigkeiten Studieninteressierte ihrer Meinung nach für ein Studium im jeweiligen Fach mitbringen sollten. Nur Professorinnen und Professoren aus 11 Fächern nannten Sprachkompetenz, Ausdrucksfähigkeit (inklusive Lese- und Schreibkompetenz, Textverständnis sowie Freude am Lesen) als Voraussetzung. Gute Deutschkenntnisse setzten danach nur Lehrende der Fächer Germanistik und Jura (2 von 32 Fächern) voraus.

Umso verwunderlicher ist die Feststellung, dass schwache Sprachkompetenzen, Schwierigkeiten mit (wissenschaftlichem) Schreiben sowie mangelhafte Kenntnisse in Mathematik zu den zentralen Hürden der Teilhabe an hochschulischer Bildung zählen. Schwierigkeiten, die Studierende beim Schreiben von Hausarbeiten bzw. Prüfungen und beim Halten von Referaten haben, vor allem Lese- und Schreibschwächen, werden oft über viele Semester bis zum endgültigen Studienabbruch gut kaschiert.

Lessons Learned?

Das Problem erkennen und sich auf langfristige Strategien einstellen: Mit dem Welttag der Alphabetisierung 2016 werden auch nach 50 Jahre noch Engagement und Anstrengungen auf nationaler sowie internationaler Ebene vorgenommen, um die Alphabetisierungsraten weltweit zu verbessern: Nur langfristiges Engagement und politische Verpflichtungen bringen fassbare Änderungen im Bildungsbereich.

Innovative Strategien zum Lehren/Lernen kontinuierlich entwickeln: 2013 beging die UNESCO den Weltalphabetisierungstag unter dem Motto „Literacies for the 21st century“ und deutete dabei an, dass andere Formen des Verständnisses von „Analphabetismus“ entstanden sind, deren Herausforderungen auch zeitgemäß begegnet werden sollte. Die wachsende digitale Wissensvermittlung hat das Potenzial, das Lehren und Lernen zu bereichern und den heutigen Herausforderungen im Bereich Bildung erfolgreich zu begegnen.

In Lehrer/innen investieren: Aus dem Bilanzheft 2000-2015 heben die Verfasser Investitionen in die schulische Bildung als unerlässlich hervor und empfehlen die Verfügbarkeit und den Einsatz von qualifizierten und motivierten Lehrkräften zu verbessern. Außerdem gelte es durch die Entschlossenheit politischer Entscheidungsträger/innen die Lehrkräfteausbildung zu verbessern, gute Lehrer/innen anzuwerben und zu halten. An allen Schulen sollte für ein ausgewogenes Schüler-Lehrer-Verhältnis gesorgt sein und es sollten Anreize in Form von angemessenen Gehältern geboten werden, um attraktive berufliche Laufbahnen zu ermöglichen.

Gepostet von: embak
Kategorie: Kurzmeldung