Am Strand oder am Schreibtisch: Erfolgreiches digitales Lehren und Lernen mit Remote-Laboren

09.11.2017: Im BMBF-Projekt „Industrial eLab“ erforschen Jun.-Prof. Dr. Sebastian Zug (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) und Dr. Anja Hawlitschek (Hochschule Magdeburg-Stendal) gemeinsam mit weiteren Magdeburger Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, wie die Laborausbildung der Studierenden mit Remote-Laboren technisch und didaktisch unterstützt werden kann.

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Dr. Anja Hawlitschek und Jun.-Prof. Dr. Sebastian Zug

Hinter dem Begriff Remote-Labor verbirgt sich die Idee, den Studierenden über ein Webinterface Zugriff auf ein Labor zu ermöglichen. Dabei wird das Geschehen im Labor mittels einer Kamera aufgenommen. Die Studierenden können von einem individuell gewählten Lernort live verfolgen, welche Auswirkungen ihre Eingaben haben. Zu Fragen bezüglich der Vorteile, Chancen und Herausforderungen des Remote-Labors äußerten sich die beiden Wissenschaftler im Interview.

Dr. Anja Hawlitschek war mehrere Jahre in der mediendiaktischen Unterstützung und Beratung von Lehrenden tätig, zunächst am Zentrum für multimediales Lehren und Lernen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, später am Weiterbildungscampus der Hochschule Magdeburg-Stendal und der OVGU. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Projekt Industrial eLab, in welchem der Nutzen und die Nutzung von Remote Laboren für das Lehren und Lernen in MINT-Studiengängen untersucht wird.

Jun.-Prof. Dr. Sebastian Zug ist Juniorprofessor an der Fakultät für Informatik der Otto-von-Guericke Universität. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe "Embedded Smart Systems" und koordiniert das BMBF geförderte Projekt Industrial eLab. Das Vorhaben entwickelt und evaluiert in einem interdisziplinären Kontext die Anwendbarkeit von Remote-Labs bei der Ingenieurwissenschaftlichen Hochschulausbildung. Daneben liegen seine Forschungsschwerpunkte in der dynamischen Komposition intelligenter Systeme und der Anwendung dieser Methoden in Robotikapplikationen.


 
Wie genau können wir uns das Lernen in Ihrem Remote-Labor vorstellen?

Sebastian Zug: In der Vorlesung sollen die Studierenden die Grundlagen der Anwendungsentwicklung für eingebettete Systeme erlernen. Damit spannt die Veranstaltung einen großen Bogen von der hardwarenahen Programmierung kleiner Mikrocontroller1 über Regelungsaufgaben bis hin zur Erfassung der Umgebung mittels Sensoren. Für die praktischen Aufgaben wurde eine Anwendung gesucht, die diese Kompetenzen vereint und eine kleine Roboterplattform entworfen. Die Studenten programmieren dabei einen auch im Arduino Kontext häufig verwendeten Controller und erweitern „ihr“ Roboter Projekt kontinuierlich. Dazu wird das System im Laufe des Semesters Schritt für Schritt erweitert, eine Reihe von Sensoren eingeführt und die Motoren freigeschaltet, so dass die Fähigkeiten des Roboters zunehmen. Am Ende versuchen die Studierenden auf ihren Lernergebnissen aufbauend ein kleines Labyrinth zu verlassen. Die zentralen Komponenten des Webinterface, über das die Steuerung der Roboter geschieht, bestehen aus einem Code-Editor sowie einem Live-Videostream aus dem Labor. Per Knopfdruck wird der erstellte Code kompiliert und auf dem Roboter ausgeführt, im Video kann dann der Erfolg oder Misserfolg beobachtet werden.

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Die Studierenden können die Roboter live per Kamera beobachten. Der Roboter rechts auf dem Bild ist eine auf Basis der gesammelten Erfahrungen weiterentwickelte Version.

Worin liegt der Mehrwert von Remote-Laboren und welche Grenzen hat dieses digitale Medium?

Sebastian Zug: Die Digitalisierung hat den universitären Lehrbetrieb auf verschiedenen Ebenen durchdrungen, aber auch verändert. Webbasierte Werkzeuge vereinfachen zum Beispiel den Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden, die Interaktion untereinander, organisieren und strukturieren den Zugriff auf die relevanten Wissensinhalte in unterschiedlichen Medien oder dienen der Leistungsbewertung und Prüfung. Der Einsatz von Remote-Laboren in unseren Lehr-Lern-Szenarien wird durch folgende Zielstellungen motiviert:

  • Die Interaktion innerhalb eines komplexen sozio-technischen Systems spiegelt die berufliche Praxis in einer digitalisierten Arbeitswelt (Stichwort: Industrie 4.0) und fördert die Entwicklung von fachlichen aber auch fachübergreifenden Kompetenzen der Studierenden, z.B. der Fähigkeit zur Problemlösung bei Fehlermeldungen, die sich aus Umwelteinflüssen auf das System ergeben. Anders als eine Simulationsumgebung baut das Remote-Labor dabei auf echten Systemen auf, sodass die Studierenden konsequenterweise mit den Herausforderungen einer realen Umgebung konfrontiert werden. 
  • Die Optimierung der im Lehrbetrieb inhärenten Koordinationsaufgaben, wie die Ausgabe der Hardware, deren Wartung und technische Anpassung, erlaubt es dem Lehrenden, den Fokus stärker auf die inhaltliche Ausgestaltung zu legen.
  • Die Loslösung des Lernprozesses von zeitlichen und räumlichen Beschränkungen des Universitätsbetriebes wird der immer heterogeneren Studentenschaft gerecht, die den Lernprozess mit der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Informationen und Lernmitteln flexibel auf ihre individuelle Lebenssituation abstimmen können. Dass durch die Digitalisierung die aufwändige Infrastruktur bestmöglich ausgenutzt wird, ist ein positiver Nebeneffekt. Erste Untersuchungen im Remote-Labor zeigen, dass zwar 72% der Studierenden während der üblichen Laborzeiten von 8 bis 18 Uhr arbeiteten, das restliche Viertel verteilte sich aber über alle verbliebenen Stunden des Tages. Es ist offensichtlich, dass der dazu notwendige Koordinationsaufwand manuell gar nicht umsetzbar wäre.
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Die Studierenden können ihren Lernort frei wählen und sind nicht an Laborzeiten gebunden.

Anja Hawlitschek: Die Nutzung von Remote-Laboren bietet somit einen konkreten Mehrwert für Lehrende und Lernende. Um solche Konzepte realisieren zu können, müssen jedoch auch notwendige Rahmenbedingungen vorliegen bzw. geschaffen werden, beispielsweise eine hinreichende IT-Infrastruktur und IT-Kompetenzen, aber auch mediendidaktische Kompetenzen bei Lehrenden und Lernenden. Hier sollten die Hochschulen für nachhaltige Beratungs- und Unterstützungsangebote sorgen. Nicht jeder Fachbereich hat es dabei so leicht wie die Informatik mit ihren in der Regel doch sehr medienaffinen Lehrenden und Studierenden. Und natürlich ist nicht alles, was technisch möglich ist, in jedem Lehr-Lern-Szenario auch  sinnvoll. So sind Remote-Labore bisher nicht in der Lage, den Studierenden haptische und olfaktorische Reize zu bieten. Lehr-Lern-Inhalte, für die solche Sinneserfahrungen relevant sind, würde ich nicht in einem Remote-Labor bearbeiten lassen. In einem Teilprojekt untersuchen wir die Möglichkeiten, Remote-Labore auch im Maschinenbaustudium umzusetzen. Dabei stellen sich ganz neue Herausforderungen – zum einen in der technischen Realisation, da viele der Aufgaben bisher ein manuelles Eingreifen erforderlich machen und es darüber hinaus gilt, die hohen Sicherheitsstandards, die im Umgang mit solchen Maschinen erforderlich sind, einzuhalten. Zum anderen stellen sich didaktische Herausforderungen, so sollen angehende Ingenieure ein Gefühl für die Maschine bekommen, Schwingungen spüren – so etwas lässt sich über ein Webinterface derzeit noch nicht umsetzen.

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Der Screenshot zeigt unterschiedliche Komponenten des Remote-Labors. In der Mitte ist der Livestream aus dem Labor zu sehen, links die zur Verfügung stehenden Roboter mit Statusanzeige.

Wo lauern Stolperfallen für die erfolgreiche Vermittlung von Lerninhalten im Remote-Labor?

Sebastian Zug: Stolperfallen beim Lehren und Lernen mit digitale Medien gibt es eine ganze Menge. Das fängt bei der technischen Umsetzung an, geht über hochschulpolitische strategische Entscheidungen und hört bei der Betreuung der Studierenden während der Online-Phasen noch lange nicht auf. Um den zeitlichen Rahmen nicht zu sprengen, werden wir auf drei Herausforderungen fokussieren, die uns im Projekt „Industrial eLab“ besonders interessieren: Die didaktische Integration des Remote-Labors in die Lehrveranstaltung, der Umgang mit heterogenem Vorwissen der Studierenden und die Untersuchung des Einflusses der Nutzerfreundlichkeit und Zuverlässigkeit des Remote-Labors auf den Lernprozess.

Herausforderung 1: Wie binde ich digitale Medien – in unserem Fall das Remote-Labor – erfolgreich in meine Lehrveranstaltung ein?

Anja Hawlitschek: Die Frage nach der didaktischen Einbindung digitaler Medien stellt sich bereits sehr früh im Prozess der Planung einer Lehrveranstaltung:

  • Soll das Remote-Labor nur ein Zusatzangebot sein, welches ergänzend zur eigentlichen Lehrveranstaltung zur Verfügung steht?
  • Verfolgen wir einen Blended-Learning-Ansatz, in welchem Online-Arbeit im Remote-Labor und Präsenzphasen integriert sind?
  • Oder soll doch die gesamte Lehrveranstaltung online stattfinden?

Remote-Labore sind in der Regel aufgrund des Produktionsaufwandes nicht für eine bloße Ergänzung der Präsenzveranstaltung geeignet. Wenn Systeme jedoch bereits vorhanden sind, wäre es ein denkbares Einsatzszenario, den Studierenden bereits im ersten Semester einen ergänzenden Einblick in kommende Laborpraktika zu vermitteln und den Praxisbezug des Studiums zu verdeutlichen (z.B. in einem Hospitationsmodus). Die Gefahr, dass die Studierenden ein Angebot, auf welches in der Präsenzlehre nicht explizit Bezug genommen wird, nicht nutzen, ist dann allerdings hoch. Reine Online-Veranstaltungen sind aus unserer Sicht sinnvoll, wenn eine Einbettung in eine digitale Lernumgebung mit zusätzlichen Inhalten, Selbsttests und ähnlichen Angeboten erfolgt sowie ein durchdachtes Betreuungskonzept vorliegt.

In unserem Fall haben wir uns jedoch für einen Blended-Learning-Ansatz entschieden. Blended-Learning-Szenarien ermöglichen es, die Vorteile des flexiblen Online-Zugangs mit den Lernerfahrungen vor Ort und den intensiveren Betreuungsmöglichkeiten in einer Face-to-Face-Situation zu verbinden. Eine durchdachte didaktische Integration der Online- und Präsenzphasen sind eine Vorbedingung für erfolgreiche Lehre. Die Arbeitsphasen im Remote-Labor sind in die Präsenzlehre (Vorlesung und Übung) eingebunden. Während die Aufgaben, die im Remote-Labor während der Selbstlernphasen bearbeitet werden, durch die Vorlesung inhaltlich-theoretisch vorbereitet werden sollen, dient die Übung der praktischen Unterstützung der Studierenden.

Aus unserer Sicht ist das inhaltliche Zusammenspiel der unterschiedlichen Bestandteile der Lehrveranstaltung in Bezug auf die Vermittlung der Lehr-Lern-Ziele und die Vorbereitung auf die Prüfung entscheidend. Aus diesem Grund sollten die Lehr-Lern-Ziele der einzelnen Bestandteile der Lehrveranstaltung aufeinander abgestimmt sein und sich gegenseitig zum großen Ganzen ergänzen. Es ist anzunehmen, dass Studierende, die eine klare inhaltliche Verbindung zwischen den Inhalten der Vorlesung, den Aufgaben im Remote-Labor und der Übung herstellen können und den jeweiligen Nutzen der Bestandteile sehen, im Lernprozess motivierter sind und auch hinsichtlich des Lernergebnisses davon profitieren. 

In einer ersten empirischen Studie konnten wir diese Annahme bestätigen. Wir wollen an dieser Stelle nicht ins Detail gehen, sondern nur einen kurzen Einblick in die Ergebnisse geben. Mittels eines Online-Fragebogens erfassten wir die Zufriedenheit der Studierenden (N=37) mit der didaktischen Integration der Selbstlernphasen im Remote-Labor und der Präsenzphasen mit mehreren Items. Bei der Auswertung ergab sich ein signifikanter Zusammenhang mit dem Lernerfolg (in diesem Fall erfasst durch die Prüfungsnote). Umso zufriedener die Studierenden mit der inhaltlich-didaktischen Gestaltung der Lehrveranstaltung waren, desto besser fielen auch ihre Prüfungsnoten aus. Die Rolle der didaktischen Integration der Bestandteile von Blended-Learning-Veranstaltungen ist in der wissenschaftlichen Literatur noch relativ wenig erforscht. Unsere empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass dieser Aspekt von großer Bedeutung für Lernprozess und Lernerfolg ist und eine stärkere Berücksichtigung in Forschung zu und Lehre mit digitalen Medien finden sollte.

Herausforderung 2: Wie relevant sind individuelle Unterschiede der Lernenden und wie kann man diese im Remote-Labor berücksichtigen?

Sebastian Zug: In Informatik-Veranstaltungen im Bachelorstudium sind Lehrende mit einer sehr heterogenen Zielgruppe mit ganz unterschiedlichem Vorwissenstand konfrontiert. Einige Studierende programmieren seit ihrer frühesten Jugend, besuchen Hackathons und sind auf GitHub aktiv, andere beginnen erst im ersten Semester mit Hello World!. Unser Remote-Labor ist eine komplexe Lernumgebung in welcher die Studierenden aktiv Wissen explorieren und konstruieren sowie Fähigkeiten beim Programmieren eingebetteter Systeme erwerben und ausbauen. Kognitiv anspruchsvolle Lernaktivitäten wie Lernen durch Fehler sind gewollt und werden unterstützt.

Anja Hawlitschek: Die hohe kognitive Komplexität der Lernprozesse in solchen Lernumgebungen und die damit einhergehenden Herausforderungen für Lernende wurden im Rahmen der Cognitive Load Theorie (CLT) umfassend erforscht. Aus der Notwendigkeit, begrenzte kognitive Ressourcen im Arbeitsgedächtnis so effizient wie möglich einzusetzen, ergibt sich die Anforderung, die Komplexität der Lerninhalte an die Expertise des Lernenden anzupassen. Eine hohe Komplexität könnte einen Lernenden mit geringem Vorwissen überfordern und niedrigeren Lernerfolg und auch sinkende Motivation nach sich ziehen. Lernende mit wenig Vorwissen müssen daher bei der Bearbeitung unterstützt werden, während Lernende mit viel Vorwissen keine Unterstützung und gegebenenfalls sogar zusätzliche Herausforderungen benötigen.
Ergebnisse unserer empirischen Studie scheinen diese Annahmen zu unterstützen. Tatsächlich wirkt sich das unterschiedliche Vorwissen auf die Prüfungsnote der Studierenden aus. Je mehr die Studierenden bereits im Vorfeld über die Thematik wussten und je größer ihre Programmiererfahrung war, desto besser war am Ende die Prüfungsnote. Zielstellung sollte es natürlich sein, diesen Effekt so klein wie möglich zu machen. Auf die heterogenen Bedürfnisse der Studierenden einzugehen, ist selbst in Präsenzphasen eine Herausforderung, allerdings haben Lehrende hier eine größere Flexibilität und können auf Nachfragen und Feedback sofort eingehen. Für die digitalen Selbstlernphasen im Remote-Labor ist diese Möglichkeit nur in einem sehr geringen Maße gegeben, sodass der Lehrende die Bedarfe bereits im Vorfeld mitdenken muss.

Sebastian Zug: Die Entwicklung adaptiver Systeme, die sich auf den Lernenden einstellen, ist eine Lösungsmöglichkeit, an der wir in unserem Projekt arbeiten. Denkbar ist es, auf der Basis eines Vorwissenstests und/oder des Nutzerverhaltens im System eine Abschätzung der Kompetenzen der Lernenden vorzunehmen und diese bei Bedarf mit Anleitung und Feedback bzw. einem stärker strukturierten und weniger explorativen Vorgehen bei der Bearbeitung von Aufgaben zu unterstützen.

Herausforderung 3: Was passiert, wenn E-Learning-Angebote von Hochschulen hinsichtlich Design und Nutzerfreundlichkeit nicht mit Google, Facebook und Co. mithalten können?

Sebastian Zug: Machen wir uns nichts vor, Kurse in Moodle und ILIAS werden nie so schön aussehen, wie die MOOCs der Khan-Academy und die Nutzerfreundlichkeit der Google-Werkzeuge sind ein echter Maßstab, den unser Remote-Labor-System nicht erreichen kann. Dennoch entwickeln wir unser System entsprechend der modernen Standards der Webentwicklung, wodurch ein hohes Niveau der Nutzerfreundlichkeit gegeben ist.

Anja Hawlitschek: Aus wissenschaftlichen Studien wissen wir, dass die Nutzerfreundlichkeit eine zentrale Komponente für Nutzung und Lernerfolg darstellt. Das lässt sich sowohl motivationspsychologisch – die Nutzung eines unübersichtlichen oder instabilen Systems führt zu Frust – als auch im Rahmen der vorhin genannten CLT – kognitive Kapazitäten für die Bedienung des Systems, stehen für die Verarbeitung der Inhalte nicht zur Verfügung – erklären. Aufgrund der Rückmeldungen der Nutzer wussten wir bereits, dass im Remote-Labor, insbesondere was die Zuverlässigkeit des Systems und der Roboter betrifft, so einiges an Frustrationspotential und Verbesserungsmöglichkeiten vorhanden war. Umso überraschter waren wir über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie. Zwar klagten die Studierenden wie erwartet über die Unzuverlässigkeit des Remote-Labors. Auf einer Skala von 1 (stimme gar nicht zu) bis 5 (stimme voll zu), bewerteten sie die Zuverlässigkeit von Robotern und System im Durchschnitt eher negativ mit 2,01 (SD: 0,99). Auch mehrere Antworten einer offenen Frage zu den Nachteilen von Remote-Laboren im Vergleich zu Hands-On-Laboren beschäftigten sich mit dieser Thematik. Dennoch lassen sich keine statistischen Zusammenhänge zwischen der Beurteilung der Zuverlässigkeit des Remote-Labors und dem Lernerfolg finden. Auch die Bewertung der Einfachheit der Bedienung spielt hierfür keine statistisch signifikante Rolle. Egal wie unzufrieden die Lernenden mit der Zuverlässigkeit des Remote-Labors waren, für ihren Lernerfolg waren offenbar andere Faktoren relevant. Über die Gründe für dieses Ergebnis ließe sich in diesem Stadium des Projekts nur spekulieren. Dennoch gibt das Ergebnis Anlass zu vorsichtigem Optimismus: Vielleicht spielen die Bedienbarkeit und selbst die Zuverlässigkeit bei digitalen Lernumgebungen unter bestimmten Umständen doch nicht eine so entscheidende Rolle, zumindest so lange ein bestimmter Schwellenwert der Unzuverlässigkeit nicht erreicht wird. Wir können auch hier das Primat der Didaktik postulieren: Nutzerfreundlichkeit, Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten und ansprechendes Design machen alleine noch kein gutes Lernangebot, relevant für den Lernerfolg ist vor allem der didaktische Nutzen.

Welche Erträge werden aus dem Projekt erwachsen, die auch für andere Lehrende von Nutzen sein können?

Sebastian Zug: Die im Projekt entwickelte Software wird als Open-Source Software veröffentlicht und steht somit für den Einsatz durch andere Lehrende in unterschiedlichsten Lernszenarien zur Verfügung. Die quelloffene Struktur erlaubt es dabei, die Software auf den jeweiligen Einsatzzweck anzupassen. Ein Bestandteil dieser Struktur soll eine Plattform für die Erstellung von Lerninhalten für das Remote-Labor sein. Darüber können Aufgaben, Dokumentation, Tests und Hilfen erstellt und von anderen Lehrenden ergänzt und weiterentwickelt werden. Den aktuellen Stand findet man auf GitHub.

Anja Hawlitschek: Auch aus der didaktischen Perspektive wird es handfeste Ergebnisse geben. Die empirische Begleitung des Projektes hat bereits einige bemerkenswerte Erkenntnisse zu Tage gefördert. Im weiteren Verlauf werden diese Studien noch intensiviert und um solche Komponenten wie Adaptivität des Lehr-Lern-Systems erweitert. Zusätzlich zu den Befragungen der Studierenden stehen uns dann auch Nutzungsprotokolle zur Verfügung, die Einblicke in das Lernverhalten der Studierenden geben. Auf Grundlage unserer Forschungserkenntnisse werden Empfehlungen und Anleitungen erarbeitet, die Lehrende bei der Gestaltung von Remote-Laboren unterstützen. Die Ergebnisse werden über die Homepage des Projekts Industrial eLab veröffentlicht, dort finden Sie auch weitere Informationen zum „Industrial eLab“.

 

1Ein Mikrocontroller ist in diesem Zusammenhang ein sehr kompakter Rechner mit einer reduzierten Leistungsfähigkeit aber vielen Schnittstellen, um Daten und Umgebung zu erfassen und darauf zu reagieren. Entsprechend arbeiten Mikrocontroller in den sogenannten eingebetteten Systemen häufig im verborgenen – der Rechner selbst bleibt „unsichtbar“, allein das Ergebnis des Zusammenspiels der verschiedenen Komponenten wird beim Aufzug, beim Kaffeeautomaten oder beim Robotersystem wahrgenommen.

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Dieser Erfahrungsbericht ist Teil des Themenspecials Was macht Lernen mit digitalen Medien erfolgreich?.