Hemmnisse und Erfolgsfaktoren für OER: Forschungsprojekt der Hochschule Karlsruhe stellt neueste Erkenntnisse vor

24.10.2017: Wie kann das Auffinden von relevanten freien Bildungsmaterialien – sogenannten Open Educational Resources (OER) – erleichtert werden? Welche Gründe können Lehrende davon abhalten, eigene Materialien zu teilen? Welche Maßnahmen helfen dabei, den Aufbau und die Verwendung von OER-Repositorien zu fördern? Diesen und anderen Fragen widmet sich ein Forschungsprojekt der Hochschule Karlsruhe, das sich mit der Entwicklung von Annotations-, Begutachtungs- und Anreizkonzepten für OER beschäftigt. In einer Umfrage zur Nutzung von OER konnten erste Erkenntnisse gesammelt werden, welche die Projektmitarbeiter Martin Mandausch und Marc Riar im Interview vorstellen.

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Dipl.-Inform./ Dipl.-Ing.Päd. Martin Mandausch und Marc Riar, M. Sc vom Forschungsprojekt "Annotations-, Begutachtungs- und Anreizkonzepte für OER-Repositorien unter bes. Berücksichtigung hochschuldidaktischer Einsatzszenarien"

e-teaching.org: Sie befassen sich in Ihrem Projekt mit freien Bildungsmaterialien im Kontext der Hochschullehre. Warum brauchen wir OER für die Hochschulen?

Projektteam: Für Hochschulen bieten digitale Lehr- und Lernmaterialien das Potenzial, die Qualität der Lehre zu verbessern. Die Entwicklung von hochwertigen digitalen Bildungsressourcen ist oft mit einem hohen Aufwand verbunden. Daher entsteht ein Mehrwert vor allem dann, wenn diese Materialien weiterverbreitet und wiederverwendet werden können. Neben einer Verbesserung der Qualität in der Lehre und der Verbreitung von guten Lehrbeispielen, kann durch freie Bildungsmaterialien für Hochschulen auch die Kosteneffizienz des Einsatzes öffentlicher Mittel verbessert werden. Gerade aber über den didaktisch sinnvollen Einsatz freier Bildungsmaterialien wünschen sich Hochschullehrende mehr Informationen und Weiterbildungsangebote. Dies zu unterstützen stellt eine Aufgabe in unserem Projekt dar.

e-teaching.org: Im Frühjahr 2017 haben Sie im Rahmen Ihres Projekts eine Umfrage zur Nutzung freier Bildungsmaterialien in der Hochschullehre durchgeführt. Gibt es hierzu schon erste Erkenntnisse? Wie verbreitet ist die Nutzung von OER und wenn diese genutzt werden, werden sie dann über hochschuleigene Datenbanken – sogenannte Repositorien – abgerufen?

Projektteam: An unserer Befragung haben 360 Personen teilgenommen und von den Ergebnissen lassen sich viele interessante Erkenntnisse ableiten. Festzuhalten gilt, dass rund die Hälfte der Befragten noch eingeschränkte Kenntnisse über OER vorweisen.

 

Ergebnis der Umfrage 2017 zur Nutzung freier Bildungsmaterialien in der Hochschullehre
Ergebnis der Umfrage 2017 zur Nutzung freier Bildungsmaterialien in der Hochschullehre

 

Ob und wie oft OER über dafür vorgesehene Repositorien abgerufen werden, haben wir in der Art nicht abgefragt. Es war uns wichtiger festzustellen, welche Suchmöglichkeiten Lehrende für besonders gut erachten, bzw. welche spezifischen Präferenzen bezüglich der Suchmöglichkeiten für OER bestehen. Am besten haben Suchmaschinen abgeschnitten, die speziell frei lizenzierte Bildungsmaterialien zur Verfügung stellen. Auch allgemeine Suchmaschinen wie Google werden für gut geeignet gehalten, um nach OER zu suchen. Dienste an den eigenen Institutionen, wie z. B. Bibliotheken oder Rechenzentren, wurden dagegen zum jetzigen Stand als am wenigsten geeignet gehalten. Dies versucht man aber gerade z. B. an der Universitätsbibliothek in Tübingen, mit der wir eng kooperieren, mit der Einrichtung eines zentralen OER-Repositoriums zu ändern.

e-teaching.org: Aus Ihren Ergebnissen lässt sich ablesen, dass es momentan noch eine große Herausforderung darstellt, Lehrende dazu zu bringen, OER für die eigene Lehre zu nutzen und auch selbsterstellte Materialien einzustellen. Welche Gründe gibt es für eine Nicht-Nutzung auf Seiten der Lehrenden an Hochschulen?

Projektteam: Unseren Ergebnissen zufolge, können die Hemmnisse sehr unterschiedlicher Natur sein. Für die ausbleibende Verwendung von OER wurden besonders häufig rechtliche Aspekte und die mangelnde Verfügbarkeit von Materialien genannt. Diese eingeschränkte Verfügbarkeit lässt sich auch auf Schwierigkeiten bei der Auffindbarkeit passender Materialien zurückführen. Umso wichtiger ist es für zukünftige OER-Repositorien bei der Speicherung von OER auf eine adäquate Hinterlegung von Metadaten zu achten. Für die Zurückhaltung bei der Veröffentlichung von OER spielen auch rechtliche Aspekte sowie zeitliche Aspekte eine Rolle. Ein weiterer Grund dafür liegt darin, dass viele Lehrende die Befürchtung haben, die Kontrolle über ihre eigenen Materialien zu verlieren, wenn diese jedem frei und veränderbar zur Verfügung gestellt werden. Wir sind jedoch der Meinung, dass ein unzureichender Informationsstand der Lehrenden über OER noch das größte Problem darstellt. Hier ist es die Aufgabe der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ihre gute Arbeit fortzuführen, um die Aufmerksamkeit der Lehrenden rund um das Thema OER zu stärken und Informationsarbeit über die Vorteile von OER zu betreiben.

e-teaching.org: Wie können Anreizsysteme für den Aufbau aber auch für die Nutzung von OER-Repositorien aussehen?

Projektteam: Anreizsysteme für OER-Repositorien können sehr unterschiedlich aussehen. Die Ergebnisse aus unserer Befragung weisen beispielsweise darauf hin, dass einige Nutzer auf eine hohe Sichtbarkeit der eigenen Aktivitäten mit der Möglichkeit einer Reputationssteigerung Wert legen. Andere wiederum könnten zur Veröffentlichung von freien Bildungsmaterialien ermutigt werden, wenn sie die Möglichkeit haben, diese gemeinsam mit anderen zu erstellen. OER-Repositorien können diesen und weiteren Aspekten gerecht werden, um eine aktive Beteiligung zu fördern. Besonderes Augenmerk sollte auch auf erkannte Hemmnisse, OER bereitzustellen, gelegt werden, die durch entsprechende Funktionalitäten eines Repositoriums überwunden werden könnten. Wie bereits erwähnt, ist ein konkretes Beispiel für ein Hemmnis, dass viele Lehrende nicht die Kontrolle über ihre bereitgestellten Materialien verlieren möchten. Um ein gewisses Maß an Kontrolle zu gewährleisten, z. B. darüber, wie lange eine Ressource im Repositorium zur Verfügung steht, könnte eine Art Ablaufdatum für Materialien festgelegt werden. Ein Grund für den Wunsch einer zeitlichen Beschränkung ist häufig, dass Lehrende als Herausgeber nicht mit veralteten Materialien in Verbindung gebracht werden möchten. Daher wäre auch eine automatisierte E-Mail-Funktion denkbar, durch welche die Autoren nach Ablauf einer bestimmten Zeit daran erinnert werden, dass ihre Ressource auf Aktualität überprüft werden sollte. Dies sind natürlich nur einige Beispiele. Geeignete Anreize für die Nutzung freier Bildungsmaterialien zu finden ist eine besondere Herausforderung, da es nicht den einen Anreiz gibt, auf den alle Nutzer ansprechen. Vielmehr machen intra- und interindividuell unterschiedliche Motivlagen vielfältige Anreize erforderlich, die wir in unserem Projekt aktuell näher beleuchten.

e-teaching.org: Ein Erkenntnisinteresse Ihres Projektes betrifft Annotationskonzepte, die etwa das Problem der adäquaten Verschlagwortung von OER beinhalten. Tatsächlich ist es ja oft schwierig, OER zu finden, die für die eigene Lehrsituation passen. Wie können Annotationen bei der Gestaltung von OER-Repositorien verwendet werden, um Lehrenden das gezielte Auffinden von Lehr-/Lernmaterialien zu erleichtern?

Projektteam: In unserem digitalen Alltag nutzen wir Metadaten – dies ist mit Annotationen im Zusammenhang mit OER gemeint – wie selbstverständlich ohne darüber nachzudenken. Wenn wir beispielsweise Dokumente nach Namen oder Erstellungsdatum sortieren lassen, um eine bestimmte Datei zu finden, helfen uns Metadaten. So funktioniert das auch bei der Suche nach passenden Bildungsmaterialien. Je spezifischer sich der Kontext gestaltet, in dem nach geeigneten Lehr-Lern-Materialien gesucht wird, umso mehr geeignete Metadaten werden benötigt, um diese Suche systemseitig adäquat unterstützen zu können. Wir haben im Projekt einige Metadatenstandards auf Aktualität, Zukunftssicherheit, Interoperabilität und auf hochschulspezifische Anforderungen hin untersucht. Unsere Empfehlung ist die Repräsentation der Metadaten von Bildungsmaterialien in maschinenlesbarer Form durch semantische Annotationen. Dies stellt sowohl strukturelle als auch semantische Interoperabilität sicher, ermöglicht also, dass Metadaten (und mit ihnen beschriebene Ressourcen) aus unterschiedlichen heterogenen Anwendungen flexibel miteinander verknüpft werden können. Das bedeutet, dass die Suche über unterschiedliche Repositorien hinweg oder mit allgemein verbreiteten Suchmaschinen wie z.B. Google ermöglicht wird.

 

Ergebnis der Umfrage 2017 zur Nutzung freier Bildungsmaterialien in der Hochschullehre
Ergebnis der Umfrage 2017 zur Nutzung freier Bildungsmaterialien in der Hochschullehre

 

e-teaching.org: Sie sprachen hochschulspezifische Anforderungen an. Welche speziellen Anforderungen bestehen in Bezug auf Metadaten im Hochschulkontext? Gibt er hier z.B. Unterschiede zum schulischen Kontext?

Projektteam: Während im schulischen Kontext die Orientierung an Rahmenlehrplänen möglich ist, wird für den Hochschulsektor ein wesentlich flexibleres Instrument benötigt, das dem Grundsatz von freier Forschung und Lehre gerecht wird. Das im EU-Projekt INTUITEL entwickelte Konzept zur maschinenlesbaren Repräsentation von beliebig komplexen didaktischen Strukturen (Lernpfaden) ist geeignet, um jedwede Lehr- oder Lernressource in ihrem fach- oder hochschulspezifischen Kontext einzuordnen und für gezielte Suchen maschinenlesbar darzustellen. So lassen sich Bildungsmaterialien auf ganz konkrete Einsatzszenarien hin filtern und finden.

e-teaching.org: In Bezug auf OER wird häufig über die Qualität der Materialien diskutiert. Begutachtungssysteme bieten hier einen Ansatz zur Qualitätssicherung. Welche Möglichkeiten der Begutachtung gibt es in OER-Repositorien?

Projektteam: Unsere Umfrage hat ergeben, dass ein Hemmnis freie Bildungsmaterialien zu verwenden darin besteht, dass diesen oft keine allzu hohe Qualität zugerechnet wird. Die wahrgenommene Qualität von freien Bildungsmaterialien spielt also bei der Entscheidung diese auch tatsächlich zu verwenden eine große Rolle. Daher ist es wichtig, dass OER-Repositorien mit einem Qualitätsbewertungssystem ausgestattet sind. Mögliche Umsetzungen können von einfachen, z. B. auf Zustimmung („Finde ich gut“) beruhenden Mechanismen bis hin zu genaueren Überprüfungen durch Fachexperten und der Einführung eines Qualitätssiegels reichen. Unsere Befragung hat jedoch ergeben, dass insbesondere qualitatives Feedback von der Community, in Form von Kommentaren und Anmerkungen, als ein besonders geeignetes Mittel erachtet wird, um die Qualität von freien Bildungsmaterialien zu beurteilen.

e-teaching.org: Sie haben sich seit Januar bereits stark in der OER-Community vernetzt. Sind Ihnen im Austausch mit den anderen Aktiven Anknüpfungspunkte aufgefallen, denen man besonderes Augenmerk schenken sollte?

Projektteam: Während diverser Kooperationstreffen, Expertise-Runden und Workshops, an denen wir teilgenommen haben, wurde uns klar, dass es eine Vielzahl an Projekten in Deutschland gibt, die vergleichbare Interessen haben und vor ähnlichen Herausforderungen oder Aufgaben stehen wie wir. Ein hochschul- und projektübergreifender Austausch über Erfahrungen und Erfolgskonzepte erschien uns daher von Anfang an sinnvoll. Wie aus unseren Umfrage-Ergebnissen hervorgeht, benötigen Lehrende mehr Kenntnisse zu freien Bildungsressourcen, um davon wirklich profitieren zu können. Genau das war auch Thema des JOINTLY-Workshops ( www.jointly.info ) und der OERCamps an denen wir teilgenommen und gemeinsam mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren unter anderem an Qualifizierungskonzepten für Lehrende gearbeitet haben. Weiterhin haben wir beispielsweise Kontakte zu verschiedenen Betreibern von Plattformen hochschuldidaktischer Internetangebote geknüpft und eine Themengruppe zu OER-Metadaten gegründet, welche unser Projekt mitverantwortet, mit dem Ziel, kontinuierlich mit anderen Projekten zu kooperieren. Es gibt also eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten mit anderen Projekten, durch die Synergien entstehen und von denen alle Involvierten profitieren können.

e-teaching.org: Ausgehend von den bereits gegebenen Empfehlungen für OER im Hochschulkontext, welche weiteren Schritte sind in Ihrem Projekt geplant?

Projektteam: Weitere Aktivitäten in unserem Projekt umfassen beispielsweise die Erstellung eines Kriterienkatalogs für die Qualitätsbewertung von OER sowie die Durchführung von Usability-Untersuchungen, mit dem Ziel, Empfehlungen zur Benutzerfreundlichkeit von OER-Repositorien im Allgemeinen und bei der Erfassung von Metadaten abgeben zu können. Natürlich möchten wir unsere Ergebnisse auch nachhaltig der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und daher wird eine weitere Aufgabe darin bestehen, unsere Studienergebnisse und Empfehlungen im Laufe des Projekts zu veröffentlichen. Gerne stehen wir auch bei der praktischen Umsetzung unserer Ergebnisse beratend zur Seite, z. B. bei der Weiterentwicklung von Lehrforum.de, einem Dienst der Geschäftsstelle der Studienkommission für Hochschuldidaktik an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg (GHD). Über die aktuellen Entwicklungen im Projekt berichten wir hier auf e-teaching.org, auf der Learntec 2018 oder auf unserer Projekthomepage  und freuen uns über Kontaktaufnahmen, um mit Interessierten in Austausch und Diskurs zu gelangen.

e-teaching.org: Herr Mandausch und Herr Riar, haben Sie vielen Dank für das informative Gespräch.

Dieses Projekt ist eines von zehn Projekten, die im Rahmen des Förderprogramms "Digital Innovations for Smart Teaching - Better Learning" vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg gefördert werden. Nähere Informationen zum Förderprogamm, sowie eine detaillierte Beschreibung des Projektes finden Sie auf der Portalseite des Förderprogramms hier auf e-teaching.org. 

Weitere Hintergrundinformationen zum Thema OER finden Sie in unserem Übersichtsartikel Open Educational Resources.

Beitragende

Ich studierte Informatik und Ingenieur-Pädagogik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und bin seit 2010 Akademischer Mitarbeiter am Fernstudienzentrum (FSZ) des KIT. Ich beschäftige mich in Projektarbeit hauptsächlich mit der medien- und technikdidaktischen
Konzeption von Online-Seminaren mit Präsenzanteil (Blended-Learning) und deren Durchführung.