Soziales Frühwarnsystem: Software erkennt kritischen Studienverlauf

23.11.2017: Studienberatungsstellen sind für Studierende häufig die erste Anlaufstelle, wenn Probleme oder Fragen im Studium auftauchen. Wie aber kann Studierenden geholfen werden, die nicht von sich aus Hilfe suchen? Unterstützungsbedarf zu erkennen und präventiv auf Studierende zuzugehen, ist für Studienberatungen angesichts der schieren Größe einer Hochschule oftmals schwer. Deshalb hat die Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart nun ein soziales Frühwarnsystem mit Namen LAPS entwickelt, das ab dem Wintersemester 2017/18 zum Einsatz kommt. Das technische System identifiziert Risiken im Studienverlauf, so dass rechtzeitig Präventionsmaßnahmen ergriffen werden können.

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Die Ursachen für Probleme im Studium können vielfältig sein: Eine wiederholt nicht bestandene Prüfung, Defizite bei der Selbstorganisation, aber auch studienexterne Gründe wie familiäre oder ökonomische Belastungen können dazu führen, dass Studierende während ihres Studiums in Schwierigkeiten geraten. Bisher war es kaum möglich diese Studierenden wirkungsvoll zu unterstützen, wenn sie nicht selbst aktiv wurden. Daher hat die Hochschule der Medien nun eine Software entwickelt, die kritische Momente im Studienverlauf sichtbar macht und es Studienberatern so ermöglicht, frühzeitig das Gespräch mit den Studierenden zu suchen. Wie soll das funktionieren? Wie kann Software helfen, Studierende in ihrem individuellen Studium zu begleiten?

Hinter dem Software-Projekt steckt die Idee, auf das Prinzip von Learning Analytics zurückzugreifen; die Abkürzung „LAPS“ steht für „Learning Analytics für Prüfungsleistungen und Studienerfolg“. LAPS basiert auf einer statistischen Auswertung der demografischen Daten und Daten der Studienverläufe von ehemaligen Studierenden. Mit diesen Analyseergebnissen können die Studienverläufe von aktuellen Studierenden verglichen werden. Das erlaubt Rückschlüsse auf den Studienerfolg. Wie muss man sich das vorstellen?

Mit Hilfe der LAPS-Software werden statistische Wahrscheinlichkeiten abgeleitet. Eine Risikokombination, die von LAPS berechnet wurde, könnte wie folgt aussehen: Studierende, die innerhalb der ersten vier Semester weniger als 80 ECTS erbracht und sich bereits im fünften oder höheren Semester befinden, haben eine Abbruchwahrscheinlichkeit von 73 Prozent. Trifft diese Merkmalskombination auf einen Student oder ein Studentin zu, so ist von einer sehr ähnlichen Wahrscheinlichkeit für den jeweiligen Studienerfolg auszugehen. Das Interessante ist, dass bereits die Ergebnisse der Prüfungen des ersten Semesters genutzt werden können und so sehr viel früher als bisher ein Beratungs- und Unterstützungsprozess eingeleitet werden kann. Wer sich auf das Verfahren einlässt, erhöht die Chancen auf den Studienerfolg.

Das Programm ist als Open-Source-Projekt angelegt, so dass zukünftig auch andere Hochschulen dieses nutzen und weiterentwickeln können. Im Gegensatz zu herkömmlichen Learning-Analytics-Lösungen legt LAPS keine fixen Kriterien für den Studienerfolg fest, sondern berücksichtigt je nach Studiengang die entsprechenden Erfolgsfaktoren, die sich durch die Analyse der Studienverläufe ehemaliger Studierender herausstellen. Studierende, bei denen nach dem Analysevorgang von LAPS Anzeichen auf einen eventuell kritischen Studienverlauf festgestellt werden, erhalten ein automatisch versandtes Anschreiben mit der Einladung und dem Angebot zu einem Beratungsgespräch.

Ob die Studierenden an dem Projekt teilnehmen und ihre Noten und Prüfungsleistungen mit dem Datenpool von LAPS vergleichen, können sie zu Semesterbeginn selbst entscheiden. Um den Datenschutz zu gewährleisten, wurden schon zum Projektstart von LAPS auch die Experten des Instituts für Digitale Ethik (IDE) der HdM eingebunden. Das IDE trägt dafür Sorge, dass sowohl bei der Entwicklung als auch beim Betrieb von LAPS das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleibt. Wenn  Studierende durch die Datenauswertung auf Probleme hingewiesen werden, entscheiden sie selbst, ob sie das Unterstützungsangebot annehmen oder nicht und an wen sie sich in diesem Fall wenden wollen, die Zentrale Studienberatung oder die Fachstudienberatung. Im Sinne der Informationssicherheit wird darüber hinaus sichergestellt, dass alle erhobenen Daten von der Studienberatung vertraulich behandelt werden. Wenn Studierende durch LAPS eine E-Mail erhalten, erfährt demnach weder ihr Professor oder ihre Professorin noch eine andere notengebende Person davon.

Ein typischer Beratungsablauf bei der Zentralen Studienberatung sieht dann so aus, dass erst einmal die persönliche Situation des Studierenden geklärt wird: Wo liegen eventuelle Schwierigkeiten – fordert z. B. der Nebenjob zu viel Zeit, sind die fachlichen Anforderungen zu hoch, fehlen effektive Lernstrategien, liegen belastende persönliche Umstände vor usw. Bei einem Gespräch mit der Fachstudienberatung stehen eher studienfachliche Fragen im Vordergrund wie z. B.: Was ist bei der Planung der Prüfungsleistungen der kommenden Semester zu beachten, um rechtzeitig innerhalb der Frist das Grundstudium zu bestehen? Gibt es unterstützende Lehrveranstaltungen und Tutorien, um Lücken aufzuholen?

Die Verfasste Studierendenschaft (VS), der LAPS in einer Ratssitzung vorgestellt wurde, reagierte positiv auf das Projekt. Die Studentin Lea Baumgärtner von der VS beurteilt etwa die verschiedenen Möglichkeiten, die LAPS bietet, als sehr gut. So kann die Software nicht nur zur Krisenbewältigung bei Studienproblemen eingesetzt werden, auch Studierende mit sehr guten Leistungen können durch LAPS unterstützt werden und z.B. auch Hinweise auf Stipendien erhalten. „Ich denke, wenn die Daten sicher verwaltet werden und weder öffentlich gemacht noch weitergegeben werden, können alle Studierenden nur profitieren“, so Lea Baumgärtner.

Das Landeshochschulgesetz von Baden-Württemberg fordert in § 32 (5) alle Hochschulen ausdrücklich dazu auf, ihre Studierenden zu unterstützen: „Die Hochschulen tragen durch eine frühzeitige Begleitung der Studierenden, insbesondere auch in der Studieneingangsphase, für einen Studienerfolg Sorge“ (ebd.). Aber nicht nur deshalb kann der Einsatz eines IT-Systems wie LAPS sinnvoll erscheinen. Letztlich ist es häufig auch ein persönliches Anliegen der Hochschulen wie etwa der für die Entwicklung von LAPS verantwortlichen HdM, dass ihre Studierenden ihr Studium erfolgreich abschließen können. Die Erfahrung vieler Studienberatungsstellen zeigt nämlich, dass in der Praxis viele Studierende mit Beratungsbedarf oft sehr spät zur Beratung kommen.

Die Entwicklung von LAPS wird im Rahmen des Programms „Digital Innovations for Smart Teaching ­– Better Learning“ vom Land Baden-Württemberg für zwei Jahre gefördert. Mehr über das Projekt und das Förderprogramm können Sie auf dieser Portalseite erfahren.

Text: Eva Tilgner

Ansprechpersonen für LAPS:

  • Dr. Petra Grimm (Medienethik)
  • Dr. Mathias Hinkelmann (Projektleitung)
  • Tobias Jordine (Implementierung)
  • Dr. Tobias Keber (IDE)
  • Verena Kersken (Zentrale Studienberatung)
  • Dr. Johannes Maucher (KI)
  • Karla Neef (IDE)
  • Katrin Sauermann (Zentrale Studienberatung)
  • Dr. Roland Schmitz (Datenschutz)