Rezension Jandrić & Boras (2015)

Rezension zu Jandrić, P. & Boras, D. (2015). Critical Learning in Digital Networks. Cham: Springer.

In der europäischen E-Learning-Forschung hat der Begriff „Technology-Enhanced Learning”, der bei genauem Hinsehen ein a priori „verbessertes“ Lernen durch Medien impliziert, den Ausdruck „E-Learning“ in den vergangenen Jahren immer mehr abgelöst, nicht zuletzt durch groß angelegte EU-Förderlinien. Im Buch wird u.a. anhand empirischer Befunde aufgezeigt, dass in politischen Dokumenten sprachlich nicht selten eine deterministische und desubjektivierende Bezugsetzung zwischen Technologie und Lernen vorgenommen wird. Die soziale Interaktion zwischen Lernenden und Lehrenden kommt – so die Wahrnehmung der Autor/innen im Buch – tendenziell zu kurz, wenn ein rein instrumentalistischer Einsatz von Technologie zur Optimierung von Lernprozessen angestrebt wird. Den Begriff „Networked Learning“ schlagen sie als Alternative vor, um intersubjektive Aspekte des modernen Lernens mit digitalen Medien wieder stärker in den Vordergrund zu rücken und Zielsetzungen des E-Learnings zu hinterfragen. Die insgesamt zehn Artikel zeigen Wege auf, um eine von der Kritischen Pädagogik inspirierte Bildung mit digitalen Medien umsetzen zu können. Sie befassen sich dabei z.B. mit den Übergängen zwischen virtuellen und real existierenden Orten und mit Fragen des freien Zugangs zu Bildungsressourcen im Internet.

Während sich das Buch im ersten Teil vorwiegend mit definitorischen und philosophischen Fragen beschäftigt, wird es in den mittleren Kapiteln auch praktisch relevant. So analysieren Sinclair und Macleod Online-Dialoge zwischen Lehrenden und Lernenden im Fernstudiengang „Digital Education“ der Universität Edinburgh in Bezug auf das Verständnis, welches die Beteiligten von Virtualität und Realität entwickeln. Newton und Pak zeigen anhand von Beispielen aus dem Architekturstudium, wie reale und virtuelle Orte beim designorientierten vernetzten Lernen eng miteinander in Bezug stehen. Avramidis und Drakopoulou setzen sich mit informellem Lernen am Beispiel der Graffiti-Subkultur auseinander, bei dem kommunikative und pädagogische Praktiken zunehmend technologievermittelt stattfinden. Jaakola schließlich formuliert Anhaltspunkte für die Entwicklung eines Modells zur Unterstützung kritischer Reflexion bei Lehrenden, die mit ihren Studierenden vernetzt lernen möchten. Den Abschluss bildet ein ausführliches Interview mit dem US-amerikanischen Bildungssoziologen Peter McLaren, einem der aktuell wohl bekanntesten internationalen Vertreter der Kritischen Pädagogik, in dem er das aktuelle Begriffsverständnis von „vernetztem Lernen“ im Kontext zwischen marktwirtschaftlichen, persönlichen und staatlichen Informationsinteressen reflektiert.

Zusammenfassend kann das Buch vor allen Dingen denjenigen empfohlen werden, die E-Learning-Szenarien umsetzen möchten, die eine aktive und kritische Mitgestaltung durch die Lernenden einfordern, wobei ein Interesse an erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen – trotz augenscheinlicher Interdisziplinarität – vorhanden sein sollte, da Vorwissen in Bezug auf die Kritische Pädagogik an einigen Stellen vorausgesetzt wird.

Letzte Änderung: 29.10.2018