10 Themen als Anregungen für die neue Bundesbildungsministerin

13.03.2018 | Kurzmeldung

Mit welchen Themen im Bereich (digitale) Bildung und Forschung sollte sich die neue Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in der aktuellen Legislaturperiode befassen? Was wird in den nächsten dreieinhalb Jahren besonders wichtig? Diese Fragen hat das Hochschulforum Digitalisierung an 10 Expertinnen und Experten gestellt und die Antworten in einem Blogbeitrag veröffentlicht. Auch e-teaching.org hat sich mit einem Statement beteiligt.

Bitte beachten Sie: Die Beiträge spiegeln die individuelle Sicht der Autorinnen und Autoren und nicht notwendigerweise die von e-teaching.org oder des Hochschulforum Digitalisierung wieder.

1 - Mehr Reflexion: Bildung im Zusammenhang der Digitalisierung sehen

Allerdings fehlt es an Reflexion, um die technischen Entwicklungen in einen gesellschaftlichen und historischen Zusammenhang zu setzen. Die “digitale Revolution” ist nur nach vorne gerichtet und konfrontiert uns ständig mit neuen “Lösungen”. Am Beispiel der Bildung ist die Vernachlässigung von grundlegenden Fragen besonders eklatant. Beispielsweise gibt es eine weitverbreitete Annahme, dass sich Lernen und Lehren durch den Einsatz von Smartphones und co. automatisch verbessert. Das ist natürlich Unsinn. Andererseits gibt es vielfältige Möglichkeiten, Bildung durch digitale Medien anders zu machen.

Welches das sind, lässt sich nicht pauschal und im Voraus bestimmen, sondern erfordert einen fortwährenden Dialog zwischen Politik, Wirtschaft, (Bildungs-)Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

PD Dr. Markus Deimann, FH Lübeck

2 - Open Source als Digitalisierungs- und Bildungsmotor

Der nahezu flächendeckende Einsatz von Closed Source (Microsoft Windows, Office, etc) im öffentlichen Sektor (auch an Hochschulen) hat eine viel zu große technische und wirtschaftliche Abhängigkeit von der amerikanischen IT-Industrie ergeben und die Entwicklung der eigenen IT massiv beeinträchtigt.

Die Sicherheitslücken und die Angriffsfläche von Closed Source sind wesentlich umfangreicher als bei Open Source. Durch Hintertüren in Closed Source ist eine externe Einflussnahme und Spionage jederzeit möglich. Das blinde Vertrauen in Closed Source kommt einer Bankrott-Erklärung der deutschen Sicherheitsforschung gleich. Was an deutschen Hochschulen geforscht wird, kann mitgelesen werden.

Ausschreibungen und Vergabeverfahren bei der IT-Beschaffung berücksichtigen nicht die Interessen Deutschlands nach mehr Sicherheit, Eigenständigkeit, Digitalisierungs- und Bildungsförderung der eigenen Gesellschaft. Eine grundlegende Änderung kann nur politisch gewollt und eingeleitet werden. Das Bekenntnis des öffentlichen Sektors zu Open Source wäre hier ein entscheidender Schritt. Bei den Lehrmaterialien ist entsprechend auf Open Educational Resources (OER) zu setzen, die mit besserer Software zu deren Erstellung zu unterstützen sind.

Um das digitale Gemeingut  muss sich die Politik kümmern, bevor es in Closed Source eingefangen und der freie Zugang darauf der Gesellschaft entzogen wird.

Prof. Dr. Manfred Kaul ist Professor für Informatik an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg

3 - Chancen der Digitalisierung in der Bildung und Forschung nutzen und auf die Werte der Open-Bewegung setzen

Um Bildung und Forschung im 21. Jahrhundert erfolgreich gestalten zu können, müssen Chancen der Digitalisierung genutzt werden. Zentral ist der Beitrag der Digitalisierung zur Öffnung und Offenheit in der Bildung und Forschung. Ansätze wie Open Access (freier Zugang zu wissenschaftlicher Literatur), Open Source (freie Bildungs-/Software), Open Hardware (freier Zugang zu Hardware), Open Content, Open Educational Resources (offene Bildungsressourcen), Open Credentials / Open Badges, Open Data, Open Research, Open Education, zeigen, wie durch Digitalisierung, die auf den Werten der Offenheit, Gleichheit und Partizipation basiert, Mehrwerte für die Gesellschaft geschafft werden können.

In den nächsten dreieinhalb Jahren wird besonders wichtig sein, Öffnung und Offenheit durch Digitalisierung zu stärken, um einen diskriminierungsfreien Zugang zu Bildung und Forschung zu sichern und die Chancen auf Erneuerung und Innovation in Bildung und Forschung zu erhöhen.

Prof. Dr. Ilona Buchem, Beuth Hochschule für Technik Berlin

4 - OER als Voraussetzung der Digitalisierung

Die Digitalisierung der (Hoch-)Schulen ist eines der wesentlichsten Themen unser Zeit am Bildungssektor. Es geht darum, Bildung so zu gestalten, dass die zukünftige Gesellschaft auf den (Berufs-)Alltag vorbereitet wird. Das beginnt eigentlich im Kindergarten, geht über die Grund – und Pflichtschule bis in den tertiären Bereich - beziehungsweise auch darüber hinaus.

Ein großer Punkt sind dabei die Lehrinhalte, die es zu produzieren gilt und auch entsprechend anzubieten. Um zu gewährleisten, dass diese Inhalte in verschiedensten Kontexten, von unterschiedlichen Hochschulen, von beliebig vielen Lehrenden und eben allen Lernenden auch verwendet werden können, gilt es die korrekte Lizenzierung zu wählen. Hier kommen OER (Kurzform für Open Educational Resources) bzw. freie Bildungsressourcen ins Spiel. Diese sind offen lizenziert und gewährleisten eine nachhaltige Verwendung – eine Notwendigkeit die im digitalen Zeitalter aufgrund der unterschiedlichen Formate und Geräte unablässig ist.

Die Bildung der Gesellschaft ist ein sehr hohes Gut und die Zugänglichkeit zu Bildungsinhalten eine Voraussetzung dafür. Freie Bildungsressourcen helfen dies zu ermöglichen, daher sollte man gezielt darauf ein besonderes Augenmerk legen.

Dr. (habil) Martin Ebner, Technische Universität Graz

5 - Digitale Transformation durch digitale Bildung beschleunigen - jetzt

Bildung ist ein zentraler Treiber für die digitale Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft – auf allen Ebenen. Es geht aus meiner Sicht weniger darum, wie Digitalisierung Bildung an sich unterstützen und weiterentwickeln kann, sondern darum, Menschen zu befähigen, den digitalen Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft verantwortlich zu gestalten und agil weiterzuentwickeln.

Digitale Transformation verändert bestehende Strukturen massiv. Arbeit 4.0 ist nicht Arbeit 3.0 plus Digitalisierung, sondern etwas anderes. Genauso ist  aus meiner Sicht Bildung 4.0 nicht die digital angereicherte Fortsetzung des bestehenden Bildungssystems. Digitale Bildung wird in agilen Prozessen nicht von den Institutionen aus gedacht, sondern aus den Bildungsbedürfnissen der lernenden Menschen und ihrer Kompetenzentwicklung heraus.

Digitale Bildung muss jetzt schnell bei den Lernenden ankommen – das BMBF ist gerade in seiner „Nichtzuständigkeit“ dafür prädestiniert, dafür die entsprechenden innovativen Impulse zu ermöglichen. Digitale Bildung erfordert Anschubinvestitionen wie alle anderen Innovationen auch – am Ende ist digitale Bildung dann aber nicht teurer, sondern besser.

Prof. Dr.-Ing. Rolf Granow ist Geschäftsführer der oncampus GmbH

6 - Den akademischen Mittelbau stärken - Digitalisierung attraktiv machen!

Auch im Jahre 19 nach Bologna ist akademische Lehre noch immer ein Abfallprodukt der Forschung. Als Motivationsbremse sticht dabei insbesondere der mit dem Lehren verbundene Verwaltungsaufwand hervor: im Seminar sitzen 40-60 Studierende aus unterschiedlichen Lehramtsstudiengängen und mit diversen Zwei-Fach Bachelor-Kombinationen - alle müssen unterschiedliche Prüfungsleistungen erbringen - die Entwicklung dieser Prüfungen obliegt dem Lehrenden. Zusätzlich sollen die Studierenden vernünftig beim Verfassen der Modul-, Haus- und Abschlussarbeiten betreut werden, es müssen Sprechstunden abgehalten und Seminarsitzungen inhaltlich vorbereitet werden. Dafür allerdings ist die (im Glücksfall) halbe Stelle nicht ausgelegt. Bezahlt wird allein die Präsenz im Kurs. Und draußen vor dem Seminarraum steht das WissZeitVG und klopft laut an die Tür.

Akademische Lehre wird zum größten Teil vom akademischen Mittelbau gestemmt. Der allerdings muss sich selbst qualifizieren. Die logische Konsequenz: Wer Ambitionen zum Verbleib im Hochschulsystem hat, tritt bei der eigenen Lehre aufs Bremspedal.

Insbesondere die digitalisierten Lehr-/Lernformate haben sich in der Vergangenheit als zuverlässige Werkzeuge bei der Bewältigung der oben genannten Probleme erwiesen. Allein: sie kennen zu lernen, zu erproben und zu erstellen obliegt denen, deren intrinsische Motivation bis in den Feierabend reicht. Die gezielte Förderung des akademischen Mittelbaus, insbesondere bei der Gestaltung digitalisierter Lehre, ist ein wichtiges Thema. Lassen Sie uns dieses Thema aktiv angehen!

Anja Penssler-Beyer, Universität Potsdam

7 - Hochschulen brauchen mehr Raum und Ressourcen für Experimente

Eine hierarchiefreie Kommunikation, kurze Entscheidungswege, ein radikaler Fokus auf den Nutzen für Studierenden, kreative und schnelle Entwicklungsprozesse, offene Netzwerkstrukturen und eine konstruktive Fehlerkultur, das alles klingt nun wahrlich nicht nach der typischen deutschen Hochschule. Für eine erfolgreiche digitale Transformation von Organisationen stellen diese Punkte aber zentrale Erfolgsfaktoren dar und wenn wir es mit der Digitalisierung unserer Bildung ernst meinen, müssen sich unsere Universitäten, Akkreditierungsagenturen aber auch Ministerien grundlegend wandeln.

Wie die Hochschule der Zukunft aussehen wird, wissen wir heute noch nicht. Und gerade deshalb wünsche ich mir für unser Bildungssystem in den nächsten Jahren mehr Raum (und auch mehr Ressourcen) für Experimente: bei Online-Prüfungen, dem Einsatz digitaler Medien und Tools, der Entwicklung flexiblerer Studiengänge und der Öffnung von Programmen. Vor allem aber wünsche ich mir einen rechtlichen Rahmen, der Digitalisierung fördert und nicht mit Verweisen auf teils veraltete Datenschutzregelungen und föderale Strukturen ausbremst.

Philipp Höllermann, COGNOS Bildungsgruppe

8 - Gestalter/innen der digitalen Welt entwickeln!

In unserem Übergangszeitalter von einer analogen in eine digital vernetzte Welt geht es darum auszuhandeln, wie wir diese Welt gestalten wollen: wofür wollen wir digitale Technik nutzen und wofür nicht? Welche Beurteilungskriterien benötigen wir, um die technische Infrastruktur, die erzeugten Daten und die kursierende Informationsfülle zu beurteilen? Und wie müssen wir unser Werte- und Normensysteme weiterentwickeln, damit wir die digitale Entwicklung verantwortungsvoll gestalten können? Dies sind komplexe Fragen, die wir in einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs bearbeiten müssen.

Unser Bildungssystem muss dafür die Grundlage legen, dass alle Menschen in Deutschland die Möglichkeit bekommen, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Das ist die große Herausforderung, die wir *jetzt* angehen müssen.

Prof. Dr. Antje Michel, Professorin für Informationsdidaktik und Wissenstransfer an der FH Potsdam, Mitglied der AG Curriculum 4.0 des HFD

9 - Transformation durch digitale Bildungsstrategien

Die Digitalen Transformation des Gesundheitssystems ist für mich als Arzt und Medizinpädagoge eine der derzeit bedeutendsten Herausforderungen. Dieser fundamentale Wandel der Berufsbilder betrifft 5,2 Millionen Menschen, die als Ärzte oder Fachkräfte im Gesundheitswesen in Deutschland tätig sind. Die Implementierung passender curricularer Konzepte steht jedoch noch ganz am Anfang. Bisher wurde als einziges Curriculum 4.0 „Medizin im digitalen Zeitalter“ an der Universitätsmedizin Mainz implementiert.

Das genannte Projekt ist eine positive Einzelinitiative, aber zeitgleich ein gutes Beispiel um provokant die Frage stellen: Wir investieren aktuell Milliarden in digitale Technologien. Müssen wir nicht mit gleicher Konsequenz in die digitale Bildung der Menschen investieren?

Wir müssen weg von Leuchtturmprojekten und hin zu einer digitalen Bildungsstrategie. Nur so wird die digitale Transformation ein Erfolg -  in der Medizin aber auch in allen anderen Studiengängen und Ausbildungsberufen.

Priv.-Doz. Dr. Sebastian Kuhn, MME – Universitätsmedizin Mainz, Mitglied der AG Curriculum 4.0 des HFD

10 - Lernen mit digitalen Medien erfolgreich machen: durch transferorientierte Forschung, Infrastrukturen und Vernetzung

(1) den Ausbau der Forschung zur Wirksamkeit digitaler Medien in der Lehre und den Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis - um nicht den quantitativen Medieneinsatz, sondern erfolgreiches Lernen zu unterstützen,

(2) die Bereitstellung geeigneter technischer Infrastrukturen für Lehre und Forschung - insbesondere von Diensten zur Zusammenarbeit über Institutionsgrenzen hinaus und

(3) die Unterstützung des Austauschs zwischen Beteiligten auf allen Ebenen – Lehrenden, Serviceeinrichtungen, Hochschulleitungen, Politik – zur Vermeidung von Parallelentwicklungen und zur gegenseitigen Inspiration.

Dr. Anne Thillosen für das Team von e-teaching.org | Leibniz-Institut für Wissensmedien, Tübingen

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