Web 2.0

Für viele bedeutet der Begriff "Web 2.0" vor allem eine veränderte Wahrnehmung und Nutzung des Webs, weniger eine technische Weiterentwicklung. Der Benutzer gewinnt an Bedeutung und emanzipiert sich vom Informationskonsumenten zum aktiven Gestalter von Inhalten, Communities und Diensten.

Ähnlich wie das gesteigerte Fahrvergnügen beim Auto nicht auf ein Weniger an Technologie zurückzuführen ist, tragen eine Reihe neuer Methoden und technologischer Designansätze dafür Sorge, dass sich das Web in großer Breite der Partizipation öffnet und zum "Mitmach"-Web avanciert. Benutzerfreundliche Schnittstellen und nutzerzentrierte Entwicklungsstrategien erlauben quasi jedem das, was vor ein paar Jahren nur dem technisch versierten Anwender vorbehalten blieb, zum Beispiel das Betreiben einer eigenen Webseite, heute oft in Form eines Blogs, oder das Austauschen von Materialien wie etwa den aktuellsten Vortragsfolien. Die niedrigere Zugangsschwelle, günstige und permanente Verbindungen ins Internet sowie eine insgesamt größere Nutzergemeinde bilden die Basis für neue soziale und technologisch getragene Anwendungen, wie etwa kollaboratives Schreiben, die Datenorganisation mit Hilfe von Tags oder die Nutzung der "Weisheit der Massen". Um zu verstehen, wie das Web 2.0 funktioniert, wollen wir an dieser Stelle der Technik unter die Haube schauen und die einzelnen Ansätze beleuchten.

Während an der Verwendung des Begriffs "Web 2.0" häufig kritisiert wird, er sei unscharf und nichts anderes als ein Modewort, ist aus technischer Sicht genau das Gegenteil der Fall. Hier hat Tim O’Reilly, in dessen Umfeld der Begriff "Web 2.0" entstanden ist, in einem viel zitierten Papier klar Stellung zur ursprünglichen Bedeutung genommen. Der lesenswerte Text ist hier abrufbar und liegt auch in einer deutschen Übersetzung vor.

Im Wesentlichen ging es darum, dass erfolgreiche Webangebote, die das Platzen der "Internetblase" überstanden hatten oder sich neu am Markt etablierten, bestimmte Prinzipien bei der Gestaltung ihrer Dienste gemein hatten. Die Unterschiede zwischen "altem" und "neuem" Web wurden zunächst beispielhaft in einer Gegenüberstellung von Web 1.0 und Web 2.0 Anwendungen und Grundsätzen dargestellt:

Web 1.0 Web 2.0
DoubleClick --> Google AdSense
Ofoto --> Flickr
Akamai --> BitTorrent
mp3.com --> Napster
Britannica Online --> Wikipedia
personal websites --> blogging
evite --> upcoming.org and EVDB
domain name speculation --> search engine optimization
page views --> cost per click
screen scraping --> web services
publishing --> participation
content management systems --> wikis
directories (taxonomy) --> tagging ("folksonomy")
stickiness --> syndication

Ähnliche Listen wurden von diversen weiteren Autoren auf andere Anwendungsgebiete übertragen. Stephen Downes (2005) hat in Anlehnung daran den Begriff "E-Learning 2.0" geprägt, auch hier werden die Unterschiede gegenüber den ersten Ansätzen des E-Learnings diskutiert. Eine tabellarische Gegenüberstellung findet man zum Beispiel bei Kerres (2005):

E-Learning 1.0 E-Learning 2.0
Lernumgebung = eine Insel im Internet mit Inhalten und Werkzeugen --> Lernumgebung = ein Portal ins Internet mit Inhalten und Werkzeugen
     
Lehrer überführt alle Ressourcen auf die Insel --> Lehrer stellt Wegweiser auf, aggregiert Ressourcen.
     
Lerner nutzt die vorgegebenen Inhalte und Werkzeuge. --> Lerner konfiguriert seine persönliche Lern- und Arbeitsumgebung

Die intensive Benutzung des Begriffs "Web 2.0" deutet daraufhin, dass in der Wahrnehmung vieler Nutzer sich tatsächlich etwas Grundlegendes am Web geändert hatte. Doch welches sind die Gemeinsamkeiten, die eine Anwendung für die Plakette "Web 2.0" qualifizieren? O’Reilly nennt hier folgende Muster und Geschäftsmodelle:

  • Das Web ist eine Plattform ähnlich wie ein Betriebssystem
  • Kollektive Intelligenz wird auf Basis von Nutzerdaten und –aktionen zugreifbar
  • Daten sind wichtiger und wertvoller als einzelne Anwendungen
  • Perpetual Beta: Anwendungen gelten nie als "fertig" sondern unterliegen kontinuierlicher Weiterentwicklung
  • Anwendungen werden über Gerätegrenzen hinweg zugänglich gemacht, z.B. nicht nur für den PC sondern auch für Handys oder den iPod.
  • Statt statischer Webseiten führen dynamische Benutzerschnittstellen zu einer Rich User Experience

Vielleicht am offensichtlichsten ist der Wandel des Webs beim letzen Punkt zu sehen, der Rich User Experience. In seiner alten Form erlaubte das Web als einzige Interaktion das Ausfüllen von Formularen. Nachdem alle Eingaben ins Formular eingetragen waren, wurden die Daten an einen Webserver geschickt. Dieser verarbeitete die Daten, z.B. die Angabe einer Adresse oder die Antworten eines Multiple-Choice-Tests, und schickte schließlich als Reaktion eine neue Seite zurück, z.B. mit den Ergebnissen des Tests. Bevor ein Nutzer also eine Rückmeldung bekam musste er zunächst eine ganze Reihe von Eingaben bündeln und dann einen Augenblick auf die Antwort warten. Eine direkte Manipulation von Texten oder Objekten war zudem nicht möglich. Man konnte zum Beispiel beim Bearbeiten eines Textes nicht einfach ein Wort markieren, um es fett zu formatieren. Auch Drag & Drop Operationen etwa für Anordnungs- oder Zuordnungsaufgaben waren nicht möglich. Bereits Mitte der 1990er gab es mit Java, Javascript und Browser-Plugins die Möglichkeit, Webinhalte dynamischer zu gestalten. Sie sind in gewisser Weise die technischen Vorläufer des heutigen Web 2.0 – zumindest was Gestaltung der Benutzerschnittstelle betrifft. Die neue Dynamik des Web 2.0 ist aus technischer Sicht vor allem dem asynchronen Verändern der Seiteninhalte geschuldet. Das Zusammenspiel der verschiedenen Techniken beschreibt unser Artikel über AJAX.