Hypertextstrukturen

Das Prinzip „Hypertext“: Einzelne Informationseinheiten (Knoten) werden durch Links miteinander vernetzt. Dadurch entstehen komplexe, virtuelle Gewebe von Verweisen und Verknüpfungen, die sich – je nach Anlage – strukturell unterscheiden.

Grundsätzlich lassen sich Hypertexte auf drei verschiedene Arten organisieren:

Darüber hinaus wird zwischen offenen und geschlossenen Hypertexten differenziert.

In der Praxis treten die Grundtypen häufig kombiniert auf (Mischformen). Der Grund ist, dass jede Struktur über spezielle Vorzüge für die verschiedenen Formen der Wissens- und Informationsvermittlung verfügt. Manchmal bilden diese Kombinationen aber auch nur die nicht durchdachte Konzeption eines Hypertextes mit planlosen Erweiterungen ab. Deshalb geben wir Ihnen in dieser Vertiefung Tipps und Hinweise zur Anlage eines Hypertextes, damit Sie die verschiedenen Strukturen gewinnbringend einsetzen können.

Lineare Struktur

Ein rein linear strukturierter Hypertext ist im wesentlichen die Simulation eines konventionellen gedruckten Textes auf dem Computerbildschirm, der um hypermediale Elemente ergänzt sein kann: Eine Seite folgt der nächsten. Nutzer können sich nur eine Seite vor und zurück bewegen. Durch die bewusste Vermeidung weiterer Querverweise bietet sich keine Möglichkeit, den eingeschlagenen Pfad durch den Hypertext zu verlassen. Die lineare Struktur kann vertikal durch Hintergrundinformationen ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang spricht man von einer Gitternetzstruktur (Meier, 1999).

Vorteile

Ein linearer Aufbau unterstützt instruktionsorientiertes Lernen. Die einzelnen Knoten bauen systematisch aufeinander auf und die Studierenden werden nicht durch Abzweigungen abgelenkt. Die präsentierten Informationen lassen sich orts- und zeitflexibel abrufen. Das Tempo der Rezeption ist dabei selbst bestimmt.

Nachteile

Diese Form der Strukturierung eignet sich nicht als Umgebung für individuelles, problemorientiertes Lernen: Die Studierenden verfügen über keinen Einfluss auf den Verlauf des Lernwegs, da dieser nicht flexibel konzipiert ist. Die lineare Struktur bietet kaum Chancen, die Möglichkeiten von Hypertexten zur Darstellung intertextueller und multiperspektivischer Bezüge auszunutzen.

Anwendungsmöglichkeiten

Die lineare Hypertextstruktur eignet sich besonders für Dokumente, die digital publiziert werden sollen – beispielsweise über das WWW oder per CD-ROM –, aber genauso gut gedruckt erscheinen könnten. Denkbar wäre hier die Aufbereitung alter Handschriften für das Internet oder auch die Bereitstellung von Lehrskripten. Wie Sie Skripte und begleitende Materialien zu Vorlesungen oder Seminaren für das Internet aufbereiten, erfahren Sie in der Rubrik Lehrszenarien in der Vertiefung Skript.

Außerdem eignet sich dieser Hypertexttypus für alle systematisierten Formen der Wissensvermittlung: niedrigschwellige Einführungen, das Auswendiglernen von Informationen, eigenständiges Üben und Wiederholen von Lernstoff oder Einüben von Fertigkeiten wie zum Beispiel das Einstudieren von Formeln.

 

Beispiele

Hierarchischer Hypertext

Ein hierarchischer Hypertext bündelt eine Gruppe von Informationsmodulen, die thematisch miteinander verbunden sind. Seine Struktur lässt sich mit der eines Baummodells oder Inhaltsverzeichnisses mit Kapiteln und Unterkapiteln vergleichen. Die hierarchische Anordnung repräsentiert die Relevanz der Themen. Die Verbindungen visualisieren kontextuelle Zusammenhänge.

Den Studierenden ermöglicht die hierarchische Organisation einen selektiven, individuellen Zugang zu Informationen auf der Suche nach Antworten bei konkreten wie offener gehaltenen Fragen. Ist der hierarchische Hypertext zudem mit einer sinnvollen Navigation verknüpft, ist der Nutzer immer in der Lage, seine Position innerhalb des Hypertextgewebes zu lokalisieren.

Nicht zuletzt deshalb ist die hierarchische Struktur die klassische Organisationsweise umfangreicher Webseiten: In der Regel erfolgt nach der Homepage auf der zweiten Ebene der Einstieg in die jeweiligen Rubriken. Auf der dritten Ebene befinden sich die eigentlichen Inhalte, die mit weiteren Hintergrundinformationen auf einer vierten Ebene verknüpft sind. Bezüge zwischen den einzelnen Strängen werden durch Links hergestellt. Sehen Sie dazu als Beispiel die Strukturerläuterung dieses Portals.

Vorteile

Im Gegensatz zum linearen Hypertext sind die einzelnen Knoten hier nicht einfach starr aneinander gereiht. Durch mehrere Ebenen, gestufte Sprünge und Querverweise bildet ein hierarchischer Hypertext ein System aufeinander bezogener Inhalte besser ab. Dadurch lassen sich komplexe und vielschichtige Themen aus verschiedenen Perspektiven darstellen und für Studierende entdeckbar gestalten. Dies kann motivierende Effekte im Lernprozess erzeugen. Die Nutzer können die informationellen Einheiten individuell ansteuern und über die Verknüpfungen eigene Pfad durch den Hypertext suchen. Tempo und Tiefe der Rezeption sind selbst bestimmt. Hierarchisch strukturierte Hypertexte motivieren entdeckendes und eigenverantwortliches Lernen und sind leicht veränder- und erweiterbar.

Nachteile

Der Hypertextautor hat keinen Einfluss auf den späteren Leseweg des Nutzers. Für den Nutzer ist es u.U. schwierig, das Gesamtangebot zu überschauen. Es drohen Orientierungsverluste durch zu viele Ebenen, extrem zersplitterte Informationen oder eine zu offene Gestaltung. Die Qualität der Umgebung fällt und steigt daher mit der Konzeption: Die Knoten, die mittels Vernetzung den Hypertext bilden, müssen in sich abgeschlossen und für sich allein verständlich sein. Die Verlinkung der Knoten muss gewährleisten, dass keine Lücken oder Sackgassen entstehen.

Anwendungsmöglichkeiten

Hierarchische Hypertexte sind aufgrund ihrer Struktur hervorragend für reine Informationssysteme geeignet: Exemplarisch für diese Form sind Veranstaltungshompages, Fakultätsseiten im Internet oder Serviceangebote wie elektronische Vorlesungsverzeichnisse. Wissenswertes zur Gestaltung bietet die Vertiefung Veranstaltungshomepage.

Andererseits bietet sich die hierarchische Variante für einen auf hypertextstrukturen gestützten Wissenserwerb an: Zu einem speziellen Fachgebiet oder Themenbereich können strukturierte, komplexe Arbeitsumgebungen auf Hypertextbasis angelegt werden. Die Studierenden bewegen sich in diesen Umgebungen selbst gesteuert nach eigenen Präferenzen, Maßgaben und dem individuellen Wissensstand. Trotzdem unterstützt die Struktur, vorher definierte Lernziele zu erreichen. So lassen sich Parallelangebote zum institutionalisierten Lernen schaffen, die problemorientiertes, eigenaktives Lernen anregen und sich somit positiv auf die Motivation auswirken. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise Online-Kurse, -Seminare oder auch –Tutorials zu sehen. Vertiefende Informationen zu hypertextgestützten Lehrveranstaltungen bietet Ihnen unser Portal in der Rubrik Lehrszenarien.

Beispiele

Rhizomatischer Hypertext

Hypertexte mit einer rhizomatischen Struktur werden häufig auch als „Labyrinth“, „verwoben“, „netzwerk- oder matrixartig“ charakterisiert. Diese Organisationsart nutzt die multiselektiven Optionen des Prinzips Hypertext optimal aus. Ein dezentrales Geflecht aus Knoten und Verknüpfungen bildet den rhizomatischen Hypertext. Bei Reinformen lässt sich kaum eine Gesamtstruktur erkennen. Alles kann mit allem verknüpft sein.

Das Rhizom ist ein Begriff, der ursprünglich aus der Botanik kommt. Es bezeichnet ein meist unterirdisch oder dicht über dem Boden wachsendes wurzelähnliches Sprossachsensystem. In der Hypertexttheorie wird das Rhizom als Metapher für Hypertextgewebe verwendet, die sich in jede beliebige Richtung mit sich beliebig variierenden Strukturen ausdehnen. Gleichzeitig steht es für das World-Wide-Web, das keinen Anfang und kein Ende hat, alles miteinander vernetzt und in alle Richtungen wuchert. In der Philosophie Gilles Deleuzes und Félix Guattaris bildet das Rhizom den Gegenentwurf zur Metapher des Wissensbaums, der formalisiertes, rein logischen Kriterien unterworfenes Denken symbolisiert. Das Rhizom wird zum Sinnbild nomadischen Denkens (Berressem, 2000).

So gilt vielen Hypertextvertretern das Rhizom als ultima ratio, Wissen frei und assoziativ zu repräsentieren. Der Begeisterung für diese Textform liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass das menschliche Langzeitgedächtnis Wissen in nichtlinearen, vernetzten Strukturen assoziativ organisiert. Damit entsprechen rhizomatische Hypertextstrukturen den Bahnen mentaler Wissensstrukturen und unterstützen besonders die konstruktivistische Dimension des Lernens. Im Bereich Theorie erfahren Sie mehr zum lerntheoretischen Hintergrund.

 

Vorteile

In rhizomatischen Hypertexten lassen sich alle denkbaren, möglichen Querverbindungen ausbilden, so dass eine enzyklopädische Struktur entsteht. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit diverse Perspektiven und Ansätze miteinander zu vernetzten, ohne sie einer vorgegebenen Stoßrichtung unterordnen zu müssen. So lässt sich die ganze Komplexität und Irregularität wissenschaftlicher Forschung repräsentieren. Gleichzeitig eröffnet sich Studierenden eine Vielzahl von potentiellen Wegen durch das Informationsangebot. Analog zum mentalen Modell des Wissenserwerbs fördert die Denkfigur des Rhizoms die aktive Assoziationsbildung, die Situiertheit des Lernens durch eigene Fragestellungen und damit die individuelle Konstruktion von Wissen.

Die assoziative Organisation kann Motivation erzeugen: Stößt der Nutzer auf einen Text, eine Grafik oder ein Tonbeispiel, das ihn fesselt, vertieft er die thematische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Auf der Suche nach einer bestimmten Information wird der Nutzer zudem häufig auf andere Informationen aufmerksam, denen er nun sein ganzes Interesse widmet. Die ursprüngliche Suche wird aufgegeben. Dieses bezeichnet man als "Serendipity-Effekt" (Kuhlen, 1991).

Nachteile

Soll ein abgeschlossenses Curriculum durchlaufen und eng definierte Lernziele erreicht werden, ist die rhizomatische Organisationsform ungeeignet. Die Konstruktion rhizomatischer Hypertexte ist zudem sehr zeitaufwändig und muss sorgfältig geplant sein. Noch wichtiger als beim hierarchischen Hypertext ist, dass die einzelnen Knoten in sich abgeschlossen und für sich allein verständlich sind, da das Gesamtangebot nicht mehr überschaubar ist. Außerdem ist nicht vorhersehbar, über welchen Weg Leser zu den jeweiligen Knoten gelangen und über welchen Wissensstand sie an dieser Stelle verfügen. Es besteht die Gefahr, dass sich Nutzer im Kreis drehen, die Orientierung verlieren oder es durch die Fülle der Informationen zu einem so genannten „cognitive overload“ kommt: Die Studierenden verwenden ihre kognitiven Ressourcen nicht für Lernprozesse, sondern die Orientierung im Hypertext. So kann der Einstieg in ein komplexes Themengebiet gerade bei Studienanfängern zu einem schnellen Ausstieg führen. Dem Serendipity-Effekt steht das Gefühl des „Lost in Hypertext“ gegenüber.

Anwendungen

Rhizomatische Hypertexte können in der Hochschule als ergänzende oder in die Lehre integrierte Werkzeuge eingesetzt werden. Sie bieten ein Gegenangebot zur Aufnahme fertiger Gesamtzusammenhänge und fördern eigenmotiviertes Lernen wie anwendbares Handlungswissen. Das Rhizom bietet sich besonders an, wenn nicht faktenorientiertes Wissen im Vordergrund steht, sondern spielerisch und mit der Methode des Schmökerns (Meier, 1999) der Einstieg in ein neues Wissensgebiet ermöglicht werden soll. Durch das Stöbern und das Prinzip Zufall orientiert sich der Nutzer im Thema, welches auch das Erkennen von Fragestellungen und deren Antworten einschließt. Nicht zuletzt wegen ihrer rhizomatischen Struktur sind viele Computerspiele so populär.

Beispiele

  • Der an INMEDEA-Simulator (ehemals PROMETHEUS) ist ein internetbasiertes Lern- und Informationssystem für die Medizin an der Universität Tübingen. Indem es den konkreten Alltag in einer virtuellen Klinik simuliert, ermöglicht es eine authentische Auseinandersetzung mit dem Thema in realitätsnahen Problemlagen. 
  • Die an der Universität Wien entwickelte Wissensumgebung pastperfect.at ist inzwischen nicht mehr online verfügbar. In dem Projekt wurde eine assoziative Reise durch das 16. Jahrhundert umgesetzt.

Offene vs. geschlossene Hypertextsysteme

Ein Hypertextsystem gilt als geschlossen, wenn es nicht veränder- oder erweiterbar ist. Das beste Beispiel für diesen Sachverhalt sind Hypertexte, die auf CD-ROM vorliegen. Hier versteckt sich der statische Charakter schon im Wortsinn des Akronyms (Read only memory). Der Hypertext kann nur noch gelesen, aber nicht mehr bearbeitet werden. Ein Beispiel aus der Praxis stellt das CBT (Computer Based Training) dar.

Offene Hypertextsysteme werden zum einen durch das Kriterium der Veränderbarkeit definiert. Prinzipiell kann jede(r) einen Hypertext verändern, indem er oder sie neue Knoten hinzufügt, anders arrangiert, löscht oder vorhandene Informationen umformt. Vorausgesetzt sind Schreibrechte auf den Hypertext und die Beherrschung von Editoren zur Erstellung von HTML -Dateien.

Zum anderen bezeichnet man Hypertextgewebe als offen, die mit Hypertexten außerhalb des eigenen Systems verknüpft sind. In der Regel also Hypertexte, die mit anderen Dokumenten im Internet vernetzt sind. So entsteht durch den digitalen Hypertext eine neue Qualität der Informationsvermittlung. Zitierte Quellen oder Literaturangaben lassen sich beispielsweise direkt über einen Hyperlink aufrufen, sofern sie an anderer Stelle im World Wide Web verfügbar sind (Gabriel, 1997).

Beispiel
Ein sehr offen gestaltetes Hypertextsystem ist die Enzyklopädie Wikipedia, eine Wiki -Umgebung in mehr als 100 Sprachen, an der sich jeder mit seinem Wissen beteiligen kann. Eigene Artikel können ganz einfach über den Webbrowser hinzugefügt, andere verändert oder ergänzt werden.

Mischformen

Ob lineare, hierarchische oder rhizomatische Hypertextstruktur, in der Praxis treten diese Muster selten in Reinform auf. Ebenso lassen sich geschlossene Systeme mit offenen, partizipativen Elementen kombinieren. Die Grundstruktur eines virtuellen Seminars zum Beispiel ist am besten hierarchisch angelegt, damit sich die Studierenden dort gut orientieren können. Um Skripte, Materialien und Thesenpapiere online zu präsentieren, können durchaus lineare Elemente eingesetzt werden. Rhizomatische Strukturen eignen sich, um Bereiche für das eigenmotivierte Lernen zu schaffen. Gleichzeitig können sie von Studierenden für eher ästhetisch oder experimentell motivierte Projekte genutzt werden, mit denen sie das neue Medium für sich entdecken. Mit der prinzipiellen Offenheit des Systems ist es möglich Arbeiten von Studierenden einzubinden und sie an der Gestaltung partizipieren zu lassen.

Beispiele

 

Letzte Änderung: 22.03.2021