Reflexionspfad Studiengangsentwicklung – ein Selbstlernangebot des Hamburger Zentrums für universitäres Lehren und Lernen
22.10.2025: Bei der Entwicklung von Studiengängen und Curricula stehen häufig zunächst gestalterische und rechtliche Fragen oder das Qualitätsmanagement im Vordergrund. Im Interview stellt Prof. Dr. Gabi Reinmann vom Hamburger Zentrum für universitäres Lehren und Lernen (HUL) den „Reflexionspfad Studiengangsentwicklung“ vor, den das HUL auf seiner Webseite als frei zugängliches Selbstlernmaterial bereitstellt: Er zeigt, dass Entscheidungen in allen Bereichen didaktische Konsequenzen haben und regt dazu an, diese Aspekte von Beginn an in den Entwicklungsprozess einzubeziehen.
Auf den Seiten des Hamburger Zentrums für universitäres Lehren und Lernen (HUL) stehen verschiedene Selbstlernmaterialien zu Verfügung, darunter auch der „Reflexionspfad Studiengangsentwicklung“. Was war Ihr Ziel bei der Entwicklung dieses Angebots und wen möchten Sie mit dem Reflexionspfad besonders ansprechen?
Gabi Reinmann: Mit dem Reflexionspfad Studiengangsentwicklung wollen wir am HUL bestehende – vor allem rechtlich-organisatorische – Maßnahmen und Angebote etwa seitens des Qualitätsmanagements (QM) an der Universität Hamburg (UHH) mit didaktischen Impulsen ergänzen. Besonders gefreut hat uns, dass die Anregung für didaktische Impulse in dieser Form vom QM selbst gekommen ist: Wir haben hier also kein Kompetenzgerangel, sondern QM und Hochschuldidaktik sind sich einig, dass zur Erst- und Weiterentwicklung von Studiengängen ganz verschiedene Aspekte gehören – eben auch didaktische.
An einigen Stellen des Reflexionspfads haben wir Verbindungen zu unserem didaktischen Lehrpfad eingebaut – das ist ebenfalls ein Selbstlernmaterial auf unserer Website zur Gestaltung von Veranstaltungen. Damit wollen wir deutlich machen, welche Abhängigkeiten und Zusammenhänge es zwischen der Gestaltung von Studiengängen und der Gestaltung von Lehrveranstaltungen gibt. Das heißt: Wir handeln auf verschiedenen Ebenen didaktisch, sodass sich unsere beiden „Pfade“ an einigen Stellen kreuzen. Der Reflexionspfad wendet sich im Prinzip an alle, die mit Studiengängen befasst sind: also die Fakultäten und ihre Dekanate sowie Lehrpersonen, die sich hier einbringen, ganz besonders Studiengangsleiter:innen und Studiendekan:innen, aber auch Mitarbeiter:innen im QM, die Erst- und Weiterentwicklungen von Studiengängen begleiten. Der Reflexionspfad ist online für jede interessierte Person zugänglich, wendet sich also nicht nur an die genannte Zielgruppe der UHH.
Gleich zu Beginn wird im Reflexionspfad erläutert, dass Studiengangsentwicklung zunächst oft als Aufgabe verstanden wird, bei der es um rechtliche Aspekte und um Fragen der Qualität geht. Welche Rolle spielt in diesem Prozess in der Praxis die Hochschuldidaktik? Und wie arbeiten die verschiedenen Bereiche und Beteiligten Ihrer Erfahrung nach bei der Studiengangsentwicklung zusammen?
Gabi Reinmann: Die Frage kann ich in dieser Form einerseits gar nicht beantworten: Sie ist empirischer Art und ich kenne derzeit keine aktuellen Befunde, auf die eine vernünftige Antwort angewiesen wäre. Andererseits ist die Frage ein guter Anker, den ich aufgreifen kann, um den Unterschied des Reflexionspfads Studiengansgentwicklung zu Modellen und Schriften zu verdeutlichen, denen es vor allem um das Verfahren der Studiengangsentwicklung geht: In diesen nämlich werden unter anderem Rollen, Entscheidungsprozesse und Strategien der Zusammenarbeit verschiedener Akteursgruppen thematisiert und entsprechende Empfehlungen gegeben. Das ist sicher ebenfalls wichtig, lag aber nicht in unserem Interesse.
Der Reflexionspfad macht keine Vorgaben, wie der Prozess der Entwicklung von Studiengängen zu managen ist. Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass es dafür „Rezepte“ gibt, die immer und überall funktionieren, denn: Auch die Studiengangsentwicklung ist fachkulturell unterschiedlich und das ist vermutlich gut so. Ich halte es auch nicht für empfehlenswert, sich hier zu stark an – naturgemäß fachunsensiblen – Managementmoden zu orientieren, wie sich das mitunter beobachten lässt. Unser Ziel ist tatsächlich die didaktische Reflexion im Prozess der Erst- und Weiterentwicklung von Studiengängen – so kam denn auch die Bezeichnung zustande.
Viele Modelle der Studiengangsentwicklung werden als Baukastensystem dargestellt oder auch linear, z.B. als Pfeil. Sie haben dagegen ein Spiralmodell (Abb. 1) entwickelt: Welches Anliegen oder welche Idee steckt dahinter?
Gabi Reinmann: Ich bin gar nicht so sicher, ob wir unsere grafische Darstellung wirklich als „Modell“ bezeichnen sollten. Die Visualisierung will signalisieren: Die Gestaltung von Studiengängen ist – wie übrigens auch die Gestaltung von Lehrveranstaltungen – ein iterativ-zyklischer Prozess. Das heißt: Die Reflexionsfragen, die sich in unserem Info-Matetrial finden, sind nicht so zu verstehen, dass man sie in der dargestellten Anordnung einmal hintereinander beantwortet oder der Reihe nach als Impuls verwendet. Wir gehen davon aus, dass sich die am Prozess beteiligten Personen zwischen den Kategorien, die wir hier vorschlagen, mehrfach hin- und herbewegen.

Trotzdem haben wir uns natürlich etwas dabei gedacht, wie wir die Stationen in unserer „Schnecke“ angeordnet haben: Der Zielrahmen eines Studiengangs (Kategorie Ausrichtung) scheint uns ein guter Startpunkt in der Studiengangsentwicklung zu sein und kann ebenso als Referenzpunkt fungieren, auf den man jeweils zurückkommt, wenn Entscheidungen in den anderen Kategorien zu treffen sind. In enger Verzahnung dazu steht der inhaltliche Rahmen eines Studiengangs (Kategorie Curriculum). Nun haben wir in den letzten beiden Jahrzehnten oft von Slogans gehört, die den „Input“ – eine denkbar schlechte Bezeichnung für fachwissenschaftliche Inhalte – mehr oder weniger diskreditiert haben; dennoch würde ich sagen: Die materiale Grundlage eines Studiengangs bildet zusammen mit der normativen Grundlage ein zentrales Fundament für die weiteren Gestaltungsprozesse. Damit meine ich nicht, dass diese monolithisch ist; im Gegenteil: In Abhängigkeit von Entscheidungen mit Bezug auf andere Kategorien im Gestaltungsprozess werden auch Inhalte immer wieder Veränderungen erfahren.
Aus didaktischer Sicht ist der organisatorische Rahmen, der die formale Studiengangsentwicklung nicht selten dominiert (Kategorie Struktur), besonders herausfordernd: Hier können sich viele Spannungsmomente ergeben, und das wiederum macht es notwendig, mehrfach Aushandlungsprozesse anzustoßen, die zwischen den Kategorien angesiedelt sind. Wenig beachtet wird unserer Einschätzung nach der zeitliche Rahmen von Studiengängen (Kategorie Prozess), den wir auf unserem Pfad weiter „hinten“ platziert haben – als zusätzliches Korrektiv, das vor allem auch die Studierendenperspektive expliziter machen soll. Im Idealfall bewegt man sich bei der Konzeption oder Verbesserung eines Studiengangs darauf zu, die verschiedenen Kategorien stimmig zueinander in Bezug zu setzen, also eine kohärente Gestalt (integriert als eine eigene, letzte, Kategorie) zu erlangen. In diesem Sinne kann man unseren Vorschlag wohl durchaus als spiralförmig bezeichnen.
Der Anlass für dieses Interview ist das Themenspecial „Curriculumentwicklung“ auf e teaching.org. Im Modell des HUL ist „Curriculum“ eine von fünf Stationen der Studiengangsentwicklung, nach „Ausrichtung“ und vor „Struktur“, „Prozess“ und „Gestalt“. Auf Anhieb könnte man denken, dass Hochschuldidaktik vor allem im Teil „Curriculum“ verortet ist – inwiefern gehört Didaktik zu allen Stationen des Modells?
Gabi Reinmann: Der Begriff des Curriculums wird sowohl im Deutschen als auch im Englischen leider nicht konsistent verwendet, und das kann zu erheblicher Verwirrung führen: Weite Auslegungen, die unter Curriculum nicht nur so etwas wie Lehr- und Studienpläne fassen, sondern auch die methodische Gestaltung von Modulen und Veranstaltungen und damit letztlich ganze Studiengänge, stehen engen Auffassungen gegenüber, die unter Curriculum vor allem die zu lehrenden und zu lernende Inhalte subsumieren.
Es dürfte müßig sein, nach der „richtigen“ Definition von Curriculum zu suchen. Ich denke, das Problem lässt sich nur lösen, indem man im jeweiligen Kontext eine Arbeitsdefinition festlegt. Unsere Arbeitsdefinition von Curriculum im Reflexionspfad Studiengangsentwicklung ist eine eher enge: Wir verstehen darunter Inhalte und somit die materiale Grundlage eines Studiengangs. Diese ist wiederum immer nur ein Aspekt der Didaktik als einer Disziplin der Koppelung von Lehren und Lernen, wenn auch eine wichtige. Zentral sind auch der Zweck und die Ziele eines Bildungsangebots, weshalb die Ausrichtung – im Reflexionspfad die erstgenannte Kategorie – unabdingbar für didaktisches Denken und Handeln ist. Weitere Kategorien wie die Struktur wie auch der Prozess haben unmittelbar Einfluss auf die Auswahl und Gestaltung von Lehrformaten sowie methodische Entscheidungen von Lehrpersonen.
Mir persönlich ganz besonders wichtig erscheint aus didaktischer Sicht die schon erwähnte Kategorie der Gestalt, denn: Ein inkohärenter Studiengang kann für Lehrpersonen und Studierende unbeabsichtigt viele Probleme in der Umsetzung mit sich bringen. Das unmittelbare didaktische Handeln einer Lehrperson – man könnte auch sagen: die Didaktik auf der Mikroebene – vollzieht sich im Zusammenhang mit Lehrveranstaltungen. Jede Lehrveranstaltung aber ist in Studiengänge eingebettet und diese stellen die Bedingungen oder, wie wir es im Reflexionspfad auch nennen, diverse Rahmen (Zielrahmen, inhaltlicher, organisatorischer Rahmen, zeitlicher Rahmen) dar, die das Lehren und Lernen ermöglichen und befördern sollen, im ungünstigen Fall aber auch behindern können. Aus didaktischer Sicht sind die hier vorgeschlagenen Aktivitäten für die Studiengangsentwicklung auf der Mesoebene zu verorten.
Zu den Selbstlernmaterialien auf der Webseite des HUL gehört auch der Didaktische Lehrpfad, der einzelne Lehrende bei der Gestaltung ihrer Veranstaltungen unterstützen will (und den Sie auf e-teaching.org bereits vorgestellt haben) – Sie haben ihn schon erwähnt. Stehen individuelle Entscheidungen von Lehrenden eventuell auch mal in Konflikt mit den Vorgaben in Curricula und Studiengängen? Wie kann hier mit Spannungsfeldern umgegangen werden und welchen Beitrag leisten dabei gegebenenfalls Instrumente wie der Reflexionspfad?
Gabi Reinmann: Der didaktische Lehrpfad war unser erstes Angebot auf der Selbstlernmaterial-Seite des HUL, die wir vor ein paar Jahren begonnen haben aufzubauen. Der Reflexionspfad Studiengangsgentwicklung ist erst dieses Jahr hinzugekommen. Uns war und ist wichtig, zwischen der Gestaltung von Lehrveranstaltungen und der von Studiengängen eine Verknüpfung herzustellen: Im Reflexionspfad sind daher bei allen Kategorien passende Links auf den didaktischen Lehrpfad integriert. Das legt bereits nahe, dass wir nicht nur Verbindungen sehen, sondern auch Brücken bauen und darauf hinwirken wollen, dass bei der Erst- und Weiterentwicklung die didaktische Gestaltung von Lehre auf der Mikroebene – soweit es eben geht – schon mitgedacht wird.
Denn in der Tat ist es so, dass individuelle Entscheidungen oder Bedarfe von Lehrpersonen in Konflikt geraten können mit Vorgaben, die bei der Studiengangsentwicklung festgelegt wurden. Sind Module zum Beispiel relativ klein konstruiert, sehen also nur einen Arbeitsaufwand von, sagen wir mal, 5 Credit Points vor, ist es schwierig, Lehrangebote zu machen, mit denen forschendes Lernen ermöglicht werden soll. Wird dagegen bereits bei der Festlegung von Modulgrößen in der Studiengangsentwicklung berücksichtigt, welche Inhalte es nahelegen, etwa studentisches Forschen zu integrieren, ergeben sich didaktisch wichtige Spielräume bei der Wahl und Ausgestaltung von Lehrformaten. Ein anderes Beispiel sind Prüfungen: Krisen wie die COVID-19-Pandemie haben gezeigt, wie ungünstig es ist, wenn in der Studiengangsentwicklung starre Vorgaben für die Gestaltung von Prüfungen gemacht werden, bei denen dann die Flexibilität fehlt, um auf neue Anforderungen zu reagieren. Andere Spannungsfelder können sich ergeben, wenn Entscheidungen bei der Studiengansgestaltung organisatorisch betrachtet sinnvoll sind, beispielsweise eine flexible Kombinierbarkeit von Modulen ohne Voraussetzungen, aus didaktischer Perspektive aber zu schwer lösbaren Problemen führen: etwa Überforderung von Studierenden, weil ihnen bestimmte Kenntnisse oder Fertigkeiten
Beitragende
Prof. Dr. Gabi Reinmann ist seit 2015 Professorin für Lehren und Lernen an Hochschulen, Leiterin des Hamburger Zentrums für Universitäres Lehren und Lernen (HUL) an der Universität Hamburg und Studiengangsleiterin des Masterstudiengangs Higher Education. Mehr anzeigen
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