Constructive Alignment

Bei der Konzeption einer Veranstaltung gehen Dozentinnen und Dozenten häufig von den Lehrinhalten aus - Studierende hingegen planen ihren Lernprozess oft von den Prüfungsanforderungen her. Das kann dazu führen, dass Lehrerlebnis und Lernprozess aneinander vorbeigehen und von beiden Seiten als unbefriedigend empfunden werden. Ziel des im folgenden Artikel vorgestellten didaktischen Modells des „Constructive Alignment“ ist es, diese Schwierigkeiten abzubauen. Das Konzept unterstützt Lehrende dabei, bei der Planung einer Veranstaltung Lernziele, Lehr- und Lernmethoden sowie die Prüfungsform(en) aufeinander abzustimmen.

Rahmenbedingungen

Für Lehrende an Hochschulen und Universitäten gilt das Prinzip der "Freiheit von Forschung und Lehre": Sie können ihre Veranstaltungen den eigenen Vorstellungen entsprechend gestalten. Zugleich berichten Lehrende häufig von dem für sie frustrierenden Eindruck, dass Studierende sich lediglich dafür interessieren, ob bestimmte Inhalte auch geprüft werden. Was sie jedoch oft unterschätzen, ist, dass sie mit der gewählten Prüfungsform ein Zeichen dafür setzen, was tatsächlich in ihrer Veranstaltung relevant ist. Das Konzept des Constructive Alignment unterstützt Lehrende dabei nicht nur Lernziele und Lehr-/Lernmethoden aufeinander abzustimmen, sondern auch die Prüfungsformen in ihre Planung einzubeziehen, Warum ist die „konstruktive Abstimmung“ dieser drei Elemente aufeinander so wichtig? Ein wesentlicher Grund ist, dass Studierenden so die Ziele einer Lehrveranstaltung besser verstehen und Missverständnisse zwischen Lehrenden und Lernenden vermieden werden können. Zugleich unterstützt das Konzept des Constructive Alignment eine zentrale Anforderung der Bologna-Reform, nämlich eine kompetenzorientierte Gestaltung der Lehre (Schaper, Reis, Wildt, Horvath & Bender, 2012).

Lösung

Damit Lehrende und Studierende am selben Strang ziehen, werden beim Constructive Alignment Lernziele, Lehr-/Lernmethoden und Prüfungsform bereits bei der Planung einer Lehrveranstaltung aufeinander abgestimmt. Konkret werden sowohl der Aufbau, die Struktur als auch die Inhalte der Lehrveranstaltung entsprechend an den Prüfungsaufgaben ausgerichtet. Die Lehrveranstaltung gewinnt dadurch an Kohärenz und Transparenz. Dabei können die angestrebten und mit der Prüfung adressierten Lernergebnisse sich im Zeitverlauf noch ändern, das Konzept einer Veranstaltung kann also flexibel angepasst werden.

Details

Das Modell des Constructive Alignment wurde von John Biggs entwickelt, einem australischen Professor für Pädagogische Psychologie (Biggs & Tang, 2011; Wildt & Wildt, 2011). Biggs und Tang beziehen bei dem Alignment auch die Profile der Absolventinnen und Absolventen mit ein, auf welche die Outcomes in den Lehrveranstaltungen und Studiengängen einzahlen sollen. So wird in der Planung wird von deren Profilen - dem sog. institutional level - ausgegangen. Folgende Fragen und Komponenten sind ausschlaggebend für das Konzept:

  1. Welche Learning-Outcomes bzw. Lernziele werden in der Lehrveranstaltung erwartet?
  2. Durch welche Prüfungsform können die Lernziele abgefragt werden?
  3. Welche Lehr- und Lernmethoden sowie Lernaktivitäten werden eingesetzt, um die Lernziele zu erreichen?

Das Konzept basiert auf dem konstruktivistischen Ansatz, wonach die Lernenden im Fokus stehen, sich ihr Wissen aktiv und eigenständig aneignen und damit für ihren Wissenserwerb selbst verantwortlich sind (Neubert, Reich & Voß, 2001). Die Lehrenden hingegen stellen den Studierenden die Möglichkeiten zum Wissenserwerb zur Verfügung, kommunizieren die Lernziele klar und eindeutig. Außerdem stellen sie sicher, dass die Lernmethoden an die angestrebten Lernergebnisse angepasst sind und die anschließenden Prüfungsaufgaben den Studierenden aufzeigen, was sie gelernt haben. Diese drei Elemente – Lernziele, Lernmethoden und Prüfungsform(en) – werden im Constructive Alignment auch oft als das „Goldene Dreieck“ bezeichnet (Gallagher, 2017).

Schematische Darstellung des Constructive Alignment
Abb. 1: Schematische Darstellung des Modells „Constructive Alignment“ in Anlehnung an Wildt & Wildt (2011, S.9)


Die abgebildete schematische Darstellung des Modells des Constructive Alignment (in Anlehnung an Wildt & Wildt, 2011) nennt explizit die Aspekte „Situationen“, „Anforderungen“ und „Aufgaben“, die für jeden der drei Eckpunkte spezifiziert werden können. So werden beispielsweise für die Prüfungsform die jeweilige Prüfungssituation, die Prüfungsanforderungen sowie die Prüfungsaufgaben mit einbezogen.

  • Learning-Outcomes/Lernziele

    „Die Learning Outcomes (Lernziele, Lernergebnisse) […] beschreiben, was Studierende am Ende einer Lerneinheit wissen und können müssen und welche Einstellungen von Ihnen erwartet werden“ (Bachmann, 2014, S. 34). Eine Hilfestellung für die Formulierung ist die Was-Womit-Wozu-Struktur. Hiermit kann deutlich gemacht werden, was gelernt und geprüft werden soll, womit die Ausprägung der Qualität der Lernleistung zusammenhängt (Konzepte, Methoden, Theorien) und wozu das Outcome erreicht werden soll (welche darauf aufbauende Handlung folgt als nächstes im Studienverlauf / in der Gesellschaft / im Arbeitsleben). Das Wozu selbst ist dann nicht mehr Teil der Prüfungsleistung in der zum Learning Outcome gehörenden Prüfung, sondern deren Horizont.

    Damit sich die Lernziele auch im Sinne des Constructive Alignment in den Lernmethoden und der Prüfungsform wiederfinden, müssen sie vorab explizit formuliert werden. Hilfestellung bieten dabei Lernzieltaxonomien (z.B. Bloom, 1972),  in denen nicht nur passende Verben für die Formulierung von Lernzielen vorgeschlagen, sondern auch verschiedene Schwierigkeitsgrade der Lernziele angezeigt werden. Hinsichtlich der Anzahl der Lernziele empfehlen Biggs und Tang (2011) nicht mehr als fünf oder sechs zu nennen, auch wenn es genug Stoff für mehr gäbe. Die Formulierungen sollten dabei möglichst genau beschreiben, was die Studierenden am Ende können sollten und warum dies wichtig ist. Je präziser die Lernziele formuliert sind, desto einfacher ist es, die Lernmethoden und die Prüfungsformen anzupassen.

  • Prüfungsformen

    Verschiedene Studien haben in den letzten Jahren deutlich gezeigt, dass das Verhalten von Lernenden bei der Vorbereitung auf eine Prüfung vom angekündigten Format dieser Leistungsüberprüfung beeinflusst wird (Scouller, 1998). Die Einschätzung, welche Anforderungen eine bestimmte Prüfungsform mit sich bringt, hat Einfluss darauf, welche Lernstrategie gewählt wird. So haben Untersuchungen gezeigt, dass Lernende geschlossene, automatisch auswertbare Aufgaben (wie Multiple-Choice-Aufgaben) – etwa im Vergleich zu offenen Antwortformaten (wie Klausuren und Freitextaufgaben) – als deutlich leichtere Prüfungsform einschätzen und bei der Prüfungsvorbereitung häufiger oberflächliche Lernstrategien nutzen (für eine zusammenfassende Auswertung der Literatur zu diesem Thema siehe auch Lindner, Strobel & Köller (2015)).

    Aus der Perspektive der Dozierenden gibt es einen weiteren Grund, sich schon zu Beginn der Planung einer Veranstaltung auch mit den Prüfungsformen auseinanderzusetzen: Es macht sie darauf aufmerksam, ob die von ihnen definierten Lernziele überhaupt vernünftig geprüft werden können (bevor sie ggf. zeitaufwändig Lernaktivitäten entwickeln, um dann festzustellen, dass die gewünschten Learning Outcomes schlecht prüfbar sind).

    Aus diesen beiden Gründen erscheint es sinnvoll, im Sinne des Constructive Alignment die Prüfungen bei der Planung von Lehrveranstaltungen von Beginn an mit zu bedenken. Nach der Definition der Learning Outcomes sollten daher zunächst die Prüfungsformen festgelegt werden. Die Prüfungen sollen so ausgerichtet sein, dass sie sicherstellen, dass die Lernenden die intendierten Lernziele erreicht haben. Ist dies der Fall, verfolgen Lehrende mit ihren Methoden und Studierende mit ihren Lernaktivitäten dasselbe Ziel (Biggs & Tang, 2011). Wichtige Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Studierenden vorab durch den Lehrenden über die intendierten Learning Outcomes informiert werden.

  • Lehr-/Lernmethoden

    Je nach festgelegtem Lernziel lassen sich unterschiedliche Lehr- und Lernmethoden empfehlen. So unterscheiden Biggs und Tang (2011) zunächst zwischen deklarativem bzw. deskriptivem Wissen und Anwendungswissen. Sollen die Studierenden ihr Wissen lediglich verbal wiedergeben können? Dann können beispielsweise Lernaktivitäten wie Peer-Teaching oder Wissensüberprüfungsaufgaben angewandt werden. Oder sollen sie Handlungsabläufe in bestimmten Situationen anwenden können? Dann eignen sich womöglich eher Gruppenarbeiten und Problembasiertes Lernen. Je nach Art der Wissensvermittlung variieren somit auch die Lehr- und Lernmethoden. Zudem hängt die optimale Wahl der Methode auch davon ab, wie groß die Gruppe der zu unterrichtenden Studierenden ist. Generell sollte jedoch beachtet werden, dass die Lernenden dabei im Fokus stehen und aktiv im Sinne des konstruktivistischen Lernverständnisses gefördert werden sollen.
    Konkrete Beispiele für Lehr- und Lernmethoden finden sich etwa bei Biggs und Tang (2011).

Ein von Studierenden und Lehrenden geteiltes Verständnis der Konzeption einer Lehrveranstaltung kann laut Gallagher (2017) insbesondere durch Feedback vertieft werden. In Bezug auf das Modell des Constructive Alignment schlägt er z.B. vor, Studierenden regelmäßiges Feedback zu ihren Lernfortschritten zu geben (z.B. durch Tests und Quizzes, aber auch durch Rückmeldungen in der Präsenzveranstaltung), aber auch Feedback von den Studierenden einzuholen, etwa darüber, ob aus deren Perspektive die Beschreibung von Lernzielen klar ist oder ob sie die Lehr-/Lernszenarien, Materialien und Aufgaben für geeignet halten, um die Lernziele zu erreichen. Gegenseitiges, insbesondere formatives Feedback kann auch dabei unterstützen, die Abstimmung der drei Eckpunkte – Lernziele, Lehr-/Lernmethoden und Prüfungsform(en) – aufeinander fortlaufend zu überprüfen.

Stolpersteine

  • Bei der Formulierung der Learning Outcomes gibt es einiges zu beachten. Wie oben bereits erwähnt, sollten diese präzise beschreiben, was die Studierenden am Ende der Lehrveranstaltung können sollten. Learning Outcomes bzw. Kompetenzen, die nicht überprüft werden können, dürfen auch nicht formuliert werden. Anders herum gesagt: Es dürfen nur Lernziele formuliert werden, die auch hinterher abgeprüft werden können. Sollte sich im Laufe der Lehrveranstaltung herausstellen, dass eines oder mehrere der genannten Lernziele nicht geprüft werden können, sollten sie durch andere ersetzt werden.
  • Nicht immer haben Lehrende die Möglichkeit, die Form der Prüfung frei zu bestimmen bzw. diese angepasst an den Bedarf zu gestalten. Vorgaben durch den Modulkatalog bzw. die Prüfungsordnung der betroffenen Studiengänge müssen hier Beachtung finden.

Vorteile

  • Mit dem Constructive Alignment kann das Lernen unterstützt werden, weil Studierenden verständlicher wird, welche Kompentenzen sie in einer Veranstaltung erwerben sollen und dass sie in der Prüfung zeigen können, dass sie genau diese Kompentenzen auch erworben haben. Je höher dabei die Abstimmung von Lernzielen, Lehr-/Lernmethoden und Prüfungsform(en) auf einander ist, desto höher ist das lernfördernde Potenzial.
  • Die Lehrveranstaltung gewinnt an Kohärenz und Transparenz.
  • Lehrende und Studierende verfolgen dasselbe Ziel.
  • Missverständnisse zwischen Lehrenden und Studierenden können vermieden werden, indem die Learning Outcomes bzw. Lernziele, die Lehr- und Lernmethoden sowie die Prüfungsform gezielt aufeinander abgestimmt und explizit durch den Lehrenden kommuniziert werden.
  • Das Modell des Constructive Alignment ist in seiner Verwendung nicht auf den Kontext einzelner, konkreter Lehrveranstaltungen beschränkt, sondern kann bei Bedarf auch auf einer allgemeineren Ebene ansetzen und etwa gesellschaftliche Situationen oder berufliche Aufgaben mit einbeziehen.

Nachteile

  • Das Konzept des Constructive Alignment misst der Ergebnisorientierung eine hohe Bedeutung zu. Daraus könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass lediglich messbare Ergebnisse eine Rolle spielen (Reinmann, 2018).

Beispiele

Wie sieht die Anwendung des Constructive Alignment in der Praxis aus? Hier sind einige Beispiele:

  • Timo Mappes und Katrin Klink (2011) konkretisieren in ihrem Artikel aus dem Werk „Neues Handbuch der Hochschullehre" die Anwendung des Constructive Alignment am Beispiel der Vorlesung „Ausgewählte Kapitel der Optik und Mikrooptik für Maschinenbauer“.
  • Anna-Konstanze Schröder (2017) von der Universität Bern beschreibt in einem Beitrag in der Zeitschrift für Religionskunde anhand ihres Seminars „Einführung in die Religionspsychologie“, wie das Konzept des Constructive Alignment bei der Planung einer Lehrveranstaltung zum Einsatz kommt.

Weitere Informationen

  • Im HRK-Modus-Webseminar „Kompetenz- und Lernergebnisorientierung" erläutert Prof. Oliver Reis (2021) grundlegende Begriffe (Lernziel, Learning-Outcome, Lernergebnis, Kompetenz) und analysiert beispielhaft ein Outcome.
  • Das Konzept des Constructive Alignment wurde im Rahmen einer zweiwöchigen Themeneinheit im Qualifizierungsspecial „learning e-learning“ im Wintersemester 2018/19 auf e-teaching.org ausführlich behandelt. Die Seite zur Themeneinheit Constructive Alignment bietet eine Vielzahl an Materialien zum Thema, u.a. den Zugang zu den Online-Events zur Themeneinheit. Themenpate war Prof. Dr. Heribert Nacken von der RWTH Aachen University.
  • Das an der Universität Leipzig entwickelte E-Assessment-Literacy-Tool „EAs.LiT" unterstützt Lehrende auf Basis des Constructive Alignment hochschuldidaktisch fundiert bei der Formulierung von Learning Outcomes, der darauf basierenden Erstellung und Begutachtung von Aufgaben sowie der kriterienbasierten semi-automatischen Zusammenstellung gleichwertiger E-Prüfungen. Als webbasiertes System ermöglicht es die kollaborative, qualitätsgesicherte Erstellung von Aufgaben (Items) für E-Assessments.
  • An der Bergischen Universität Wuppertal wurde eine frei zugängliche webbasierte Applikation entwickelt, die Lehrenden die Möglichkeit gibt, ihre Veranstaltung ganz individuell und nach der Idee des Constructive Alignments zu planen. Mit dem elektronischen Lehrveranstaltungsplaner (eLP) können nicht nur die zu erreichenden Kompetenzen, Taxonomiestufen und Lernziele bestimmt werden, sondern auch Lehr-/Lernaktivitäten, Prüfungsformen und Applikationen. Wie das Tool funktioniert, haben die Entwickler in einem Educast erläutert.
  • Der prämierte Kurzfilm Teaching Teaching & Understanding Understanding von Claus Brabrand und Jacob Andersen (Universität Aarhus) von 2006 befasst sich mit der praktischen Umsetzung des Constructive Alignment basierend auf dem Buch Teaching for Quality Learning at University von John Biggs.
Letzte Änderung: 05.06.2023