„Digitalisierungspraktiken und Hochschulbildung – sind wir auf dem richtigen Weg?“: Rückblick auf das Themenspecial

21.10.2019 | Themenspecial

Das Themenspecial im Sommer 2019 bot mit sechs Online-Events, unterschiedlichsten Beiträgen und einer Präsenztagung viel Raum für Austausch und Information. Zum Abschluss des Specials blickt Mareike Kehrer zurück und fasst die Highlights sowie zentrale Erkenntnisse zusammen.


Sind wir auf dem richtigen Weg? - Das war die zentrale Frage, die e-teaching.org im Sommersemester 2019 E-Learning-Akteurinnen und -Akteuren aus dem gesamten deutschsprachigen Raum stellte. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich an den Hochschulen und in den einzelnen Fachbereichen unterschiedlichste Digitalisierungspraktiken entwickelt. Und neue Technologien bieten auch weiterhin immer wieder neue Möglichkeiten Hochschullehre zu gestalten und zu verändern. Aber welchen Einfluss hat die zunehmende Digitalisierung in Lehre und Studium auf die Hochschulbildung? Wie wird Bildung an den Hochschulen derzeit gelebt und erlebt und entspricht dies unserer Vorstellung davon, was „gute" oder „zeitgemäße" Hochschulbildung sein sollte? Und wenn wir überhaupt ein gemeinsames Verständnis davon haben, wie Hochschulbildung sein sollte, sind wir dann mit unseren aktuellen Digitalisierungspraktiken auch auf dem richtigen Weg dorthin?

Mit diesen Fragen im Kopf starteten wir im Mai 2019 in unser Themenspecial. Weniger mit der Erwartung, auf alle Fragen eine allgemeingültige Antwort zu erhalten. Sondern vielmehr in der Hoffnung auf eine rege und breite Diskussion mit vielfältigen Perspektiven sowie fundierte Einschätzungen und wichtige Impulse für die zukünftige Entwicklung. Unterschiedlichste Beiträge aus der Fach-Community, sechs Online-Events mit durchschnittlich 60 Teilnehmenden sowie eine zweitägige Präsenzveranstaltung boten hierfür eine gute Grundlage.

Was ist Hochschulbildung?

Mit der Frage „Was ist Hochschulbildung (im digitalen Zeitalter)?" näherten wir uns im ersten Online-Event dem Thema des Specials zunächst einmal an. Prof. Dr. Sönke Knutzen von der Technischen Universität Hamburg machte als Referent insbesondere darauf aufmerksam, dass durch die Digitalisierung bzw. die digitale Disruption für die Hochschulen zentrale Herausforderungen entstehen, auf die sie reagieren müssen, um auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen zu können. Einen wichtigen Baustein von Hochschulbildung im digitalen Zeitalter stellen aus seiner Sicht Kooperationen auf derselben technologischen Basis dar - sowohl zwischen Hochschulen auf regionaler Ebene als auch auf Bundesebene zwischen regionalen Hochschulnetzwerken. Hochschulen könnten sich auf diese Weise leichter vernetzen und auch lokale Angebote für andere Hochschulen in ganz Deutschland zugänglich machen, so Knutzen.

Eine inhaltliche Vertiefung zum grundlegenden Verständnis von Hochschulbildung bot ein paar Wochen später das Online-Event „Teilen wir ein gemeinsames Verständnis von (digitaler) Hochschulbildung?" mit Prof. Dr. Verena Ketter (Hochschule Esslingen) und Dr. Tina Ladwig (TU Hamburg). Tina Ladwig machte basierend auf Erkenntnissen ihres aktuellen Forschungsprojekts deutlich:

„Das Verständnis digitaler Hochschulbildung ist kontextabhängig. Und diese Kontexte sind sehr vielschichtig und komplex. Und dazu gehört neben dem Kolleginnen- und Kollegenkreis natürlich auch die Fachbereichsebene, die Hochschulebene, die Ebene des Hochschulverbundes und auch die Bundesebene."

Beide Referentinnen betonten, wie wichtig in Bezug auf die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Hochschulbildung Aushandlungsprozesse zwischen den vielen beteiligten Akteurinnen und Akteuren sind. Zentral sei dabei, an den Hochschulen Raum für diese Aushandlungsprozesse zu bieten und ab und zu innezuhalten und gemeinsam zu reflektieren.

Digitalisierungspraktiken und Hochschulbildung

Bildbeschreibung (1 - 3 Wörter)

Wie die Gestaltung von Hochschulbildung an einer konkreten Hochschule aussehen kann, das zeigten Petra Danielczyk und Dr. Judith Ricken am Beispiel der Ruhr-Universität Bochum (RUB) auf. Mit einer zentralen Digitalisierungsstrategie, die durch 24 dezentrale Digitalisierungskonzepte auch die fachspezifischen Anforderungen an der Universität berücksichtigt und diese in einem gemeinsamen Rahmen vereint, sahen die beiden Referentinnen die RUB bereits auf einem sehr guten Weg.

Aber digitale Medien beeinflussen Hochschullehre nicht nur auf strategischer Ebene, sondern wirken sich auch direkt auf den Einsatz spezifischer Methoden aus. Prof. Dr. Gabi Reinmann von der Universität Hamburg erläuterte in einem weiteren Event der Online-Reihe anhand des hochschuldidaktischen Formats des forschenden Lernens, wie die Einheit von Forschung und Lehre, entsprechend dem humboldtschen Bildungsideal, im Lehralltag realisiert werden kann. Sie gab dabei Einblick in ihre aktuelle Forschung, in der sie sich insbesondere mit den Möglichkeiten befasst, die durch den Einsatz digitaler Medien im Forschungszyklus entstehen.

Diskursive Standortbestimmung

Zur etwas provokanteren Fragestellung „Revolutionieren digitale Medien die Hochschulbildung?" lieferten sich Stefanie Brunner (Univ. Vechta) und Peter England (Carl von Ossietzky Univ. Oldenburg) Anfang Juni ein Streitgespräch unter intensiver Beteiligung der Teilnehmenden des Online-Events. Anhand konträrer Positionen diskutierten sie den Einfluss digitaler Medien auf die Hochschulbildung, wobei Stefanie Brunner sehr optimistisch in die Zukunft schaut:

„Ich finde sehr wichtig, den Gedanken der Verantwortung. Das wir kucken, was wird eigentlich alles möglich und was können wir damit alles tun. Und ich freue mich einfach auf das was kommt."

Peter England nimmt als Fazit aus der Diskussionsrunde mit, dass es sich beim aktuellen Wandel nicht um eine Revolution handele. Vielmehr möchte er von einer Optimierung oder Weiterentwicklung sprechen, wenn es um digitale Medien in der Hochschulbildung geht.

Den Wandel der letzten Jahre nahm die abschließende Diskussion „Bis hierher und wie weiter? Gestaltung von Hochschule im digitalen Zeitalter" im letzten Online-Event als Ausgangspunkt. Gemeinsam mit Prof. Dr. Michael Kerres (Univ. Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Marianne Merkt (HS Magdeburg-Stendal und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd)) reflektierte Dr. Anne Thillosen, wie sich die (digitale) Hochschulbildung in den vergangenen Jahren entwickelt hat und was wir aus diesen Entwicklungen lernen können. Michael Kerres machte auch hier erneut deutlich:

„Ich tue mich schwer mit der Idee, dass es den richtigen Weg gibt. Sondern das Entscheidende ist ja, dass wir das als einen Prozess des Aushandelns und der Verständigung verstehen müssen und sollten. [...] Ich habe schon die Vision, dass wir noch mehr experimentieren mit den Möglichkeiten, dass wir Dinge ausprobieren, dass wir eine Kultur des Ausprobierens, des Entwickelns, des Erprobens, der Innovation in der Hochschullehre auch weiter vorantreiben."

Sind wir auf dem richtigen Weg?

Welche Vielfalt an Digitalisierungspraktiken derzeit an den Hochschulen erprobt wird, wurde unter anderem Ende Juni auf der Tagung „Digitalisierungspraktiken und Hochschulbildung – sind wir auf dem richtigen Weg?" deutlich, die als Präsenzveranstaltung ein Highlight des Themenspecials darstellte. Über 80 Teilnehmende trafen sich für zwei Tage bei hochsommerlichen Temperaturen am Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen, um unter anderem in sogenannten Diskussionsräumen in kleinen Gruppen intensiv über bestehende Digitalisierungspraktiken, Hochschulbildung im digitalen Zeitalter und zukünftige Wege digitaler Hochschulbildung zu diskutieren. Drei Keynotes boten darüberhinaus Einblick in aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse aus Forschung und Praxis und gaben neue Impulse für die gemeinsame Reflexion. In einer abschließenden Podiumsdiskussion stand nochmals die zentrale Fragestellung „Sind wir auf dem richtigen Weg?" im Zentrum. Die Aufzeichnungen der Keynotes mit anschließender Diskussion, Materialien und Zusammenfassungen zu den Diskussionsräumen sowie Fotos können auf der Tagungs-Webseite abgerufen werden und geben einen guten Einblick in die Tagung.

Tagung
Eindrücke von der Tagung am IWM in Tübingen

Insgesamt vermittelten die Beiträge zum Themenspecial und zur Tagung durchaus den Eindruck, dass wir in vielen Bereichen schon auf einem guten Weg sind. Allerdings stehen wir auch vor einer großen Aufgabe, wie Prof. Dr. Marianne Merkt betont. So hätten Hochschulen

„eine gesellschaftliche Aufgabe, die sich darauf bezieht, durch die Gestaltung der Hochschulbildung eine Mitverantwortung für das Gemeinwohl der Menschen, die im digitalen Zeitalter leben zu übernehmen.“

Viele der Akteurinnen und Akteure betonten im Laufe des Themenspecials, wie wichtig die fortlaufende Diskussion über das Verständnis und die weitere Gestaltung von (digitaler) Hochschulbildung ist und dass in diese Aushandlungsprozesse alle Betroffenen gleichermaßen eingebunden werden sollten. Dabei dürfe es aber durchaus auch Raum für das Erproben neuer Wege geben - oder wie es Stefanie Brunner treffend formulierte: „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“.

Gepostet von: mkehrer
Kategorie: Themenspecial