Diagnose per Abstimmung an der Uni Ulm

17.11.2010: In diesem Interview erläutert Stephanie Bachmann von der Universität Ulm die Vor- und Nachteile beim Einsatz von Abstimmungssystemen in Vorlesungen.


An der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm wird seit 2009 das elektronische Abstimmungssystem Qwizdom Actionpoint als TED System eingesetzt. Mit Hilfe kleiner Geräte können die Studierenden dem Dozierenden während einer Vorlesung direkt rückmelden, ob sie beispielsweise den Stoff verstanden haben, oder nicht.

Über Vor- und Nachteile beim Einsatz von Abstimmungssystemen in der Lehre sprachen wir mit Stephanie Brachmann, Mitarbeiterin im Kompetenzzentrum E-Learning in der Medizin der Universität Ulm.

Wann und in welchem Kontext wurde das Abstimmungssystem an ihrer Hochschule angeschafft?

Die Anschaffung des Systems, das über Studiengebühren finanziert wurde, wurde von der Studienkommission 2008 beschlossen. Angeschafft wurden Geräte für die gesamte Medizinische Fakultät, das heißt fast 1 800 Geräte. Zu jedem neuen Semester erhalten alle Studienanfänger ein Gerät. Falls die zurückgegebenen Geräte nicht ausreichen, wird nachbestellt.

Können Sie uns kurz das Abstimmungssystem beschreiben, das an ihrer Hochschule zum Einsatz kommt?


An unserer Hochschule hat man sich für das System Qwizdom Actionpoint entschieden. Ein Abstimmungsgerät ist so groß wie ein Handy, ausgestattet mit normalen Batterien und man kann es ganz einfach an- und ausschalten. Auf dem Gerät gibt es Tasten mit Nummern von 1 bis 10 mit denen man abstimmen kann. Unsere Geräte verfügen allerdings über keine Texteingabe. In den vier größten Hörsälen sind die Computer dauerhaft mit einem Empfänger verbunden. Die Ergebnisse einer Abstimmung bekommt der Dozierende direkt in seiner Folien-Präsentation angezeigt, indem er in einer Symbolleiste auf den entsprechenden Button klickt. Die Ergebnisse werden jeweils gespeichert und können also auch nach der Veranstaltung noch abgerufen werden. Im Moment ist es so geregelt, dass zu Semesterbeginn, die Abstimmungsgeräte an die Studierenden ausgeteilt werden. Jeder Studierende bekommt also ein Gerät, das er möglichst immer dabei haben sollte. Natürlich kann nicht gewährleistet werden, dass wirklich alle Studierenden ihr Gerät immer dabei haben.

Wie viele Dozierende setzen das System ein?

Die Dozierenden werden natürlich nicht gezwungen das System einzusetzen, sondern die, die sich für das System interessieren und vom didaktischen Mehrwert überzeugt sind setzen es gerne ein. Andere stehen der Technik eher etwas skeptisch gegenüber.

Wie kommt das Abstimmungssystem an ihrer Hochschule zum Einsatz? Können Sie uns ein paar Beispiele schildern?

Da in der Medizin ja sowieso auch bei Klausuren fast nur mit Multiple Choice gearbeitet wird, eignet sich in diesem Fachbereich der Einsatz von Abstimmungssystemen besonders gut. Es gibt für das System aber ganz verschiedene Einsatzmöglichkeiten. In der Medizin wird viel mit Kasuistiken gearbeitet, also Patientenfällen. Es wird also zum Beispiel ein Fall vorgestellt und Symptome geschildert und die Studierenden müssen dann darüber abstimmen, welche Ursache sie vermuten. Es wird aber nicht nur dazu genutzt, Wissen abzufragen, sondern auch, um Stimmungsbilder einzufangen, zum Beispiel im Bereich Ethik.
Es gibt auch sehr kreative Szenarien: Ein Einsatz, der sowohl bei den Studierenden als auch den Dozierenden gut ankam, war in einem Seminar, das sich „Dr. House revisited“ nennt. Anhand von Ausschnitten aus der bekannten US-amerikanischen Fernsehserie mussten sich die Studierenden in Diagnostik üben. Ein Projekt, wo auch die Dozierenden ihre Kreativität ausspielen konnten. Auch für einen Radiologen-Kongress wurde das System ausgeliehen und ein Quiz realisiert. Es wurden Bilder gezeigt und die Teilnehmer mussten erkennen, worum es sich handelt.
Es ist auch möglich, mit dem Abstimmungssystem Evaluationen von Lehrveranstaltungen durchzuführen. Möglich wäre auch, dass die Studierenden per Abstimmung Bewertungen für Referate abgeben.

Welche Vorteile sehen die Dozierenden?

Man sieht, dass mit Hilfe des Systems eine neue Form der Lehre realisiert werden kann, was einigen Dozenten sehr gefällt und gerne angenommen wird. Sehr viele Dozierende haben außerdem positiv rückgemeldet, dass sie durch den Einsatz des Systems gemerkt haben, ob die Studierenden den Stoff tatsächlich verstanden haben oder nicht.

Welcher Aufwand ergibt sich für die Lehrenden?

Die Lehrenden müssen sich zu Beginn das System auf ihrem Rechner installieren. Die Folien werden wie in einer normalen Powerpoint-Präsentation erstellt. Man muss lediglich einzelne Folien als Fragen-Folien definieren. Dann entsteht noch ein gewisser Aufwand bevor die Präsentation startet; da müssen auch noch einmal ein paar Klicks getätigt werden.

Welche Kritikpunkte gibt es?

Ein großer Kritikpunkt auf Seiten der Lehrenden ist die Zeit. Bis die Studierenden sich in das System eingeloggt und abgestimmt haben, vergeht teilweise zu viel Zeit von der sowieso schon knapp bemessenen Vorlesungsstunde. Das scheint mir ein grundsätzliches Problem beim Einsatz von Abstimmungssystemen.

Welche Vorteile ergeben sich für die Studierenden?


Ein Vorteil für die Studierenden ist, dass sie so ständig ihr Wissen abfragen können, vor allem natürlich, wenn Klausurfragen vorkommen. Weil das System anonym ist, herrscht eine viel stärkere Beteiligung, als wenn man das mit Kartenabfrage machen würde. So melden sich auch die, die sich sonst nicht trauen. Die Studierenden bekommen so auch Rückmeldung über ihre Kommilitonen: ist das Thema allgemein im Semester verstanden worden, oder nicht?

Wie unterstützen sie die Lehrenden beim Einsatz?

Wir bieten Schulungen für das TED an und machen Vorschläge, was man damit machen kann. Natürlich stehen wir auch immer für Rückfragen zur Verfügung und da kommen die Lehrenden auch gerne auf uns zu.

Gibt es Lehr-/Lernkontexte für die Abstimmungssysteme mehr geeignet sind, bzw. Kontexte, wo sich der Einsatz weniger empfiehlt?


Ich denke in kleinen Gruppen empfiehlt sich der Einsatz weniger, da in kleinen Gruppen doch eher die Meinung gesagt wird, ohne dass man abstimmen muss. Auch für Praktika ist es weniger geeignet. Gut geeignet ist es auf jeden Fall für große Gruppen, gerade um sich ein Stimmungsbild zu machen. Sehr gut geeignet ist es für Kasuistiken und Multiple Choice Fragen.

Wieso haben sich ihrer Ansicht nach Abstimmungssysteme bisher nicht in der Breite an Hochschulen durchsetzen können?

Ausschlaggebend dafür sind die hohen Kosten. Die Systeme sind einfach zu teuer. Es könnte natürlich auch mit einem Hörsaal-Satz an Geräten gearbeitet werden, aber dann bräuchte man Personal, das die Geräte austeilt und wieder einsammelt – auch das würde Kosten erzeugen.