Rezension zu „Patient Hochschullehre” (J. Handke, 2014)

Diese Rezension bezieht sich auf die Erstausgabe des Buchs „Patient Hochschullehre – Vorschläge für eine zeitgemäße Lehre im 21. Jahrhundert“ von Jürgen Handke, das 2014 im Tectum Verlag Marburg erschienen ist.

Eine Rezension von Philip Meyer, e-teaching.org

Wie der Titel erahnen lässt, ist „Patient Hochschullehre“ ein Buch, das Kritik an der Hochschullehre hierzulande sehr direkt vorbringt. Es reiht sich damit unter die Beiträge, die den Zustand der Lehre bereits seit einiger Zeit beklagen (Glotz, 1996; Kamenz & Wehrle, 2007; Balzter, 2008; Jacob & Teichler, 2011). Jürgen Handke, als Professor für Linguistik vielen bekannt durch seine YouTube-Vorlesungen, wählt für seine Darstellung das Bild einer ärztlichen Behandlung, untergliedert in Anamnese, Diagnose und Therapie. Umrahmt und veranschaulicht wird der „Befund“ durch die Geschichte des fiktiven Studenten Max, der für den Autor den typischen Studierenden des beginnenden 21. Jahrhunderts repräsentiert.

Stil des Buchs

Schon beim Lesen des Prologs mit Max wird deutlich, dass es in „Patient Hochschullehre“ nicht um eine erziehungswissenschaftliche oder wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Rolle der Hochschullehre geht. Vielmehr soll einer breiten Öffentlichkeit ein niedrigschwelliger Zugang zum Thema eröffnet werden. Auch deshalb verzichtet Handke in seinem leicht lesbaren Buch meist auf Fachbegriffe und theoretische Exkurse. Es bietet stattdessen eine bewusst subjektiv und auch emotional gehaltene Auseinandersetzung mit dem Thema, die auf den weitreichenden Erfahrungen des Autors basiert und durch studentische Meinungen, die oft dem Portal MeinProf.de entnommen sind, ergänzt wird. Das Buch hat insgesamt den Charakter eines Ratgebers, was sich dadurch ausdrückt, dass viele Kapitel mit konkreten „Sofortmaßnahmen“ und längerfristigen Umsetzungsvorschlägen schließen, die Lehrenden helfen können, ihre eigene Lehre zu verbessern. Trotz aller Subjektivität belegt Handke seine zentralen Aussagen immer wieder mit Zitaten. Besonders gut gelungen ist dies im Mittelteil des Buches, wenn er den Weg zum Berufsstand des Hochschullehrers nachzeichnet und Gründe dafür liefert, weshalb die Lehre der Forschung im Habilitationsprozess und auch später untergeordnet bleibt. Handke erwägt in diesem Zusammenhang eine „Entflechtung von Forschung und Lehre“ (S. 152) – explizit keine „Trennung“ – und schließt sich damit weitgehend der Argumentation von Yehuda Elkana und Hannes Klöpper (2012) an, die in ihrem Buch „Die Universität im 21. Jahrhundert“ unter anderem eine Herausbildung von Forschungs- und Lehrprofessuren proklamieren.

Im Fokus: Einsatz digitaler Medien an Hochschulen

Insgesamt kommen Passagen mit Bezug zur allgemeinen Hochschulforschung verhältnismäßig selten vor, der deutliche Fokus liegt im Speziellen auf dem Einsatz digitaler Medien in der Lehre. Ein solcher Schwerpunkt ist mit Blick auf die eigene Spezialisierung Handkes auf digitale Lehrvideos und den „Inverted Classroom“ erwartbar und nachvollziehbar, lässt sich allein aus dem Buchtitel allerdings nicht erahnen. Da dort jedoch zurückhaltend von „Vorschläge(n)“ die Rede ist, fällt die Ausblendung einiger aktueller, nicht-medienbezogener Fragestellungen der Hochschulbildung, wie z.B. internationale Mobilität, Inklusion, Lernen durch Engagement u.a. nicht weiter ins Gewicht. Kritisch hinterfragen kann man es dort, wo die Qualität der Lehre auf den Einsatz von Technologie reduziert zu werden droht. So ist die einzige Erwartung, die der fiktive Student Max an die Lehre und Studienbedingungen mitbringt, dass es an seiner Wunschhochschule ein „elektronisches Learning-Management-System“ und „modernste Lern­technologie“ (S. 16) gibt. Max scheint hier schon sehr stark karikiert, denn an anderen Stellen wird die studentische Motivation auch differenziert berichtet. So wünschen sich Studierende Lehrende, die pädagogisch qualifiziert (z.B. S. 125) und gut vorbereitet sind (S. 165).

Vielfältige Ideen für digitale Hochschullehre

Besonders lesenswert sind die Kapitel, in denen Handke beschreibt, wie aus seiner Perspektive die „Digitalisierung der zentralen Elemente der Hochschullehre“ (S. 71) funktionieren kann. Darunter werden bei ihm im Gegensatz zu den häufig bereits mediengestützten flankierenden Elementen (wie z.B. die Bereitstellung von Materialien oder die Notenverwaltung) all jene Aktivitäten verstanden, die eine didaktische Kompetenz bei den Lehrenden erfordern. Sie erstrecken sich von der Veranstaltungsplanung über die Wissensvermittlung bis hin zur Prüfung der Lernenden. Dort gibt der Autor Einblick in zahlreiche persönlich erprobte, ideenreiche didaktische Szenarien, die anhand der Schilderung leicht übernommen werden können. Auch technische Tipps fließen immer wieder ein. Die Bandbreite der Vorschläge erstreckt sich von innovativen Micro-Teaching-Videos, über formative Assessments zur flexiblen Anpassung der Präsenzaktivitäten, bis hin beispielsweise zum Lernspiel „Tabu“, das für eine Einübung des Stoffes genutzt werden kann. Positiv fällt auf, dass die Komponente der sozialen Interaktion mit den Studierenden in den Schlusskapiteln nicht zu kurz kommt. Dennoch wird den Möglichkeiten der digitalen Wissensvermittlung, der so genannten „ersten Phase“ des Inverted Classrooms, insgesamt etwas mehr Platz gewidmet.

Fazit

Das Buch ist gespickt mit authentischen Erfahrungen aus dem Hochschulalltag und wird „Kenner“ der Hochschule an einigen Stellen zum Schmunzeln bringen. Denn das, was Handke beschreibt, ist oft die ungeschönte Realität an deutschen Hochschulen. Das Buch provoziert, an manchen Stellen übertreibt es auch bewusst. Insgesamt ist es eine anregende Lektüre, die hilft, die eigene Lehrpraxis zu reflektieren, und die Erinnerungen an die eigene Studienzeit weckt. "Patient Hochschullehre" ist besonders empfehlenswert für junge Lehrende und E-Learning-Einsteiger, die Inspiration zum Einsatz digitaler Medien suchen. Für eine inhaltlich tiefergehende hochschuldidaktische Auseinandersetzung mit der Thematik finden sich Anregungen im umfangreichen Literaturverzeichnis des Buches. Besonders hervorzuheben sind zu guter Letzt die vielen schön gestalteten Illustrationen, die die Künstlerin Astrid Hente-Eickhorst für das Buch gezeichnet hat.

 

Literatur

  • Balzter, Sebastian. 2008. Nachhilfe für Professoren. Frankfurter Allgemeine Zeitung: 19.5.2008.
  • Elkana, Yehuda/Klöpper, Hannes. 2012. Die Universität im 21. Jahrhundert. Hamburg: edition Körber-Stiftung
  • Glotz, Peter. 1996. Im Kern verrottet? Fünf vor Zwölf an Deutschlands Universitäten. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt
  • Jacob, Anna Katharina/Teichler, Ulrich. 2011. Der Wandel des Hochschullehrerberufs im internationalen Vergleich. Ergebnisse einer Befragung in den Jahren 2007/08. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld.
  • Kamenz, Uwe/Wehrle, Martin. 2007. Professor Untat. Was faul ist hinter den Hochschulkulissen. Econ Verlag, Berlin. 2. Auflage.
Letzte Änderung: 04.05.2015