Mit digitalen Medien die eigene Lehre verändern: Inverted Classroom in der Neuroinformatik

Mit dem Einsatz digitaler Medien bieten sich für Lehrende an Hochschulen zahlreiche Möglichkeiten, ihre Lehrveranstaltungen zu gestalten und neue Praktiken zu entwickeln. Im Interview berichtet Prof. Dr. Wiskott von der Ruhr-Universität Bochum, welche Erfahrungen er mit dem Inverted-Classroom-Modell in seiner Lehrveranstaltung in der Neuroinformatik gemacht hat.

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Transkript

Das „RUBel-eTeam Digitalisierung“ freut sich heute, Herrn Prof. Dr. Wiskott im Interview zu begrüßen. Professor Wiskott ist Lehrstuhlinhaber und Leiter der interdisziplinären Forschungsgruppe „Theory of Neural Systems“, die sich mit der Selbstorganisation neuronaler Systeme beschäftigt. Dabei deckt sie die Spannweite von neuronalen Netzwerken bis hin zum Hippocampus ab. Die Theorie Neuronaler Netzwerke verbindet maschinelles Lernen und computergestützte Neurowissenschaft und erforscht Wege selbstorganisierendes, zielgesteuertes Lernen in Computern zu ermöglichen.

Herr Professor Wiskott, wir freuen uns, dass Sie heute hier sind und uns Ihren Beitrag zur Digital Learning Map vorstellen – Ein Projekt zur Bestimmung von Erfolgsfaktoren und zur Entwicklung von Vernetzungsstrategien für digitale universitäre Lehre. Ihr Praxisbeispiel, das Sie uns vorstellen, ist Ihr Kurs „Maschine Learning: Unsupervised Methods“. Können Sie uns vielleicht zum Einstieg einmal die zentrale Idee ihres Konzepts erläutern?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Ich habe mich inspirieren lassen von einem Podcast, den ich auch hier an der Uni gesehen habe, also ein Video über Inverted Classroom oder auch Flipped Classroom. Die Idee ist, das Lehrmaterial inhaltlich in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen und dann die Präsenzzeit dazu zu nutzen, darüber zu diskutieren und das zu vertiefen und zu vernetzen.

Wieso haben Sie sich dazu entschieden, digitale Lernelemente in Ihre Veranstaltung einzubauen?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Ich habe eigentlich schon recht früh auch Skripte und sowas zur Verfügung gestellt und im Rahmen des Inverted Classrooms ist es natürlich notwendig, das Material so zur Verfügung zu stellen, dass Studenten damit allein inhaltlich alles aufarbeiten können. Deswegen habe ich noch weitere Medien zur Verfügung gestellt, vor allem habe ich eine Reihe von Videos gemacht, die ich dann auch auf YouTube gestellt habe.

Können Sie uns Ihr Praxisbeispiel genauer beschreiben? Welches Kursformat haben Sie gewählt und wie unterscheidet sich das von traditionellen Kursen?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Die Veranstaltung besteht aus 2 Semesterwochenstunden (SWS) Lehre oder Vorlesung und 2 SWS Übung. Ich habe die Übung nicht stark verändert, hauptsächlich der Lehrteil hat sich verändert. Wo ich eben früher an der Tafel die Inhalte vermittelt habe, gehe ich halt jetzt über zu einer Diskussion. Also ich stelle ganz viele Fragen, die sollen mir selber erklären, was nun der Inhalt ist und diese Diskussion finde ich sehr viel erfreulicher als einfach nur vorzutragen.

Können Sie uns Beispiele von den digitalen Medien nennen, die Sie eingesetzt haben und welche Wirkungen haben diese bei den Studierenden erzielt?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Ich habe zum einen Vorlesungsskripte und zum anderen eben diese Videos. In den Videos gehe ich im Wesentlichen durch meine Skripte durch, aber ich fertige da auch spontan sozusagen weitere Zeichnungen an und die Studierenden nutzen diese Mischung je nach eigenem Lernverhalten. Also manche sagen mir, dass sie im Wesentlichen mehr Skript lesen und manche gucken sich im Wesentlichen die Videos an und manche machen eine Mischung daraus.

Wie kann die digitale Lernumgebung das selbstgesteuerte Lernen für Ihre Studierenden ermöglichen?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Dadurch, dass das Material sowohl als Skript als auch als Video zur Verfügung steht, können die Studierenden ganz selbstorganisiert lernen, sich die Inhalte aneignen. Ich habe ja auch Übungen dazu und bei den Übungen mache ich es so, dass ich einerseits Übungszettel habe, wo nur die Übungsaufgaben draufstehen und anderseits kriegen sie auch sofort die Lösungen mit auf dem anderen Zettel. Es ist sozusagen beides als PDF „runterladbar“ und auch da können sie sich dann selber organisieren. Möchten sie jetzt einfach nur die Übungsaufgaben angucken und versuchen, die wirklich selbst zu lösen oder brauchen sie die Lösungen, die Musterlösungen als Hilfe, als Unterstützung? Oder sind sie einfach nur damit beschäftigt, die Musterlösung zu verstehen? Also je nachdem auch, wie gut die Studierenden sind, können sie sozusagen dann selbst bestimmen, wie viel Hilfe sie in Anspruch nehmen.

Zum Beispiel: Ungefähr die Hälfte der Studierenden, die zu einer Prüfung kommen, die sind im Kurs gar nicht anwesend gewesen. Die haben sich allein aufgrund der elektronischen Materialien vorbereitet und schneiden auch sehr gut ab. Also insgesamt sind in den Prüfungen die Noten wirklich besser geworden. Also die Studenten lernen wirklich mehr in diesem Format, ist auch mein Eindruck.

Worin sehen Sie den Mehrwert in Ihrem Praxisbeispiel?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Den wesentlichen Mehrwert sehe ich darin, dass die Kontaktzeit, die ja quasi die wertvolle Zeit oder auch die kostbare Zeit ist, dass die nicht damit genutzt wird, einfach Inhalte zu vermitteln, sondern damit zur arbeiten. Ich glaube, dass da ein sehr viel tieferes Verständnis für die Inhalte entsteht, dadurch dass man aktiv damit arbeitet und ich auch viele Fragen stelle, die zu einer Vernetzung des Wissens innerhalb des Materials einlädt.

Gibt es für Sie besondere Erkenntnisse oder Erfahrungen aus Ihrem Praxisbeispiel, die Sie weitergeben möchten?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Ich glaube, ich möchte einfach ermutigen dazu, wirklich diesen Schritt zu wagen in dieses erstmal sehr ungewohnte Format. Es kostet schon viel Arbeit, diese Videos zum Beispiel zu erstellen, das Material so aufzuarbeiten. Aber wenn man das mal gemacht hat, dann ist es ein, finde ich, viel organischeres Lernen und wirklich sehr viel angenehmerer. Es macht mir einfach selbst auch viel mehr Spaß, mit den Studierenden über das Material zu diskutieren, als einfach zu versuchen, das Wissen sozusagen zu vermitteln.

Gibt es digitale Medien, die den Lernprozess besonders innoviert und unterstützt haben, die sie weiterempfehlen würden? Und wenn ja, weshalb?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Wie gesagt, es sind die Videos im Wesentlichen, die ich neu gemacht habe für dieses Format. Das war für mich auch erst mal aufregend. Aufnehmen, die eigene Stimme hören und es ist wirklich viel Arbeit auch. Also ein 20-Minuten-Video zu machen kostet mich mindestens zwei Stunden. Auch diese Nachbereitung, das Schneiden und so weiter. Auch das dann öffentlich zu machen, wirklich auf YouTube zu stellen, kostet natürlich eine gewisse Überwindung. Aber ich bin letztendlich sehr froh damit und finde, dass es sehr gut funktioniert und das möchte ich weitergeben.

Welche digitalen Lösungen konnten Sie für speziell analoge Probleme finden?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Naja, vielleicht ist das Hauptproblem eigentlich, dass die Studierenden eine sehr unterschiedliche Art haben zu lernen, sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten haben auch zu lernen und dadurch, dass sie das Material komplett zu Hause haben und dann auch zum Beispiel ein Video zweimal angucken können, jederzeit anhalten können und dann im Skript nachgucken können. Das ist, was ich immer widergespiegelt kriege, dass dieses Lernen zu Hause aufgrund der Materialien den Studierenden ermöglicht, in ihrem wirklich eigenen Tempo und auch in ihrer eigenen Art zu lernen. Manche lesen lieber, manche hören lieber zu. Ich glaube, das ist in gewisser Weise eine stärkere Individualisierung des Lernprozesses, die dieses Format ermöglicht.

Was würden Sie uns zum Schluss noch mit auf den Weg des digitalen Lehrens geben wollen?

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Ich habe einfach sehr gute Erfahrung auch mit dem E-Learning-Team gemacht. Ich glaube, dass es viele Angebote, auch im Weiterbildungszentrum gibt, das eigene Lernen/Lehren zu verbessern und darauf einfach zurückzugreifen. Also das wirklich auch zu nutzen, diese Angebote, die es gibt.

Herr Prof. Wiskott, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.

Prof. Dr. Laurenz Wiskott: Bitte schön.