SocialVR-Tagung zu VR/AR in der beruflichen Bildung

09.03.2021: Die Universitäten Potsdam und Duisburg-Essen führten im November/Dezember 2020 eine der ersten wissenschaftlichen Tagungen per Social Virtual Reality (SocialVR) durch. Die mehrwöchige Tagung thematisierte die Verankerung von Technologien der Virtual und Augmented Reality (VR/AR) in der beruflichen Bildung. Im Fokus stand jedoch auch die Untersuchung der Eignung des immersiven Mediums für Tagungsszenarien.

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Dr. Raphael Zender und Miriam Mulders

SocialVR ist ein Sammelbegriff für VR-Anwendungen, in denen sich Nutzende in einer computergenerierten Online-3D-Welt treffen, gegenseitig informieren, miteinander spielen oder gar gemeinsam 3D-Inhalte erstellen. Sie mögen physisch global verteilt sein, erleben aber durch das Phänomen der Sozialen Präsenz eine unmittelbare Nähe zueinander – ähnlich wie bei klassischen Treffen in der physischen Realität.

Die Untersuchung der SocialVR-Potentiale für Tagungsszenarien sowie die Professionalisierung des Einsatzes von SocialVR in Projekten der Teilnehmenden ergänzten die fachlichen Ziele rund um die Verankerung von VR/AR in der beruflichen Bildung. Durch das Stattfinden während der Corona-Pandemie wurde das Format auch unter Gesichtspunkten der Online-Kommunikation als Ersatz für Tagungen in Präsenz interessant, auch wenn dies ursprünglich nicht angestrebt wurde.

Als kostenlose, öffentliche SocialVR-Plattform wurde AltspaceVR genutzt. AltspaceVR ist eine Client-Server-Anwendung, d.h. sämtliche Inhalte werden auf den Servern des Anbieters gespeichert und je nach Bedarf an die Anzeigesoftware (Clients) auf den Geräten der Nutzenden ausgeliefert. Dies betrifft nicht nur sämtliche Medien (z.B. 3D-Modelle, Texturen, Bilder) in der virtuellen Welt, sondern auch alle Daten rund um die Nutzungsorganisation (z.B. Zugangsdaten, Gruppen und Freundeslisten der Nutzenden). Die Nutzenden werden in AltspaceVR über Avatare repräsentiert, dich sich individualisieren lassen. Ihnen steht ein breites Spektrum an möglichen Aktivitäten in AltspaceVR zur Verfügung. Dazu zählen insbesondere die Erkundung und Gestaltung von 3D-Umgebungen und die Interaktion mit anderen Nutzenden (z.B. per Sprache, Gesten, Text-Chat) sowie die Teilnahme an Veranstaltungen wie dieser Tagung.

Die Teilnahme war problemlos mit einem Desktop-PC möglich, die Nutzung von VR-Headsets wurde nachdrücklich empfohlen. Etwa zwei Drittel der 114 Teilnehmenden nutzten ein VR-Headset. Der Tagungszeitraum war vom 2. November bis 11. Dezember 2020. Die grundlegende Struktur der diskussionsorientierten Tagung orientierte sich an typischen wissenschaftlichen Konferenzen und Workshops im deutschsprachigen Raum (z.B. Keynotes, Impulsvorträge, Poster-Session, Social Event), um eine Vergleichbarkeit im Rahmen der Evaluierung zu gewährleisten.

Eindrücke aus der Tagung
Eindrücke aus der Tagung (links: Impulsvortrag, rechts: Projektvorstellung per Poster)

Die Verwendung von SocialVR erforderte grundsätzliche konzeptionelle Anpassungen. Zum einen wurde die Tagung mehrwöchig mit 2-3 ca. 90-minütigen Sessions pro Woche angelegt, um die Bildschirm- und VR-Headset-Zeit auf einem verträglichen Niveau zu halten. Zwischen den Sessions aber auch vor Tagungsbeginn wurde Discord eingesetzt, um technische sowie organisatorische Fragen zu beantworten, die Teilnehmenden miteinander zu vernetzen und jederzeit Diskussionen zu ermöglichen. Zum anderen war frühzeitig abzusehen, dass ein großer Teil der Teilnehmenden kaum Vorerfahrung mit SocialVR und insbesondere AltspaceVR hat. Daher wurden vor Tagungsbeginn Tutorials für die AltspaceVR-Nutzung als Teilnehmende und Vortragende als PDFs und Videos zur Verfügung gestellt.

Eine wichtige Stärke von SocialVR ist die räumliche, sprach- und gestikbasierte Kommunikation mit anderen virtuell Anwesenden – gefördert durch das Phänomen der sozialen Präsenz. Daher wurde ein diskussionsorientiertes Tagungsformat umgesetzt. Im Zentrum standen die zentralen Fragestellungen rund um das Tagungsthema. Für die Identifikation und Auswahl der thematisierten Fragestellungen wurden die Mitglieder des Programmkomitees und weitere Interessierte gebeten, sich an einem entsprechenden Online-Brainstorming zu beteiligen. Das Ergebnis des Brainstormings kann auf der Tagungswebseite heruntergeladen werden.

Die zahlreichen Themen und Fragestellungen wurden anschließend durch die Organisierenden geclustert und fünf übergeordnete Fragestellungen ausgewählt:

  • Welche zentralen Herausforderungen bremsen den Einsatz von VR/AR in der beruflichen Bildung?
  • Welche didaktischen Chancen und Herausforderungen ergeben sich durch VR/AR-Lernanwendungen?
  • Woher kommen (Lern)Inhalte für VR/AR in der beruflichen Bildung?
  • Welche infrastrukturellen Anforderungen werden durch VR/AR an Bildungsinstitutionen gestellt?
  • Wie können Lernende und Lehrende angemessen auf VR/AR vorbereitet werden?

Zu jeder der Fragestellungen wurde eine Live-Session in AltspaceVR durchgeführt, um einen Impuls (z.B. Expert*innenvortrag) zu geben und die Fragestellung dann mit den Teilnehmenden zu diskutieren. Zusätzlich rundeten zwei Keynotes sowie Projektpräsentationen und ein Social Event die Tagung ab und schaffen damit wieder eine Brücke zu klassischen Tagungsformen.

Die systematische Evaluierung der Tagung lieferte ein überwiegend positives Bild. Es konnte festgestellt werden, dass wissenschaftliche Tagungen in SocialVR unter Berücksichtigung aller Stärken und Schwächen möglich und wertvoll sind. Die Teilnehmenden schätzen das Medium größtenteils positiv für diesen Anwendungsfall ein. Es bleibt aber auch festzuhalten, dass noch deutlicher Forschungsbedarf zu Tagungen in SocialVR besteht. Aspekte wie unterschiedliche Anbieter, unterschiedliche Fachdisziplinen und unterschiedliche Zielgruppen müssen künftig näher betrachtet werden. Erst dann können fundierte und evidenzbasierte Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen Bedingungen der Einsatz von SocialVR einen Mehrwert für wissenschaftliche Veranstaltungen bietet. Weitere Erkenntnisse und Details zur Evaluierung können dem umfassenden Tagungsbericht auf der Tagungswebseite entnommen werden. Dort finden sich auch weitere Artefakte zur Tagung (z.B. Keynote-Aufzeichnung, Tutorials, Graphic Recordings, Recap-Video, Poster).

Insbesondere sei an dieser Stelle auf das unten stehende Recap-Video zur Tagung hingewiesen, welches tiefergehende Einblicke in die Tagung erlaubt und Meinungen von Teilnehmenden enthält.

Derzeit ist noch unklar, ob und in welcher Form es Fortsetzungen dieser Tagung geben wird. Teilnehmende haben jedoch ein großes Interesse gezeigt, das Medium SocialVR für eigene akademische und sonstige Veranstaltungen einzusetzen. Zudem wird im Sommersemester 2021 basierend auf den Erkenntnissen aus der Tagung an den Universitäten Potsdam und Duisburg-Essen ein interdisziplinärer Projektkurs für Studierende der Erziehungswissenschaften und Informatik in SocialVR angeboten.

Die Tagung war ein erfolgreiches Ergebnis des Ideenwettbewerbs auf der eQualification 2020 in Bonn. Sie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Förderkennzeichen: 01PJ20001). Sie fand zudem im Rahmen der Aktivitäten des Arbeitskreises VR/AR-Learning der Fachgruppen Bildungstechnologien und VR&AR der Gesellschaft für Informatik (GI) statt.

Beitragende

Miriam Mulders arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement der Universität Duisburg-Essen. Sie arbeitet in den Forschungsprojekten HandLeVR (Handlungsorientiertes Lernen in der VR-Lackierwerkstatt)
und SUPRIMA (Suizid - Prävention - Risiko – Management) sowie in den Projektmodulen der Masterstudiengänge und Zertifikate des Learning Labs und der Lehre im Bachelorstudiengang Erziehungswissenschaften.
Raphael Zender ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Komplexe Multimediale Anwendungsarchitekturen an der Universität Potsdam. Er forscht zum Einsatz von VR/AR-Technologien in Bildungssettings. Raphael Zender leitet die VR/AR-bezogenen Forschungsprojekte
am Lehrstuhl, ist Initiator des Arbeitskreises VR/AR-Learning der Gesellschaft für Informatik (GI) sowie stellv. Sprecher des Leitungsgremiums der GI-Fachgruppe Bildungstechnologien. Seit 2019 koordiniert er das BMBF-geförderte, interdisziplinäre Forschungsprojekt HandLeVR, welches den Einsatz von VR in handlungsorientierten Lernszenarien im Handwerk untersucht.