Virtuelle Labore

Das Labor ist in ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studiengängen integraler Bestandteil der Lehre. Die aktive Durchführung von Übungen und Experimenten vertieft einerseits theoretisch erworbene Grundlagen und überführt sie andererseits in praxisbezogenes Handlungswissen.

Gleichzeitig motivieren Laboreinheiten Studierende zu eigenständigen Problemlösungen. Sie dienen damit nicht zuletzt der berufsvorbereitenden Vermittlung von Kenntnissen und Erfahrungen, die von Industrie und Wirtschaft erwartet werden. Doch in der Realität kommt das „Learning by Doing“ häufig zu kurz. Entweder ist das Verhältnis von Studierenden und Laborplätzen nicht ausgewogen oder es fehlen schlichtweg die personellen wie materiellen Ressourcen. Der Kostendruck an den Hochschulen führt außerdem zu einer mangelnden Verfügbarkeit von gerätetechnischen Anlagen, die sich auf der Höhe der Zeit bewegen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die Gruppe der so genannten virtuellen Labore, die wir Ihnen mit dieser Vertiefung näher vorstellen möchten.
Virtuelle Labore können auf unterschiedliche Weise gestaltet werden, z. B. 

Das Remote-Labor

Im traditionellen Präsenzlabor führen die Studierenden ihre Übungen vor Ort am oder mit realem Gerät durch. Ein Remote-Labor dagegen ermöglicht die Nutzung der Geräte, Maschinen oder Roboter von einem räumlich entfernten (remote) Standpunkt aus. Die Steuerung erfolgt dabei über das Intranet / Internet und wird deswegen auch als telematisch bezeichnet. Selbst komplexe Systeme wie Roboter, Regelgeräte oder Prozessanlagen können ferngesteuert in Echtzeit via Internet beobachtet, bedient und programmiert werden. Der Versuchsablauf lässt sich dabei am Rechner über Live-Kameras verfolgen.

Das Arbeiten im „Remote Mode“ vermittelt Fähigkeiten in den Bereichen Teleservice und –diagnose . Gerade angehende Ingenieure benötigen diese in der späteren Berufspraxis von (global) verteilten Entwicklungs- und Produktionsstätten. Daher eignen sich besonders moderne Anlagen für den Besatz eines remote Labors – auch Telelabor genannt. Sie verfügen häufig über eine integrierte Teleservice-Funktionalität und damit über die notwendigen Schnittstellen für die Online-Bedienung: neben Robotern beispielsweise elektrische speicherprogrammierte Steuerungen (SPS), pneumatische Antriebs- und Steueranlagen oder CT-Anlagen zur Materialprüfung. Um die virtuelle Teamfähigkeit von Studierenden zu fördern, können Übungen und Praktika im Remote-Labor mit digitalen Kooperationsangeboten verknüpft werden. Weiterführende Informationen zum Thema Gruppenarbeit sind in der Rubrik Lehrszenarien zusammengestellt; technologische Hinweise zur Unterstützung internetbasierter Gruppenarbeit bietet die Vertiefung Kommunikation und Kooperation in der Rubrik Medientechnik.

Beispiele:

  • Die Digital Learning Map auf e-teaching.org enthält mehrere Praxisbeispiele zum Einsatz von Remote-Laboren, darunter das Industrial eLab der Universität Magdeburg und er Hochschule Magdeburg-Stendhal (dessen Ergebnisse auch in einem Erfahrungsbericht vorgestellt werden), das VR-Lab in der Medizin der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm sowie das Beispiel Remote-Lab und Lehrvideos der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
  • Weiterführende Informationen zu Remote-Laboren verschiedener Universitäten und Hochschulen bietet die Webseite der vom Hochschulforum Digitalisierung iniitiierten Community Working Group (CWG) Remote-Labore in Deutschland.

 

Virtuelles Labor

Das virtualisierte Labor

In virtualisierten Laboren werden die Charakteristika und Eigenschaften von Präsenzlaboren durch computergestützte Simulationen ersetzt. Das bedeutet, die realen Abläufe eines Biologiepraktikums zum Beispiel werden auf Basis digitaler Prozessberechnungen generiert und auf dem Monitor des Nutzers möglichst wirklichkeitsnah abgebildet.
In diesem Zusammenhang spricht man von virtueller Realität, wenn die eigentlich nicht vorhandene Realität als „echt“ empfunden wird. Bekannte Beispiele sind Flugsimulatoren in der Pilotenausbildung, virtuelle Crashtests und Computerspiele.

Virtualisierte Labore lassen sich in der Regel bequem an jedem Ort über einen Internetbrowser starten. Für die Versuchsausführung kann allerdings die Installation kleinerer Anwendungen wie ein Java-Applet oder ein spezielles Plug-In notwendig sein. Die Nutzung erfolgt interaktiv : Das System reagiert unmittelbar auf die individuellen Eingabe- und Steuerungsoperationen der experimentierenden Studierenden. Über einen Webserver wird die aktuelle Versuchsentwicklung berechnet und sofort auf dem Clientrechner des Experimentators neu visualisiert. Der Studierende nimmt den Ablauf als reale, authentische Situation wahr. Abschließend lässt sich der virtuelle Versuch nach den spezifischen Fragestellungen der jeweiligen Disziplin auswerten. Virtuelle Labore veranschaulichen damit genauso wie das Präsenzlabor Ursache- und Wirkungszusammenhänge und förderen dadurch spielerisch anwendungsnahes, exploratives Lernen. Aus diesem Grund sollte sich der Lernende ohne personelle Hilfe rein durch Interaktion mit dem virtuellen Labor neue Inhalte erarbeiten können. In der Rubrik Mediengestaltung werden verschiedenen Möglichkeiten des Interaktivitätsdesigns sowie zur Gestaltung von Simulatioen vorgestellt.

Im Labor erwerben Studierende – je nach Fachbereich – spezielle Fertigkeiten und begreifen prozessuale Zusammenhänge durch praktische Erfahrung. Der Einsatz virtueller Labore lohnt sich deshalb dort, wo der Zugriff auf teure, hochspezialisierte Geräte und Software nicht möglich ist oder studienrelevante Experimente aus Gefahren-, Kostengründen oder ethischen Motiven entfallen.

Beispiele

 

Das teilvirtualisierte Labor

teilvirtualisiertes Labor

In der Laborpraxis gibt es ferner Entwicklungen, in denen das Präsenzlabor durch virtuelle Elemente und einen Remote-Zugriff ergänzt wird. Das eröffnet ganz neue Perspektiven: So ist es möglich, dass die Studierenden einen Versuch zunächst unter idealisierten Bedingungen an einem simulierten Modell üben, bevor sie das Experiment an realer Hardware über das Internet durchführen. Zudem können auf diese Weise virtuelle Werkstücke mit realem Gerät bearbeitet oder reale Bauteile über einen (3D-)Scanner virtualisiert und online modifiziert werden. Verfahren, die im Rapid-Prototyping oder von Architekturprogrammen angewendet werden.

Beispiel

  • Einen Einblick gewährt hier das Labor für Robotik und virtuelle Systeme der Fachhochschule Aalen.
  • Die App „MyMi.mobile” ermöglicht das web-basierte Erlernen mikroskopisch-anatomischer Inhalte direkt auf dem Smartphone oder Tablet anhand hochauflösender, virtuell mikroskopierbarer und vollständig annotierter histologischer Präparate.

Vor- und Nachteile virtueller Labore

Das Labor erfüllt die Funktion, Lernen in einem authentischen Kontext zu ermöglichen. Als fallbasiertes Lehrszenario garantiert es einen hohen praxisorientierten Anwendungsbezug, schafft dadurch Lernanreize und motiviert Studierende sich auch abstrakte Inhalte zu erarbeiten. Ein weiteres großes Plus von virtuellen und Remote-Laboren ist die orts- und zeitflexible Nutzung rund um die Uhr an allen Wochentagen: Das führt zum einen zur gleichmäßigeren Auslastung oftmals kostenintensiver Laboranlagen. Zum anderen erhöht es den Durchsatz an Teilnehmenden, der im Präsenzbetrieb erheblich geringer ausfällt. Rein virtuelle Labore benötigen zudem keine teuren Verbrauchsmaterialien und können parallel von mehreren Studierenden genutzt werden.

Durch den Austausch von virtuellen Experimenten und den hochschulübergreifenden Zugang zu Geräten, die sonst nicht zur Verfügung stehen, lässt sich die Angebotsvielfalt an den einzelnen Hochschulen und somit die Ausbildungsqualität verbessern. Diese erfährt eine zusätzliche Steigerung durch die fachbezogene Medienkompetenz, welche die Studierenden während der Versuchsdurchführungen entwickeln. Denn hierbei sind Kenntnisse im Umgang mit dem PC und Internet unabdingbar. Ist das Labor Bestandteil einer E-Learning-Plattform (LMS), erarbeiten sich die Studierenden außerdem notwendige Informationen über das Internet und melden ihre Ergebnisse in Form von Texten und Diagrammen online zurück. Die leichte Handhabung der Labore über einen Internetbrowser ermöglicht eine individuelle Gestaltung der Lernprozesse. Die Arbeitsgeschwindigkeit wird selbst bestimmt. Die jeweiligen Übungen sind durch ihre Zeit- und Ortsflexibilität leicht in den Stundenplan Lernender zu integrieren. Sie können von ihnen jederzeit gestoppt, nachbereitet und wiederholt werden. Derart unterstützen virtuelle Übungen die Eigenaktivität in Selbstlernphasen. Den lerntheoretischen Auswirkungen digitaler Medien widmet sich die Rubrik Didaktisches Design.

Über realitätsnah erzeugte Simulationen können Studierenden in den jeweiligen Studienzyklen immer wiederkehrende Labor- und Praktikainhalte sehr gut vermittelt werden. Diese Grundlagen lassen sich in virtuellen Kontexten ähnlich effizient wie in Präsenzübungen trainieren. Doch Simulationen finden unter idealisierten Bedingungen statt: Im Vergleich von fiktiven Experimenten und realen Versuchen zeigen sich oftmals Abweichungen – zum Beispiel durch vereinfachte Abbildungsalgorithmen. Virtuelle Laborsitzungen können folglich fehlende Angebote hervorragend kompensieren. Sie sollten aber trotzdem im Wechsel mit realen Experimenten stehen, um das Bewusstsein der Studierenden für die Unterschiede zu schärfen.

Remote-Labore vermitteln den Studierenden Erfahrungen mit einem höheren Maß an Authentizität. Dennoch haben remote durchgeführte Experimente auch Nachteile: Zwar können hier die visuellen und auditiven Eigenschaften eines Versuchs gut transportiert werden, die haptischen (Tastsinn), olfaktorischen (Geruchssinn), propriozeptiven (Tiefensensibilität) und vestibularen (Gleichgewichtssinn) Sinneseindrücke bleiben dagegen gewissermaßen auf der digitalen Strecke. Zudem hat auch im Remote-Betrieb zu jedem Zeitpunkt immer nur eine Person Zugriff auf die Geräte. Dies führt online ebenso zu Wartezeiten oder macht eine passwortabhängige Reservierung notwendig. Bei großem Andrang kann das Experiment daher schon mal in die Nacht- oder Abendstunden sowie auf das Wochenende fallen. Virtuelle Versuche erfordern für einen störungsfreien, reibungslosen Ablauf häufig eine hohe Bandbreite. Es kann nicht erwartet werden, dass Studierende über einen entsprechend leistungsstarken Anschluss verfügen. Daher sollten an der Hochschule ein Funk-LAN und/oder ausreichend öffentliche PC-Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.

Auch können virtuelle Labore zu einer gewisse sozialen Vereinzelung der Lernenden beitragen. Diese Arbeitssituation kann gerade bei stärker anleitungsorientierten Studierenden große Verunsicherungen auslösen. Ferner fällt damit die didaktische Evaluation des erfolgreichen bzw. nicht erfolgreichen Experiments immer weiter in den Verantwortungsbereich des Einzelnen. Mit zunehmenden Freiheitsgrad der Versuche ist zu erwarten, dass sich die Studierenden erhöht mit Überforderungen konfrontiert sehen. Damit die Abbruchrate letztendlich nicht höher ausfällt als in traditionellen Kursen, sollten diese Defizite virtueller Angebote durch tutorielle Begleitung abgefedert werden. Hinweise zur Gestaltung solcher Kommunikationsangebote im virtuellen Raum vermittelt die Rubrik Lehrszenarien.

Letzte Änderung: 28.01.2022

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