"Obrigada Lisboa!" - ED-MEDIA 2011

Stefanie Panke, Geschäftsführerin des Zentrums für E-Learning der Universität Ulm, war lange Zeit Mitglied in unserem Redaktionsteam. Für e-teaching.org hat sie einen Konferenzbericht von der diesjährigen ED-MEDIA verfasst.

Quelle: http://www.aace.org/conf/edmedia/

Die 23. "World Conference on Educational Multimedia, Hypermedia & Telecommunications" (ED-MEDIA) fand dieses Jahr vom 27. Juni bis zum 1. Juli in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon statt. Sie brachte ca. 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus rund 60 Ländern zusammen. Vor der Kulisse des wunderschönen Campus der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Universität Lissabon und unter der Fürsorge portugiesischer Gastfreundlichkeit diskutierten Lehrende, Forschende, Softwareentwickler, didaktische Designer, Administratoren und Multimedia Autoren über die künftige Entwicklung von Bildung und Technologie.


Zur ED-MEDIA erschienen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus einer Bandbreite von Fachgebieten, wie z.B. Pädagogik oder Informationswissenschaften. Die von der "Association for the Advancement of Computing in Education" (AACE) jährlich veranstaltete Konferenz findet abwechselnd in den USA, Kanada und Europa statt. Dieses Jahr erwartete die Teilnehmenden ein umfangreiches Programm: Neben zahlreichen Keynotes, Vorlesungen und einem extensiven Programm für Nachwuchswissenschaftler, konkurrierten annähernd 600 Begleitveranstaltungen, darunter Workshops, Postersessions oder Symposien, um ihre Aufmerksamkeit.

Abgesehen von kleinen organisatorischen Pannen wurde die Großveranstaltung effizient organisiert und es herrschte eine Atmosphäre der Hilfsbereitschaft. Die Akzeptanzquote für Full Paper lag bei etwa 50%. Elf der ausgewählten Beiträge wurden mit dem renommierten Outstanding Paper Award ausgezeichnet.

Die diesjährige Gastgeberin, die Universität Lissabon feiert derzeit ihr 100jähriges Bestehen, wobei Lissabons Bildungstradition noch weiter zurückreicht, wie António da Nóvoa, Rektor der Universität, in seiner Begrüßungsrede ausführte. Trotz ihres Ursprungs in der scholastischen Tradition des Mittelalters beschwor Prof. da Nóvoa das Humboldtsche Bildungsideal und forderte die Teilnehmenden dazu auf, sich mit neuen Visionen für Lehre und Lernen einzubringen – eine Aufgabe, die zu den bedeutendsten Herausforderungen höherer Bildung gehöre. Auf da Nóvoas Appell folgte die erste Keynote über vernetztes Lernen, mit der Alec Couros von der kanadischen Universität von Regina die Konferenz eröffnete. In seinem Vortrag konzentrierte sich Couros auf die individuelle Herausforderung, eine positive digitale Identität zu kreieren, vor allem dort, wo sich berufliches und privates Leben vermengen. "Wir leben in einer Welt, in der Privatsphäre kaum mehr möglich ist", behauptete er. Eine Welt, in der Inhalte systematisch öffentlich gemacht würden und sie eher selten privat blieben, was besonders für Heranwachsende Konsequenzen habe: "Offene soziale Räume und Formungsprozesse digitaler Identität benötigen einen bestimmten Grad an 'Nachsicht'."

"Freier Zugang ist wertvoll." – so schien das Motto vieler Keynotes zu lauten. Eric Duval beschrieb in seinem Vortrag Möglichkeiten personalisierter Lernerfahrungen in Bildungseinrichtungen. Er empfahl Universitäten, dem Beispiel von Google Takeout zu folgen.  Er plädierte dafür es dem studentischen Lerner zu ermöglichen, die Daten, die von ihm an einer Hochschule gesammelt werden, von einem Bildungsprovider zum nächsten zu übertragen.

George Siemens warb dafür den akademischen Wissenschaftsbetrieb über die digitale Wissenschaftskultur, Transparenz und Zurechenbarkeit, die in digitalen sozialen Prozessen entstünden, zu verändern: “Formal peer review articles are vital, but bring out the personal me to comprehend the academic, intellectual me!”

Die Grauzone zwischen Formellem und Informellem in der Wissenschaft war auch Kernthema in der Podiumsdiskussion mit Martin Weller (Open University, Großbritannien) und Antonio Figueiredo (Universität Coimbra, Protugal). “In the next decade, digital scholarship in open journals, blogs and social media will achieve the same status in academic settings as traditional scholarship – true or false?”  Die Mehrheit der Zuhörerinnen und Zuhörer, welche dazu angehalten waren, sich an der Diskussion zu beteiligen, glaubten nicht, dass die digitale Wissenschaftsarbeit gleiche Bedeutung erlangen würde. Viele betonten die Wichtigkeit der Genrevielfalt und die zahlreichen Kommunikationsmöglichkeiten in der Wissenschaft sowie die Bedeutung des Studiums von Klassikern: "Technologien kommen und gehen schnell, große Ideen hingegen sind selten", so Vygotsky.

Der Fokus der Konferenz auf freien Zugang zu Bildung hätte leicht den falschen Eindruck erwecken können, dass Informations- und Kommunikationstechnologien wie auch Online-Bildung allgegenwärtige, leicht zugängliche Güter seien. Dass dem nicht so ist, machte Patricia Leigh in ihrem Vortrag über die digitale Kluft deutlich. In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf ethnographische Forschung geprägt von kritischer Theorie. Sie plädierte dafür, über den Tellerrand von Statistiken zu schauen, die sagen, wer Zugang hat und wer nicht. Kritische Sozialtheorien hingegen liefern ihrer Ansicht nach eine Perspektive, die es erlaubt, historische und soziologische Ursachen, Dominanz-, Unterdrückungs- und Machtstrukturen zu untersuchen.  Die digitale Kluft könne man nicht verstehen, ohne die analoge Kluft  - entstanden aus Sklaverei oder Rassentrennung verstanden zu haben. 

Bereits letztes Jahr hatte man auf der ED-MEDIA ein Programm für Nachwuchswissenschaftler eingeführt, welches sich nun 2011 zu einer fest etablierten 'Konferenz in der Konferenz' weiterentwickelt hat. Während des gesamten, zeitlich wie inhaltlich intensiven Sonderprogramms wurde den 'Neulingen' die Forschungskultur der ED-MEDIA nähergebracht. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden Vorträge zu offen zugänglicher Forschung und Lehre, Methodologie und theoretische Grundlagen geboten. In Zusatzveranstaltungen wurden praktische Ratschläge zu grundlegendem wissenschaftlichen Handwerkszeug, wie dem Verfassen von Projektanträgen, die Arbeitsmarktorientierung oder das Organisieren von Konferenzen, gegeben. Thema war auch erfolgreiches Networking: "Ihr werdet Freunde fürs Leben finden. Denkt immer daran, das ist euer Stamm. Bildungstechnologie, didaktisches Design… unser gesamtes Gebiet besteht nur aus einer kleinen Gruppe von Leuten.", so Catherine Fulford von der University of Hawaii.

Es ist schlichtweg unmöglich, die zahlreichen Themen der ED-MEDIA ausreichend zusammenzufassen. So scherzte David Kennedy, ein Gastsreferent von der Universität Hongkong: "Eindeutig lautet das Thema dieser Konferenz… 'Was ist mein Lieblingstier!'" Dennoch konnte man bestimmte Trends erkennen, wie z.B. Open Learning, E-Books, mobile Lernapplikationen oder Vortragsaufzeichnung. Beispielweise stellte Prof. Kennedy die Ergebnisse eines Projektes zur Nutzung von Smart Phones als Lernmittel außer- und innerhalb des Vorlesungssaals vor und forderte damit die klassische Ansicht heraus, ein Seminarraum müsse eine Handy-freie Zone sein: "Früher haben Studierende Notizzettel hin- und hergereicht. Hätte man deswegen etwa Papier verboten?". Daraufhin brach eine hitzige Debatte über freien Zugang und Standardisierung aus – gerade in Hinblick auf Angebote mobilen Lernens –, in der Kennedy eine ausgewogene Sicht darlegte: So könne man beispielsweise Apples Ökosystem als problematisch wahrnehmen, doch andererseits böte es eine konsistente Umgebung mit hoher Verwertbarkeit.

Am Donnerstag konnte ich dann meine eigenen aktuellen Forschungsarbeiten vorstellen, in denen ich mich mit persönlichen Lernerfahrungen mit offenen Bildungsressourcen beschäftige. Gerade in Bezug auf meine eigenen Forschungsinteressen, habe ich die lebhafte Debatte über freien Zugang zu Bildung und dem Wissenschaftsbetrieb aufmerksam verfolgt.

Mir persönlich hat besonders die letzte Keynote von Andrew Law von der Open University gefallen. Er beschrieb jene offenen Bildungsangebote der Open University, die insbesondere darauf abzielen, informelles Lernen zu unterstützen. Dabei griff er einen wichtigen Punkt auf: Zugang und Verfügbarkeit führen nicht notwendigerweise zu Engagement oder aktiver Beteiligung. Die Folien seiner Präsentation sind hier online zugänglich.

Alles in allem habe ich Lissabon mit viel Stoff zum Nachdenken und inspirierenden Ideen wieder verlassen. Entsprechend möchte ich meinen Bericht mit dem einen portugiesischen Wort schließen, das vermutlich alle Konferenzteilnehmerinnen und –teilnehmer während ihres Aufenthaltes gelernt haben: "Obrigado!" Danke!