Lehrerbildung digital?! Erfassung studentischer Bedarfe an medienbezogenen Lehrkompetenzen

09.04.2020: An der Pädagogischen Hochschule Freiburg gehen Dr. Katharina Hellmann und Dr. Jan Henning-Kahmann im Rahmen der School of Education „Freiburg Advanced Center of Education“ (FACE) der Frage nach, wie sich die Bedarfe von Lehramtsstudierenden an medienbezogenen Lehrkompetenzen adäquat erfassen lassen.

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Dr. Katharina Hellmann und Dr. Jan Henning-Kahmann

Um SchülerInnen adäquat bei der Ausbildung digitaler Medienkompetenzen zu unterstützen, benötigen Lehrkräfte vermehrt medienbezogene Lehrkompetenzen. Empirische Studien weisen jedoch darauf hin, dass Lehrkräfte trotz positiver Einstellungen bezüglich digitaler Medien ihre SchülerInnen in diesem Bereich nur vereinzelt auf höherem Niveau fördern. Zudem wünschen sie sich insgesamt eine bessere Vorbereitung auf das Lehren und Lernen über und mit digitalen Medien in allen Phasen der Lehrerbildung.

Ein Projekt an der Pädagogischen Hochschule Freiburg zielt daher auf die empirische Erfassung und Beschreibung des Bedarfs von Lehramtsstudierenden, medienbezogene Lehrkompetenzen zu erwerben bzw. zu vertiefen. Zu Fragen bezüglich des Begriffes „medienbezogene Lehrkompetenzen” und einem neu entwickelten Fragebogeninstrument (Henning-Kahmann & Hellmann, 2023) äußerten sich die beiden Wissenschaftler im Interview.

Interview

Sie haben ein Instrument entwickelt, das studentische Bedarfe an medienbezogenen Lehrkompetenzen im Lehramtsstudium erfasst. Bitte erzählen Sie doch ein bisschen darüber, wozu Sie dieses Instrument entwickelt haben und wie es konkret aussieht.

Katharina Hellmann: Die Forderung, dass SchülerInnen digitale Medienkompetenzen erwerben sollen, ist nicht ganz neu, hat aber weiterhin höchste Relevanz. Hierzu wurde von der Kultusministerkonferenz (KMK, 2017) eine entsprechende Strategie entwickelt. Eine relevante Frage ist daher, welche Kompetenzen Lehrkräfte benötigen, um ihren SchülerInnen ausreichend Wissen und Fähigkeiten bezüglich digitaler Medien vermitteln zu können. International vergleichende Studien zeigen nämlich, dass deutsche Lehrkräfte zwar positiv gegenüber digitalen Medien eingestellt sind, diese aber nur unterdurchschnittlich häufig in Schule und Unterricht nutzen und sich insgesamt eine bessere Vorbereitung auf das Lehren und Lernen über und mit digitalen Medien wünschen (Eickelmann, Lorenz & Endberg, 2016). Insofern spielt die Hochschule, die ja als erste formale Bildungsinstanz im Professionalisierungsprozess von zukünftigen Lehrkräften bezeichnet werden kann, eine zentrale Rolle für den Kompetenzerwerb in diesem Bereich.

Die Pädagogische Hochschule Freiburg hat mit dem Ziel, diesen Herausforderungen von hochschulischer Seite gut begegnen zu können, unter Federführung des neuen Prorektorats für Lehre, Studium und Digitalisierung eine Digitalisierungsstrategie entwickelt, welche in den kommenden Struktur- und Entwicklungsplan (ab 2022) mit aufgenommen werden soll. Im Wintersemester 2018/19 wurden bereits Bedarfe und bestehende Projekte von HochschullehrerInnen zu z. B. digitalen Lehr-Lern-Konzepten, didaktischen Strategien, oder auch genutzter Hard- und Software erhoben. Da wir außerdem aus den regelmäßigen Studierendenbefragungen der School of Education (FACE) wussten, dass sich unsere Lehramtsstudierenden in hohem Maße eine bessere Vorbereitung auf den Einsatz von digitalen Medien im Unterricht wünschen, wurden ihre spezifischen Bedarfe im Sommersemester 2019 erfasst. Dazu entwickelten wir das hier vorgestellte Instrument. Es soll insgesamt dabei helfen, unsere Lehrerbildung an die studentischen Bedarfe von „Digitalisierung” und „digitaler Lehre” anzupassen.

Jan Henning-Kahmann: Unser Fragebogen erfasst über eine fünfstufige Zustimmungs-Likert-Skala den persönlichen Bedarf der Studierenden, insgesamt 19 verschiedene medienbezogene Lehrkompetenzen im Rahmen ihres Studiums zu erwerben bzw. zu vertiefen, wie z. B. die Berücksichtigung medialer Erfahrungen der SchülerInnen oder die Reflexion des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht. Diese Lehrkompetenzen wurden einem heuristischen Rahmenmodell medienbezogener Kernkompetenzen von Lehrkräften (Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern, 2017) entnommen und können jeweils einer von vier für den Unterricht zentralen Handlungskomponenten zugeordnet werden (s. Abb. 1). Zusätzlich wurde für jede Lehrkompetenz eine separate Antwortoption („halte ich nicht für relevant“) angeboten, damit niedrige Bedarfe nicht allein aufgrund einer fehlenden wahrgenommenen Relevanz geäußert wurden.

Unterrichtliche Handlungskomponenten medienbezogener Lehrkompetenz (angelehnt an Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern, 2017)
Unterrichtliche Handlungskomponenten medienbezogener Lehrkompetenz (angelehnt an Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern, 2017)

 

Haben Sie das Instrument bereits eingesetzt? Falls ja, gibt es schon erste Ergebnisse zu berichten?

Jan Henning-Kahmann: Ja, wir konnten es im Sommersemester 2019 im Rahmen unseres Projektes „Kohärenz im Lehramtsstudium (KohLe)“ bereits erfolgreich pilotieren. An der entsprechenden Onlinebefragung nahmen über 300 Lehramtsstudierende der Pädagogischen Hochschule und der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg teil, wobei sich unsere bisherigen Auswertungen ausschließlich auf die Studierenden der Pädagogischen Hochschule beziehen, da von der Universität bislang noch zu wenig Daten vorliegen. Die Ergebnisse zeigen zunächst einmal, dass die Studierenden die verschiedenen erfragten medienbezogenen Lehrkompetenzen durchweg als relevant einstufen und einen hohen Bedarf haben, diese in ihrem Studium zu erwerben bzw. zu vertiefen. Darüber hinaus konnten wir im Zuge der psychometrischen Überprüfung unseres Instrumentes nachweisen, dass sich die Bedarfe der Studierenden gemäß den Handlungskomponenten des theoretischen Rahmenmodells in vier Dimensionen unterscheiden lassen (vgl. Abb. 1), die reliabel messbar sind. Aus hochschuldidaktischer Sicht interessant ist der Befund, dass Studierende der Sekundarstufe I im Vergleich zu jenen der Primarstufe einen signifikant niedrigeren Bedarf in Bezug auf die Handlungskomponenten „Planung und Entwicklung“ sowie „Sharing“ aufzeigten. Diesem ersten Hinweis auf möglicherweise unterschiedlich auszugestaltende Studienelemente kann nun in weiteren Analysen und Befragungen nachgegangen werden. Insgesamt weisen die Ergebnisse also darauf hin, dass die Lehramtsstudierenden einen hohen Bedarf an medienbezogenen Lehrkompetenzen haben, deren Bedeutung sie klar wahrnehmen.

Was genau muss man sich denn unter „medienbezogenen Lehrkompetenzen” vorstellen? Ist das einfach ein anderer Begriff für „Medienkompetenz” oder „digitale Kompetenz”?

Katharina Hellmann: Digitale „medienbezogene Lehrkompetenzen” gemäß unseres Verständnisses befassen sich mit einem spezifischen Bereich medialer Bildung, der über das reine Wissen um digitale Medien, d. h. um kritisch-reflexive oder handlungsbezogene Aspekte von Mediennutzung (i.S. einer „Medienkompetenz” nach Baacke, 1996) hinausgeht. Bei der eben genannten Perspektive liegt der Fokus ja zumeist auf der eigenen Medienkompetenz. Uns geht es aber vielmehr um pädagogisch-didaktische Kompetenzen von Lehrkräften im Bereich der digitalen Medien, und somit um die Nutzbarkeit dieser Medien für unterrichtliches Lehren und Lernen. Diese Perspektive rückt also nicht mehr das eigene Wissen und Können in den Fokus, sondern das Wissen und Können der SchülerInnen. Eine handlungsleitende Frage wäre dann z. B. nicht: „Habe ich Strategien, um medientechnischen Problemen adäquat zu begegnen?”, sondern vielmehr „Wie kann ich als zukünftige Lehrkraft erkennen, ob meine SchülerInnen medientechnische Probleme haben?” sowie „Wie kann ich diesen Probleme pädagogisch-didaktisch adäquat begegnen?”. Diese Perspektive schließt das eigene medienbezogene Wissen und Können natürlich nicht aus, erweitert es aber um Aspekte der didaktischen Nutzbarkeit für die Planung, Durchführung und Bewertung von Unterricht und nimmt im Rahmen der Lehrerbildung somit den Kompetenzerwerb der SchülerInnen hinsichtlich digitaler Medien in den Fokus.

Es gibt ja bereits andere Fragebögen bzw. Tests zu diesem Themenbereich. Was ist das Besondere an Ihrem Instrument?

Jan Henning-Kahmann: Fragebögen und Tests wurden im weiten Themenbereich „Digitale Medien” in der Tat bereits sehr viele entwickelt und eingesetzt, etwa in großen inter-/nationalen Vergleichs- bzw. Entwicklungsstudien wie PISA oder NEPS. Auch speziell für den Bereich der Lehrerbildung liegen bereits erprobte Instrumente vor. In vielen dieser Verfahren werden allerdings die für Lehrpersonen so zentralen, pädagogisch-didaktischen Kompetenzen nicht oder nur unvollständig bzw. unsystematisch erfasst und v. a. die eigenen Medienkenntnisse in den Mittelpunkt der Erhebung gestellt. Besonders objektive Testverfahren, aus denen sich prinzipiell medienbezogene Bedarfe im Sinne von Defiziten indirekt ableiten ließen, sind dabei oft sehr umfangreich und kostspielig. Aber auch bei praktikablen subjektiven Verfahren, die die Studierenden ausschließlich ihre medienbezogenen Kompetenzen selbst einschätzen lassen (ohne dabei ihre diesbezüglichen Bedürfnisse zu erfassen), kann man sich fragen, inwiefern sie für eine Bedarfserhebung wirklich geeignet sind. Denn hier kann sich die Interpretation erhaltener Ergebnisse schwierig gestalten, was v. a. daran liegt, dass als niedrig eingeschätzte Kompetenzaspekte nicht zwangsläufig auch einen persönlichen Bedarf implizieren müssen. So ist es durchaus möglich, dass etwa Studierende, denen bestimmte medienbezogene Kompetenzen nicht als relevant erscheinen, sich selbst zwar als wenig kompetent einschätzen und dennoch keinen Bedarf am Erwerb solcher Kompetenzen aufweisen. Einigen Verfahren fehlt es zudem auch am Nachweis geeigneter psychometrischer Eigenschaften.

Katharina Hellmann: Das Modell der bayerischen Forschungsgruppe, das unserem Instrument zugrunde liegt, nimmt vielfältige Impulse bisheriger theoretischer und empirischer Arbeiten auf, etwa aus der Lehr-Lern-Forschung, der Medienpädagogik, aber auch der Fachdidaktiken und verknüpft diese Aspekte zu einem Gesamtkonzept. Darin wurden zunächst Zielkompetenzen der Schülerinnen und Schüler identifiziert, welche wiederum an das Konzept der Kultusministerkonferenz zur „Bildung in der digitalen Welt” aus dem Jahr 2016 angelehnt waren. Und aus diesen wurden schließlich erforderliche Wissens- und Handlungskomponenten speziell für unterrichtliches Handeln abgeleitet, die angehende und berufstätige Lehrkräfte benötigen, um in einer digitalen Welt effektiv und erfolgreich unterrichten zu können. Wir haben diesen theoretischen Ansatz nun dafür genutzt, studentische Bedarfe an den im Modell identifizierten Bereichen direkt abzufragen. Dadurch lassen sich die gerade von meinem Kollegen angesprochenen Interpretationsprobleme vermeiden und das Instrument kann auf verschiedene Fachbereiche gleichermaßen angewendet werden.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Katharina Hellmann: Wir möchten die Ergebnisse unserer Befragung zunächst einmal für die weitere Ausgestaltung der Lehrerbildung an unserer Hochschule nutzen. Hierzu gehört zum einen die Streuung der Ergebnisse in die verschiedenen Studiengänge und Fachbereiche. So können die geäußerten Bedarfe verdeutlicht und weiterhin fachspezifische wie fächerübergreifende Kooperationen zur Entwicklung entsprechender digitaler Lehr-Lern-Konzeptionen angeregt werden. Wichtig erscheint uns dabei, die Studierenden in diese adressatengerechte Konzeption mit einzubeziehen. Zum anderen ist denkbar, das Instrument regelmäßig zur Evaluation und Weiterentwicklung bereits bestehender digitaler Lehr-Lern-Konzeptionen zu nutzen. Wir können hier an einige bereits bestehende Formate, Arbeitsgruppen und Qualitätszirkel zum Thema „Digitalisierung von Lehrerbildung” anknüpfen. Unsere Stabsstelle Hochschuldidaktik beispielsweise bietet regelmäßig Formate zu digitaler Lehre (z. B. Blended Learning, Inverted Classroom) an. Auch könnten unsere integrierten Studiengänge mit französischen Hochschulen, im Rahmen derer regelmäßig digitale Angebote platziert sind, einbezogen werden. Die Weiterentwicklung unserer Digitalisierungsstrategie, die derzeit im Prorektorat für Lehre, Studium und Digitalisierung unter Leitung von Prof. Dr. Georg Brunner stattfindet, ist ebenfalls eine wichtige Aufgabe. Entsprechend wird für das Wintersemester 2020/21 das Erweiterungsfach „Digitale Bildung“ für das Lehramt geplant. Auch wird in Kooperation mit der Albert-Ludwigs-Universität gerade ein fächer- und phasenübergreifendes e-Portfolio für das Lehramtsstudium entwickelt. Dieses soll onlinebasiert Lernaufgaben bereitstellen, peer-to-peer Feedback ermöglichen, einen standort- und akteursübergreifenden Zugriff auf die Lernaufgaben (z. B. zu Korrekturzwecken) sowie den Einbezug hochschulischer und schulischer MentorInnen erlauben. Auch eine Mitnahme der individuellen studentischen Arbeitsergebnisse aus dem Studium in spätere Phasen des Professionalisierungsprozesses, z. B. ins Referendariat oder in die berufliche Weiterbildung, wäre im Sinne einer vertikalen Kohärenz denkbar.

Jan Henning-Kahmann: Um das Instrument und die bisherigen Ergebnisse mit der Wissenschaftsgemeinschaft teilen und diskutieren zu können, haben wir weiterhin entsprechende Beiträge für lokale, nationale und internationale Tagungen (z. B. Tag der digitalen Lehre in Freiburg, CeLeB, EARLI SIG 11) eingereicht. Parallel dazu bereiten wir eine Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift vor, mit der das Instrument nicht nur zitierbar, sondern auch frei verfügbar gemacht werden soll (siehe Henning-Kahmann & Hellmann, 2023). Da bisher nur Daten von Studierenden der Pädagogischen Hochschule ausgewertet wurden, wäre zudem eine gezielte Erhebung bei Studierenden der Universität Freiburg im Sinne einer Kreuzvalidierung wünschenswert. Sollte sich das Instrument im weiteren Verlauf etablieren, könnte auch ein Einsatz an weiteren Pädagogischen Hochschulen in Baden-Württemberg in Betracht gezogen werden. Interessierte können sich diesbezüglich jederzeit gerne an uns wenden.

Über die Autoren

Beitragende

Dr. Katharina Hellmann ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Ihre Forschungsinteressen im Bereich der Lehrerbildung liegen v. a. in der Ausgestaltung hochschulischer
Lehr-Lern-Konzeptionen, hochschulischer Organisationsentwicklung, internationaler Lehr-Lern-Projekte sowie allgemeiner Projektkoordination unter Einbezug verschiedener schulischer und hochschulischer Akteure. Insbesondere befasst sich Frau Dr. Hellmann mit der Schaffung und empirischen quantitativen wie qualitativen Beforschung struktureller, institutioneller und konzeptueller Kohärenz, sowie der Erfassung von Wahrnehmungen und Wirkungen dieser Kohärenz durch Studierende und Lehrende.
Dr. Jan Henning-Kahmann ist seit 2012 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Pädagogischen Hochschule Freiburg in verschiedenen Forschungs- und Hochschulprojekten tätig. Seine Forschungs- und Interessenschwerpunkte umfassen dabei neben Fragebogen-
und Testentwicklung v. a. die Lehrerbildungsforschung sowie deren Evaluation und Qualitätssicherung. Nach mehrjähriger Tätigkeit im Rahmen der hochschulweiten Evaluation bringt er seine Expertise seit 2016 in die Qualitätssicherung des von der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (BMBF) geförderten Projektes „Freiburg Advanced Center of Education (FACE)“ ein und verantwortet dabei v. a. die Durchführung und Auswertung von Studierendenbefragungen im Multi-Kohorten-Sequenz-Design sowie die Entwicklung und Überprüfung verschiedener Instrumente.

Weitere Informationen

Dieser Erfahrungsbericht ist Teil des Themenspecials Digitale Medien im Lehramtsstudium.