Flexible Räume

Räume sind vor allem dann besonders flexibel, wenn sie ohne Veränderung der Einrichtung für unterschiedliche Zwecke gut eingesetzt werden können. Bei der Gestaltung der Räume sollten daher die primären Funktionen, aber auch die sekundären Nutzungsformen berücksichtigt werden. Zum Beispiel kann ein Seminarraum für Gruppendiskussionen ausgelegt sein (primäre Funktion) und dennoch Vorlesungen oder praktische Übungen (sekundäre Funktionen) ermöglichen.

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Flexible Räume an der Universität Basel (Foto: Andi Cortellini/ Bildungstechnologien Univ. Basel) und der TH Köln (Foto: Christian Kohls)

Kontext

Churchill wird das Zitat zugeschrieben „Erst gestalten wir die Gebäude, dann gestalten die Gebäude uns“. Gleiches lässt sich auch für Räume sagen. Räume legen durch ihre Gestaltung bestimmte Handlungsoptionen und Sozialformen nahe. Ein Raum reduziert die didaktischen Nutzungsmöglichkeiten auf das, was er funktional anbietet.

Problem

Wenn der Funktionsumfang einzelner Räume sehr gering ist, dann müssen für verschiedene Funktionen viele Räume mit jeweils spezifischem Funktionsumfang bereitgestellt werden. Dies ist unwirtschaftlich. Zudem benötigt eine didaktische Vielfalt in Studium und Lehre oft den schnellen Wechsel zwischen Raumfunktionalitäten, ohne dass Zeit für einen Raumwechsel bleibt.

Rahmenbedingungen

  • Zusammenhang zwischen Raum und Nutzung: Räume legen durch ihre Gestaltung bestimmte Nutzungsformen nahe. Es ist zwar richtig, dass auch in sehr schlecht eingerichteten Räumen sehr erfolgreich gelehrt und gelernt werden kann. Und ebenso können im bestens ausgestatteten Raum schlechte Lehre und ineffektives Lernen stattfinden. Doch die Wahrscheinlichkeit für gutes Lehren und Lernen steigt mit der Angemessenheit der Räume (Strange & Banning, 2001).
  • Räume als Dienstleister: Räume sind als ein Angebot von Diensten (Services) zu betrachten, die diese bieten können (Boys, 2011). Dabei können verschiedene Funktionsangebote unterschiedlich gut in einem Raum erkannt und entdeckt werden.
  • Didaktische Vielfalt: Lehren und Lernen können sehr unterschiedliche Formen annehmen und Räume müssen dafür unterschiedliche Funktionen bzw. Dienste bereitstellen. Innerhalb eines Raumes müssen hierbei sowohl verschiedene didaktische Methoden als auch Sozialformen nahtlos ineinandergreifen können.
  • Umrüstzeit: Für unterschiedliche Funktionen ist oft eine Umgestaltung des Raumes erforderlich, z.B. durch flexibles Mobiliar. Doch eine Umgestaltung kostet Zeit und oft fragen sich Raumnutzende, ob sie den Raum überhaupt umgestalten dürfen.
  • Knapper Raum: Es gibt immer zu wenige Räume auf dem Campus, da ständig neue Bedarfe und Nutzungsanforderungen entwickelt werden. Es ist nicht möglich, für jeden Zweck einen eigenen Raum bereitzustellen. Andererseits sind „One-size-fits-all“-Räume oder zu generische Mehrzweckräume, ohne besonderen Bezug zu bestimmten didaktischen Settings, oft nicht in der Lage, die gewünschten Lernaktivitäten anzustoßen und die richtigen Werkzeuge und Materialien bereitzustellen.
  • Affordanz: Ein Raum muss eindeutig und schnell erkennbar kommunizieren, welche didaktischen Möglichkeiten er bietet. Einerseits sollte die Ausstattung der Möbel eine natürliche Nutzungsweise nahelegen. Andererseits strahlt jeder Raum auch eine Symbolkraft aus und sendet Signale an die Nutzenden, welche Art von Lehre, Lernen und Arbeiten erwünscht ist.
  • Brandschutz und Sicherheit: Bei der Gestaltung von Räumen sind Sicherheitsnormen zu beachten, die nicht durch beliebiges Umräumen missachtet werden dürfen.

Lösung

Räume sollten so gestaltet werden, dass sie mehrere Nutzungsformen optimal ermöglichen. Im Idealfall ist der Wechsel zwischen verschiedenen Nutzungsformen ohne eine Umgestaltung des Raumes möglich.

Details

Bei der Raumplanung sollten daher primäre und sekundäre Funktionen definiert werden. Für die primären Funktionen (z.B. Präsentation, kreatives Zusammenarbeiten, gemeinsames Lernen, Prüfungssituationen) sollte die Affordanz optimiert werden, d.h. der Raum legt genau diese Nutzungsformen nahe und symbolisiert sie auch. Sekundäre Funktionen (ein Hörsaal ist nicht gut geeignet für Gruppenarbeit, wenn der Hörsaal jedoch drehbare Stühle und Tische auf einer Ebene bereithält, so ist auch dies möglich) sollten ebenfalls noch gut unterstützt werden, auch wenn der Raum dafür nicht optimiert ist. Funktionen, für die der Raum eigentlich nicht ausgelegt ist, sollten dennoch möglichst nicht verhindert werden (auch im Hörsaal können Lerngruppen sitzen, auch im Innovationsraum kann eine Beratung oder Prüfung stattfinden).

Der Wechsel zwischen Nutzungsformen sollte möglichst ohne Umgestaltung des Raumes möglich sein. Falls Tische, Stühle, Whiteboards oder andere Möbel verschoben werden müssen, dann sollte dies möglichst schnell gehen. Denn der Wechsel einer Nutzungsform erfolgt bei komplexen didaktischen Settings nicht nur zwischen unterschiedlichen Veranstaltungen, sondern oft auch während ein und derselben Veranstaltung. Ermöglicht wird eine solche schnelle Umgestaltung durch die Ausstattung des Raums mit flexiblem Mobiliar.

Größere Räume können eventuell auch in verschiedene Zonen eingeteilt werden, z.B. ein Bereich für Präsentationen und ein anderer Bereich für Gruppenarbeit. Der Raum bietet dann in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Funktionen an, z.B. innerhalb einer Lernlandschaft.

Stolpersteine

  • Wenn Möbel umgestellt werden können, sollte ein Raumplan vorgeben, welche Optionen möglich sind. Dies kann einerseits inspirieren, andererseits verhindern, dass Fluchtwege unachtsam verbaut werden. Per QR-Code können die Raumpläne auch digital und ggf. mit Anleitungsvideo bereitgestellt werden. Zudem kann darauf hingewiesen werden, dass die Ursprungsform nach der Nutzung wiederhergestellt werden sollte und wie diese aussieht.
  • Bei interaktiven Displays oder Medienwagen ist insbesondere darauf zu achten, dass Kabel nicht zu Stolperfallen werden. Ein an einer bestimmten Wand fest installiertes Display wird oftmals häufiger genutzt als ein mobiles Gerät. Studierende können sich schneller zum Display bewegen, als sich das Display an den optimalen Ort schieben lässt. Wenn diese Technik also meist am selben Ort genutzt wird, empfiehlt sich eher eine feste Installation.
  • Tradierte Raumtypen legen oft bestimmte Nutzungsformen nahe, die den Nutzenden bereits vertraut sind bzw. die aus Erfahrungen aus früheren Studienjahren entstanden sind. Durch Poster mit Raumnutzungsbeispielen können Lehrende und Lernende zu alternativen Nutzungsweisen inspiriert werden.

Vorteile

  • Eine flexible und vielfältige Nutzung von Räumen wird ermöglicht und unterstützt. Die Funktionen können klar benannt und bei der Raumbuchung und Veranstaltungsplanung berücksichtigt werden.
  • Der Raum unterstützt einen häufigen Wechsel zwischen didaktischen Methoden, indem er mehrere Möglichkeiten anbietet.
  • Es wird weniger Zeit für die Umgestaltung oder den Wechsel zwischen Räumen benötigt. Dadurch, dass der Raum mehrere Funktionen anbietet, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein optimaleres Setup für die jeweilige Lehr-Lernaktivität verwendet wird.
  • Durch die klare Definition der Funktionen können diese durch die Raumgestaltung nahegelegt werden (Affordanz des Raumes).
  • Dieser Lösungsansatz geht sparsam mit den vorhandenen Campusflächen um.

Nachteile

  • Je flexibler die Raumnutzung sein soll, desto generischer wird die Gestaltung. Dann kommt ein Allzweckraum heraus, der alles kann, aber nichts richtig.
  • Es besteht die Gefahr, dass zu viele Kompromisse gemacht werden. Solche Kompromisse können die optimale Ausstattung eines Raumes verhindern.
  • Die flexible Ausstattung und die Bereitstellung von Medien und Werkzeugen für eventuelle Nutzungsszenarien steigert die Investitionskosten und den Wartungsaufwand.
  • Durch das breite Funktionsangebot können Lehrende und Studierende schnell überfordert werden und sich fragen, wofür der Raum eigentlich gedacht ist.
  • Die Gestaltung eines selbsterklärenden Funktions- und Leistungsangebotes des Raumes (Affordanz des Raums) ist schwieriger und bleibt oft vage.
  • Die flexiblen Nutzungsmöglichkeiten können dazu führen, dass der Raum nur noch wenig für die primär beabsichtigten Zwecke vorgesehen wird. Zum Beispiel kann ein Innovationsraum (primäre Funktion: Design Thinking und Durchführen von Kreativitätsmethoden) so attraktiv gestaltet sein, dass er vor allem für reguläre Gruppenarbeit oder Besprechungen genutzt wird (sekundäre Funktionen: Zusammenarbeit in der Gruppe, Besprechungen).

Beispiele

Ein häufig anzutreffendes Beispiel für flexible Räume sind Hörsäle mit Gruppentischen. Der Raum unterstützt dabei sowohl frontale Vorträge bzw. Vorlesungen (primäre Funktion), als auch Gruppenarbeiten (sekundäre Funktion). Der auf einer Ebene oder terrassiert angelegte Hörsaal ist so bestuhlt, dass Studierende sowohl gut nach vorne zur Präsentationsfläche bzw. zur vortragenden Person schauen als auch an Arbeitstischen gemeinsam mit anderen Studierenden kommunizieren können, wodurch ein direkter Wechsel zwischen Präsentations- und Gruppenarbeitsphasen ermöglicht wird.

flexibler Hörsaal an der Univ. Basel
Hörsaal für „Mixed Practice“ an der Universität Basel (Fotos: Andi Cortellini/ Bildungstechnologien Univ. Basel)

Auch Videokonferenzräume unterstützen durch ihre Gestaltung eine flexible Raumnutzung. Einerseits handelt es sich um einen Gruppenarbeitsraum für Besprechungen und das gemeinsame Lernen in kleinen Gruppen, mit einem meist länglichen Tisch und rundum angeordneten Stühlen. Ein häufig an der Kopfseite des Tisches platzierter Bildschirm ermöglicht das gemeinsame Betrachten digitaler Inhalte. Darüber hinaus unterstützt der Raum jedoch durch eine fest installierte Videokonferenzanlage auch die Ad-hoc-Durchführung von Videokonferenzen und die standortübergreifende Zusammenarbeit von Personen. Die Personen im Raum müssen keine eigenen mobilen Endgeräte oder eine mobile Videokonferenzanlage mitbringen, um an Videokonferenzen teilzunehmen. An einem fest installierten Rechner angeschlossene, zusätzliche interaktive Whiteboards können sowohl für die Arbeit vor Ort genutzt werden als auch für eine hybride Kollaboration als eigenständiger Teilnehmer zu einer Videokonferenz hinzugeschaltet werden.

Videokonferenzraum an der TH Köln
Videokonferenzraum an der TH Köln (Foto: Christian Kohls)