Inverse Konferenz

Bei inversen Konferenzen reisen die Studierenden nicht als Teilnehmende zu einer Konferenz, sondern es wird ein Konferenzrahmen auf dem Campus geschaffen, bei dem die Beiträge per Videostream von einer tatsächlich stattfinden Fachkonferenz übernommen werden. Studierende nehmen gemeinsam vor Ort an den Übertragungen teil, tauschen sich in Kaffeepausen und Fragerunden fachlich zu den Beiträgen aus und flankieren die Veranstaltung gegebenenfalls mit eigenen lokalen Präsentationen. So wird ein unabhängiger Konferenz-Satellit auf dem Campus geschaffen.

Kontext

Studierende sollen forschungsbasiertes Lernen erleben. Zur Forschung gehört der wissenschaftliche Diskurs auf Konferenzen – mit Fachbeiträgen, Netzwerken und angeregten Diskussionen in der Kaffeepause sowie beim Conference Dinner.

Problem

Die Teilnahmegebühren und Reisekosten für Konferenzen übersteigen studentische Budgets und sind durch die öffentliche Hand nicht für größere Studierendengruppen finanzierbar.

Rahmenbedingungen

  • Wissenschaftlicher Diskurs: Wissenschaftliche Vorträge und die Präsentation aktueller Forschungsergebnisse geben wichtige Impulse für eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Fachdisziplin. Doch Studierende, die gerade erst innerhalb einer Fachdisziplin sozialisiert werden, scheuen oft eine intensive Partizipation. Dies gilt umso mehr, wenn sie auf geschlossene, etablierte und oft homogene Forschungs-Communities treffen. Zudem kennen Studierende oft noch nicht die relevanten Fachkonferenzen und Themenfelder.
  • Zeitliche Nähe zwischen Präsentation und Diskussion: Der Diskurs sollte zeitnah, meist im unmittelbaren Anschluss an die Präsentation der Forschungsergebnisse geschehen – sowie dies in den Frageabschnitten von Konferenzsessions und Kaffeepausen der Fall ist. Konferenzen schaffen Freiraum für Diskussionen und das Anbahnen neuer wissenschaftlicher Kontakte.
  • Besondere Umgebung und Atmosphäre: Konferenzen schaffen einen besonderen Wahrnehmungskontext. Teilnehmende entfliehen dem Arbeitsalltag und fokussieren sich auf Forschung, Entwicklung und den Ideenaustausch. Konferenzen haben eine besondere Atmosphäre, die zum Gedankenaustausch einlädt. Die Programmelemente einer guten Konferenz haben einladenden Charakter, sich mit anderen Personen zu vernetzen. Der fachliche Austausch geschieht meist nicht nur unmittelbar mit den Vortragenden am Ende einer Session, sondern viel häufiger zwischen den Zuhörenden in der Kaffeepause. Dies gilt insbesondere für Keynotes, die provozieren und inspirieren sollen.
  • Kosten und Zeit: Studierende haben in der Regel nicht die finanziellen Mittel, um an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Reise-, Hotel- und Konferenzgebühren übersteigen studentische Budgets. Zudem stehen einige Konferenztermine in einem zeitlichen Konflikt mit den Lehrveranstaltungen auf dem Campus.
  • Online-Streams: Zahlreiche Konferenzen übertragen inzwischen einen großen Teil der Sessions für die kostenlose Teilnahme. Doch Zuschauende dieser Streams sind meist passiv und haben keine Möglichkeit für eine Interaktion auf Augenhöhe. Zudem sind sie in ihrem Arbeitsalltag „gefangen“ und werden durch andere Studierende oder Mitbewohnerinnen und Mitbewohner gestört.
  • Synchronisation der Teilnehmenden: Konferenzen haben eine synchronisierende Funktion, d.h. viele Personen mit gleichen Interessen befinden sich zum selben Zeitpunkt am selben Ort. Beim Live-Abruf von Konferenzsessions befinden sich die Zuschauenden jedoch oft an unterschiedlichen Orten und haben keine Möglichkeit für direkte Interaktion. Beim asynchronen Abruf von aufgezeichneten Sessions fällt das Gemeinsamkeitserleben noch weiter auseinander.
  • Was Streams nicht können: Konferenzen sind effektiv, schaffen einen fokussierten Raum, intensivieren die Auseinandersetzung mit einem Themengebiet und ermöglichen durch ihre Atmosphäre neue Denkansätze. Während der fachliche Vortrag gestreamt werden kann, können die informellen Begegnungen, aber auch die kleineren Workshops, nicht digital übertragen werden.

Lösung

Es wird ein Konferenz-Satellit auf dem Campus organisiert. Dabei wird die typische Atmosphäre einer Konferenz geschaffen, indem Vorträge der eigentlichen Fachkonferenz in Hörsäle gestreamt werden und im Anschluss an die Fachvorträge eine lokal moderierte Diskussion stattfindet. Zwischen den Vorträgen werden zudem Kaffeepausen auf dem Campus organisiert und es finden zusätzliche Sessions auf dem Campus statt, in denen sich die Studierenden in Workshop-Sessions mit Themen der Konferenz auseinandersetzen.

Details

Es ist wichtig, die typische Konferenzatmosphäre herzustellen. Dies kann z.B. durch folgende Rahmenbedingungen erreicht werden: 

  • Es gibt eine verbindliche Anmeldung (ggf. kostenpflichtig, um Kaffee und Speisen zu finanzieren).
  • Die Studierenden tragen Namensschilder.
  • Es gibt Bistrotische als Verbindungspunkte für die Teilnehmenden.
  • In den Pausen zwischen den Vorträgen stehen kostenlose Getränke zur Verfügung.
  • Es gibt einen Konferenzplaner mit Zeit- und Raumplan für die Sessions.

Die Konferenzveranstaltung darf nicht mit regulären Lehrveranstaltungen kollidieren. Es ist wichtig, dass ein geschützter Zeitraum geschaffen wird, der sich klar vom Campus-Alltag unterscheidet.

Für den fachlichen Diskurs ist es wichtig, dass neben den Studierenden auch wissenschaftliche Mitarbeitende und Dozierende an der Konferenz teilnehmen. So entstehen informelle Kontakte und die Vertrautheit einer Konferenz wird auf den Campus übertragen.

Im Vergleich zu den Reisekosten für eine größere Studierendengruppe sind die Kosten für die Organisation eines lokalen Konferenz-Satelliten überschaubar.

Der Konferenz-Satellit kann unabhängig von den offiziellen Konferenzveranstaltern organisiert werden. Es ist aber auch möglich, sich mit den Organisatoren in Verbindung zu setzen und sich als offiziellen Konferenz-Satelliten bekanntzumachen.

Stolpersteine

  • Die Konferenz sollte einen unmittelbaren Bezug zu curricularen Themen haben.
  • Die lokale Organisation muss partizipative Elemente haben und sicherstellen, dass Studierende ein besonderes Erlebnis haben und während der gesamten Konferenz dabeibleiben – sonst wird die Konferenz zum Rohrkrepierer. Studierende sollten direkt integriert werden, z.B. über Fragerunden, wissenschaftliche Diskurse und eigene lokale Beiträge.
  • Es muss einen „Coolness-Faktor“ geben; dieser kann durch besondere Rahmenbedingungen wie kostenlose Verpflegung, informellen Kontakt zu Professorinnen und Professoren oder spielerische Programmpunkte erreicht werden.
  • Das Konferenzprogramm bzw. live übertragene Teile sollten rechtzeitig bekanntgegeben werden, damit Dozierende und Studierende sich darauf einstellen können.

Vorteile

  • Studierende erleben den wissenschaftlichen Diskurs einer Konferenz, ohne zeit- und kostenintensiv auf eine Konferenz zu fahren.
  • Der Zugang zu Konferenzen, deren Teilnehmerzahl limitiert ist, wird ermöglicht. Insbesondere hochkarätige Konferenzen, deren Teilnahme vor Ort besonders exklusiv sind, versuchen durch kostenlose Streamingangebote inklusiver zu werden.
  • Die flankierenden Veranstaltungen des Satelliten können an die Lehr- und Forschungsthemen des eigenen Campus angepasst werden.
  • Die Reflektion, Partizipation und Präsentation eigener Projektergebnisse kann im Rahmen der Konferenz stattfinden und so zu Prüfungsleistungen führen.
  • Eine Satelliten-Konferenz kann auch zeitversetzt stattfinden, z.B. nach den Vorlesungs- und Prüfungszeiten, um so die Räumlichkeiten des Campus zu nutzen. Sie bieten allgemein eine höhere Flexibilität, da sie an die Gegebenheit und Zeitpläne der Hochschule angepasst werden können.

Nachteile

  • Es müssen Räume auf dem Campus reserviert werden. Während der Vorlesungszeit erfordert dies einen hohen Organisationsaufwand. Ideal sind daher Konferenzen, die in der vorlesungsfreien Zeit liegen. Die Konferenz lässt sich aber auch in einem einzigen Raum durchführen, wenn nur einzelne Vorträge übertragen werden.
  • Studierende können sich an das hybride Format gewöhnen und nehmen dann später gar nicht mehr an Konferenzen vor Ort teil.
  • Die Teilnahme an einer hybriden Konferenz ist eine hohe zeitliche Belastung für Studierende, die mit dem Stunden- oder Prüfungsplan, Abgabeterminen und Lernphasen kollidieren kann.
  • Studierende erhalten einen falschen Eindruck von Konferenzen, wenn auf dem Campus nicht die richtige Atmosphäre entsteht. Dies könnte dann eher abschrecken.
  • Die Verbindlichkeit ist bei einer hybriden Konferenz geringer. Studierende sind eventuell nicht während der gesamten Konferenz dabei, so dass sie zwar die Vorträge konsumieren, sich aber nicht an einer tiefergehenden fachlichen Diskussion beteiligen.

Beispiele

Im Bereich der Softwareentwicklung haben sich große Developer-Konferenzen etabliert. Star-Entwickler präsentieren dort die neusten Hacks, Libraries und Methoden. Die Teilnahme an diesen professionellen Konferenzen (z.B. KotlinConf“ oder Apples „Worldwide Developers Conference) ist limitiert und teuer. Viele Interessierte schauen sich aber einzelne Beiträge online an. Durch einen Konferenz-Satelliten können sich Interessierte vor Ort austauschen und ein „Wir-Gefühl“ schaffen. 

Übersicht von Videos zur Kotlin Conf 2019
Videos zur „KotlinConf 2019“

Auf dem Informatik-Campus der TH Köln versammeln sich z.B. wissenschaftliche Mitarbeitende regelmäßig, um sich gemeinsam Beiträge der Worldwide Developers Conference anzuschauen. Vor der Pandemie war auch eine Begleitkonferenz zur KotlinConf geplant – mit Pizzaevent.

Abb. 2: Beispielvideo zu Kotlin Puzzlers
Beispielvideo zu Kotlin Puzzlers 

Auf der KotlinConf gibt es zudem eine „Kotlin Puzzlers“-Session, bei der Teilnehmende vor Ort vor Programmierrätsel gestellt werden („Wie verhält sich dieser Code?“). An diesen Rätseln können auch Studierende während eines Satelliten-Events teilnehmen.

Bei der jährlich stattfindenden Campus Innovation werden viele der Vorträge und Podien aufgezeichnet und über Podcampus, die Podcasting-Plattform des Multimedia Kontors Hamburg, bereitgestellt. Somit lässt sich die Konferenz auch in den folgenden Monaten noch einmal auf dem Campus einer Hochschule nacherleben.

Screenshot des Videokanals zur Campus Innovation 2021 class=
Videokanal zur „Campus Innovation 2021“

Die jährliche Digital-Life-Design-Konferenz bringt die IT-Elite aus dem Silicon Valley jedes Jahr im Januar nach München. Doch die Teilnahme kostet mehrere Tausend Euro und man muss sich für Tickets bewerben. Auf der anderen Seite werden viele Vorträge und Panels gestreamt oder langfristig als Videoaufzeichnung bereitgestellt und können so im Rahmen eines Konferenz-Satelliten genutzt werden.

Webseite der DLD Conference
Webseite der „Digital-Life-Design-Konferenz“