Lernkino

Ein Lernkino ermöglicht das gemeinsame Anschauen von Lernvideos in der Gruppe. Die Studierenden können sich gegenseitig Fragen stellen, das Gesehene reflektieren und diskutieren sowie Aufgabenstellungen bearbeiten. Bei Lernkinos kann es sich um speziell für diesen Zweck eingerichtete Räume handeln. Häufig werden jedoch auch Gruppenarbeitsräume, Seminarräume oder kleinere Hörsäle temporär zu einem Lernkino.

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Abb. 1: Lernkino mit einer kleinen Studierendengruppe (Foto: Monika Probst/ TH Köln)

Kontext

Vorlesungen und Präsentationen werden häufig als Aufzeichnungen, Live-Streams oder Lernvideos bereitgestellt. Studierende nutzen die Videos zur Vor- und Nachbereitung oder als Alternative, wenn sie an dem im Stundenplan vorgesehenen Zeitpunkt verhindert sind. Oft werden Lernvideos auch als Ergänzung oder Ersatz zur klassischen Vorlesung bereitgestellt, etwa im Rahmen des Inverted Classroom. In hybriden Lernsettings kann es zudem vorkommen, dass Studierende am selben Tag sowohl an Veranstaltungen vor Ort als auch online teilnehmen sollten. Dadurch muss oftmals eine Veranstaltung ausgelassen werden. Und selbst wenn Studierende einen ruhigen Arbeitsplatz für die Onlineteilnahme auf dem Campus finden, dann nehmen sie meist nicht aktiv an der Lehrveranstaltung teil, sondern konsumieren isoliert die Inhalte.

Problem

Der Austausch über Lerninhalte einer Veranstaltung geht verloren, wenn Studierende allein und isoliert von anderen Inhalte konsumieren. Lernen findet in einem sozialen Kontext statt: ohne einen Diskurs zwischen Studierenden werden Inhalte eventuell einseitig interpretiert und nicht richtig verstanden. 

Rahmenbedingungen

  • Ortskonflikte: Studierende können nur mit großem Aufwand im Verlaufe eines Tages sowohl auf dem Campus in synchroner Präsenz als auch online zu Hause oder unterwegs an Veranstaltungen teilnehmen. Oft geht dies gar nicht.
  • Zeitlich begrenzter Live-Stream: Bei Liveübertragungen wird nicht immer eine Aufzeichnung erstellt, so dass Studierende an einen festen Zeitslot gebunden sind. Zudem können sie nur Fragen stellen und Beiträge leisten, wenn sie live dabei sind.
  • Digitale Angebote: Auch an Präsenzhochschulen werden einzelne Veranstaltungen zunehmend als reine Online-Angebote bereitgestellt. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn Dozierende auf Dienstreise sind oder aus didaktischen oder anderen berechtigten Gründen digitale Angebote bevorzugen.
  • Flexibilität vs. Diskurs: Die Bereitstellung von Lernvideos (speziell produzierte Videos oder Vorlesungsaufzeichnungen) führt zu einer Flexibilisierung des Studiums und einer erhöhten Selbststeuerung bei der Bearbeitung von Inhalten, z.B. durch Steuerung der Abspielgeschwindigkeit oder das wiederholte Betrachten einzelner Sequenzen. Doch Studierende geraten schnell in eine konsumierende Haltung, wenn sie Inhalte nicht mit anderen diskutieren und kritisch hinterfragen. Zudem haben sie bei der Nutzung von Videos nicht unmittelbar die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
  • Soziales Lernen: Lehrveranstaltungen in sozialer Präsenz bieten Studierenden die Möglichkeit, sich schnell und unvermittelt mit Kommilitonen und Kommilitoninnen auszutauschen – bspw. in Form einer kurzen Nachfrage an den Sitznachbarn, durch non-verbale Signale (Lächeln, Achselzucken, Kopfnicken usw.) während der Veranstaltung oder in einem anschließenden Gespräch. Die Anwesenheit anderer Lernender kann sich positiv auf die Motivation auswirken und Studierende in ihren Lernaktivitäten bestärken (Bandura, 1977). 

Lösung

Lernkinos sind Orte auf dem Campus, an denen Studierende gemeinsam Lernvideos oder Live-Streams anschauen. Eine große Projektionsfläche oder ein großes Display dient der Wiedergabe der Videos, für die Audiowiedergabe sind Lautsprecher im Raum vorhanden. Stühle und Tische sind so aufgestellt, dass Studierende sowohl gut die große Bildschirmfläche sehen, ergonomisch bequem sitzen und schreiben können als auch sich untereinander anschauen, um zu diskutieren oder non-verbale Signale zu senden, die typischerweise im Hörsaal oder Seminarraum gegeben werden.

Details

In der Regel können existierende Räume als Lernkinos genutzt werden. Dazu gehören insbesondere Gruppenarbeitsräume oder Lernboxen, in denen sich eine kleine Gruppe von Studierenden aufhalten kann, gemeinsam die Lernvideos schaut und dabei auch über die Inhalte reflektiert. Wenn an einem Campus ausreichend Lernkinos vorhanden sind, können Lernvideos sogar derart gestaltet werden, dass im Video gezielt Gruppenaufgaben gestellt werden.

Auch Seminarräume oder kleinere Hörsäle können als Lernkinos genutzt werden. Für größere Gruppen kann es sinnvoll sein, das Angebot in einem bestimmten Raum zu organisieren. Wenn etwa eine Vorlesung digital stattfindet, dann kann eine wissenschaftliche Hilfskraft in einem Hörsaal den Live-Stream starten. So können Studierende, die ohnehin vor Ort sind, gemeinsam der Online-Vorlesung beiwohnen und müssen nicht nach einem freien Arbeitsplatz suchen. Diese Variante kann auch als Lösung genutzt werden, wenn die Hörsaalkapazität für eine Kohorte nicht ausreicht.In diesem Fall kann aus einem Hörsaal in weitere Hörsäle live übertragen werden. Dies entspricht dann eher der klassischen Vorlesungsübertragung.

Zentrale Idee des Lernkinos ist es allerdings, dass Studierende in kleinen Gruppen auf die dargebotenen Inhalte gemeinsam zugreifen, um sich gegenseitig Fragen zu stellen, Unklarheiten beantworten, reflektieren und in einen Diskurs treten zu können. Während das Konsumieren eines Lernvideos durch eine einzelne Person oft wenig aktivierend ist, kann das gemeinsame Anschauen sogar die Aktivierung im Vergleich zu einer klassischen Vorlesung erhöhen. Denn in einer kleinen Gruppe ist die Hemmschwelle, sich aktiv einzubringen, viel geringer. Zudem findet das Anschauen der Videos in einem lockeren informellen Rahmen statt.

Optimal sind daher Räume mit 5-15 Plätzen, wobei von jedem Platz aus das Video gut sichtbar und der Ton gut vernehmbar sein sollte. Neben der Ausstattung existierender Räume mit der erforderlichen Hardware (meist reicht schon ein frei zugänglicher Projektor inklusive Lautsprecher) ist es jedoch erforderlich, den Studierenden die Idee des Lernkinos zu vermitteln, d.h. Gruppen dazu zu motivieren, gemeinsam Lernvideos zu schauen und darüber zu diskutieren. Hierfür kann es sinnvoll sein, einige wenige Räume explizit als Lernkinos zu benennen und eventuell sogar eine Kinoatmosphäre zu schaffen. Die entsprechenden Räume können mit kleineren Seminargruppen zudem auch für TED-Sessions genutzt werden, die einen ähnlichen Ansatz wie das Lernkino verfolgen.

Stolpersteine

  • Neben der guten Sicht auf die Bildschirmfläche ist eine ergonomische Arbeitsumgebung wichtig. Denn es geht nicht nur um das Konsumieren der Videos. Wenn Studierende sich auf eine bequeme Couch setzen können, dann entsteht zwar eine entspannte Wohlfühlatmosphäre. Doch zum Aufschreiben von Gedanken und Notizen ist dies nicht geeignet. Der Laptop auf dem Schoß der Studierenden führt zu ungesunden Körperhaltungen und verhindert zudem handschriftliche Notizen und Skizzen. Speziell eingerichtete Lernkinos können auch beides bieten: die bequeme Couch und Arbeitstische. Studierende können sich den für sie geeigneten Platz aussuchen oder zwischendurch wechseln.
  • Durch das gemeinsame Anschauen der Lernvideos geht ein großer Vorteil der Videos verloren, nämlich die individuelle Steuerung der Wiedergabe. Hier müssen Gruppen lernen, wie sie einen Konsens finden, wenn z.B. einzelne Lernteilnehmende einen Abschnitt mehrfach erneut sehen wollen oder unterschiedliche Geschwindigkeiten bei der Wiedergabe bevorzugen. Bei der Produktion von Lernvideos, die speziell für Gruppenkontexte gedacht sind, kann dies durch Tipps und Hinweise an die Studierenden vermittelt werden.
  • Werden Lernvideos angesehen, die speziell für Gruppenkontexte gedacht sind, ist es sinnvoll die Studierenden durch konkrete Fragen oder Aufgabenstellungen zur Diskussion anzuregen. Konkrete Zeitangaben für die Diskussion können den Studierenden insbesondere beim selbstgesteuerten Ansehen der Videos Orientierung geben, bieten gleichzeitig aber Flexibilität.
  • Wenn auf Lernvideos zugegriffen wird, die jederzeit bereitstehen, dann muss die Nutzung von Lernkinos durch die Studierenden oder aber auch durch Lehrpersonen koordiniert werden. Bei der klassischen Präsenzlehre hat der Stundenplan eine wichtige synchronisierende Funktion, im einfachsten Fall befinden sich alle Studierenden zur angegebenen Zeit im Hörsaal. Da Lernvideos jederzeit abgerufen werden können, müssen sich die Studierenden aber verabreden. Tutorinnen und Tutoren oder lehrunterstützendes Personal können die Synchronisation vereinfachen, indem sie Zeitpunkte für gemeinsame Lernkino-Termine vorschlagen und zu den angegebenen Zeiten auch als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen.
  • Die technische Ausstattung sollte selbsterklärend sein. Studierende müssen schnell herausfinden können, wie sie ihren eigenen Laptop anschließen können oder über einen fest installierten PC die Inhalte wiedergeben können. 

Vorteile

  • Studierende können in Lernkinos gemeinsam Lerninhalte anschauen und zusammen über die Inhalte diskutieren oder sich gegenseitig helfen.
  • Viele Räume lassen sich sehr leicht in Lernkinos transformieren. In vielen Fällen muss nur die Erlaubnis oder der Denkanstoß gegeben werden, dass ein Raum als Lernkino genutzt werden kann.
  • Die Einrichtung mehrerer Lernkinos erweitert die didaktischen Möglichkeiten von Lernvideos. Dozierende können in Videos Aufgaben stellen, die sich direkt auf diese Lernsituation beziehen, also z.B. Diskussionsanlässe für die Gruppe geben oder Rollen bei der Bearbeitung einer Aufgabe verteilen.
  • Lernkinos lösen einen großen Konflikt auf, der entsteht, wenn Studierende an einem Tag sowohl vor Ort als auch digital an einer größeren Veranstaltung teilnehmen müssen.

Nachteile

  • Für größere Teilnehmendenzahlen müssen entweder viele kleine Lernkinos installiert werden oder es wird auf einen großen Saal ausgewichen. In diesem Fall gehen aber die Vorteile der Gruppeninteraktion verloren und Studierende sind – ähnlich wie beim Einzel-Lernen – eher passive Konsumenten der Inhalte. Insbesondere wird das Stellen von Fragen, anders als in einer regulären Präsenzvorlesung oder eben bei einer kleinen Gruppe im Lernkino, in einer Großgruppe kaum möglich sein.
  • Die Lernkinos müssen regelmäßig gewartet werden, da viele verschiedene Nutzerinnen und Nutzer auf die technische Ausstattung zugreifen.
  • Wenn ein einzelner Studierender seinen Laptop an das Display oder den Projektor anschließt, dann fehlt ihm das eigene Arbeitsgerät für Notizen oder das produktive Arbeiten. Bei einem bereitgestellten PC besteht die Gefahr, dass Studierende vergessen, sich auszuloggen.
  • Der Nutzen von Lernkinos hängt davon ab, wie gut bereitgestellte Videos gemeinsam angeschaut werden können. Wenn Studierende sehr unterschiedliche Nutzungsgewohnheiten haben, kann es zu einem Konflikt kommen.
  • Studierende nutzen Lernvideos auch in der Gruppe eher passiv, wenn die Lernvideos didaktisch nicht so gestaltet sind, dass sie zum Diskurs anregen.

Beispiele

An der Technischen Hochschule Köln wurde ein Lernkino für ca. fünf Personen eingerichtet. Auf einem bequemen Sofa können Lernvideos angeschaut werden, der große Bildschirm lässt sich zudem als interaktives Whiteboard verwenden.

Lernkino an der TH Köln
Abb. 2: Lernkino an der TH Köln

Lernkinos lassen sich aber auch in Seminarräumen oder Gruppenräumen gut umsetzen (s. Abb. 1 und 3). Diese bieten idealerweise ergonomische Stühle und Tische sowie eine fest installierte Ausstattung mit Beamer bzw. Display und Lautsprechern. Durch die Anordnung der Tische können die Studierenden gut die Präsentationsfläche mit dem Lernvideo sehen und gleichzeitig jederzeit in den Austausch und Diskurs kommen.

Lernkino in einem Seminarraum
Abb. 3: Temporär zu einem Lernkino umfunktionierter Seminarraum (Foto: Monika Probst/ TH Köln)

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