Lernzentrum

Ein Lernzentrum ist ein eigenes Gebäude oder ein größerer Gebäudeteil auf dem Campus, der Studierenden unterschiedliche Lernräume bietet, in denen sie ungestört lernen oder in Teams arbeiten können. Ein Lernzentrum ermöglicht selbstorganisiertes Lernen, wobei sowohl verschiedene Lernaktivitäten und Sozialformen als auch eine vielfältige Nutzung digitaler Medien durch entsprechend ausgestattete Räume unterstützt werden.

Kontext

Studierende benötigen Raum zum Lernen. Sie lernen in stiller Einzelarbeit, in Zweiergruppen, kleinen und großen Teams. Sie benötigen Ruhe ebenso wie Raum für Diskurs und lebhaften Austausch. Insbesondere die Zeit zwischen formalen Veranstaltungen wie Vorlesungen oder Seminaren möchten viele Studierende sinnvoll nutzen. Der Campus ist darüber hinaus für die Studierenden nicht nur Lernort, sondern auch Lebensort, an dem sie ganze Tage verbringen. Lernen findet hier neben den offiziellen Lehrveranstaltungen auch in verabredeten Gruppenterminen und nach individuellen Zeitplänen statt. 

Problem

Soziale Lernformen, das Hineinwachsen in eine Fachkultur und der Aufbau von Lern- und Forschungsgemeinschaften werden erschwert, wenn die persönliche Begegnung nur im Rahmen formaler Lehrveranstaltungen stattfindet (Bachmann et al, 2014). Partizipation erfordert Raum für informelle Settings und häufige Begegnungen. Räume für selbstorganisiertes Lernen in unterschiedlichsten Konstellationen sind jedoch an vielen Hochschulen nur in geringer Anzahl vorhanden und liegen häufig weit über den Campus verstreut.

Rahmenbedingungen

  • Teamgröße und Aufgabenvielfalt: Studierende lernen allein, in kleinen oder größeren Teams. Sie arbeiten gemeinsam an Projekten, schreiben jeder für sich an Hausarbeiten und Abschlussarbeiten oder bereiten zu zweit ein Referat vor. Dabei geht es mal laut, mal leise zu.
  • Begegnung: Die zufällige Begegnung mit Studierenden der eigenen Fachrichtung sowie anderer Fachrichtungen bereichert den Hochschulalltag. Voraussetzung dafür sind gemeinsame Orte auf dem Campus, an die es alle Studierende regelmäßig (zum Lernen) zieht.
  • Verfügbarkeit: Es müssen genügend Lernplätze für alle Studierenden auf dem Campus vorhanden sein, damit diese dort auch zwischen Veranstaltungen verweilen und die Zeit produktiv nutzen können.
  • Fairness: Im Sinne der Chancengerechtigkeit muss eine Hochschule mit ihrem Campus auch Studierenden, die bei sich zu Hause keine (ruhigen) Lernmöglichkeiten haben, ein Angebot schaffen.
  • Integration in den Lehr- und Lernalltag: Lernorte für selbstgesteuertes Lernen sollten in den Lehr- und Lernalltag integriert sein, damit die Vor- und Nachbereitung einer Veranstaltung nahtlos geschieht und sich Studierende direkt im Anschluss an eine Veranstaltung treffen und austauschen können.
  • Unterstützung: Studierende benötigen bei der Nutzung von technischen Geräten in einem Lernraum ggf. Unterstützung und suchen nach einer Ansprechperson, die zeitnah weiterhelfen kann.
  • Hybrider Studienalltag: Die Verknüpfung von Präsenz- und Digitalangeboten gehört inzwischen zum Alltag an Hochschulen. Studierende nehmen auf dem Campus an Präsenzveranstaltungen teil und sind schon kurz darauf in einem Online-Seminar. Für den Zugriff auf digitale Lernmaterialien oder die Beteiligung an Online-Veranstaltungen benötigen Studierende auf dem Campus Räume für selbstorganisiertes Lernen in unterschiedlicher Größe mit einer passenden technischen Ausstattung.
  • Standortübergreifende Zusammenarbeit: Insbesondere für die Zusammenarbeit mit Studierenden anderer Standorte oder Hochschulen sowie externen Projektpartnern muss es ausreichend Räume geben, in denen sich Studierende allein oder als Gruppe ungestört in eine Online-Session einwählen können. 

Lösung

Ein Lernzentrum ist ein zentrales Gebäude oder ein Gebäudeteil mit vielen unterschiedlichen Lernräumen (sowohl hinsichtlich Größe als auch Ausstattung), die von den Studierenden gebucht und genutzt werden können. Studierende müssen nicht mehr viele, über den Campus verstreute, Räume ablaufen, um einen freien Lernort zu finden. Durch die Bündelung haben sie einen zentralen Ort, an dem sie gute Bedingungen für unterschiedliche Lernaktivitäten vorfinden und wo sie mit hoher Wahrscheinlichkeit immer auch andere Studierende antreffen. 

Details

Lernzentren sollen Orte der Begegnung sein. Wichtig ist deshalb eine zentrale Lage des Lernzentrums auf dem Campus, so dass es gut in den Campusalltag integriert ist. Die Größe des Lernzentrums richtet sich dabei nach der Anzahl der (Präsenz-)Studierenden am Hochschulstandort.

Häufig entstehen Lernzentren innerhalb von Bibliotheken oder in der Nähe zu Bibliotheken, da hier bereits Serviceangebote gut etabliert sind und es sich um tradierte Lernorte handelt. Neben dem stillen Lesesaal erweitern dann Projekträume oder Arbeitskabinen das Raumangebot. Die Projekträume sollten für unterschiedliche Gruppengrößen ausgelegt sein. Videokonferenzräume, Makergaragen und Makerspaces können gut in ein Lernzentrum integriert werden.

Für eine offene Atmosphäre ermöglichen Glasfenster oder Glastüren Einblicke in die Räume. Zum einen können so freie Räume identifiziert werden, zum anderen erhöht dies die Sicherheit, da es keine Aktivitäten hinter verschlossenen Türen gibt. Allerdings sollte die Einsehbarkeit nicht dazu führen, dass sich Studierende beobachtet fühlen – oder tatsächlich beobachtet werden. Milchglas auf Augenhöhe und transparentes Glas im oberen und unteren Türbereich kombinieren Privatsphäre und Offenheit.

In größeren oder mehrstöckigen Lernzentren finden sich häufig unterschiedliche Lautstärkebereiche. Im Eingangsbereich oder auf den unteren Etagen sind eher lautere Bereiche für Projektarbeit, offene Gespräche und Begegnung. Auf höheren Etagen oder in etwas abgelegeneren Bereichen des Lernzentrums finden sich Räume für stilles und fokussiertes Arbeiten. Dies können (Lese-)Säle mit Einzelarbeitsplätzen, kleine Lernkabinen oder Videokonferenzzellen sein.

Auch eine größere Lernlandschaft mit Lernnischen, Lernboxen, Lerninseln und flexiblem Mobiliar kann in ein Lernzentrum integriert werden. In der Regel handelt es sich aber vor allem um viele einzelne Räume unterschiedlicher Größe und Ausstattung, in denen einzelne Studierende, Tandems oder Kleingruppen arbeiten können.

Es sollte sowohl reservierbare als auch frei verfügbare Arbeitsbereiche geben. Zur Reservierung kann ein Raumbuchungssystem eingesetzt werden. Ein Service Desk oder Pförtner kann Studierende unterstützen und behält zudem die Aktivitäten im Lernzentrum im Auge. 

Stolpersteine

  • Viele aneinandergereihte Lernkabinen können wie Gefängniszellen oder Ställe anmuten. Um dies zu vermeiden und eine einladende Atmosphäre zu schaffen, sollten die Lernräume freundlich und hell gestaltet sein. Eine unterschiedliche Farbgestaltung und Möblierung der Räume kommt verschiedenen Anforderungen entgegen, schafft Abwechslung im Lernalltag und kann inspirierend wirken.
  • Wenn Studierende sich über mehrere Stunden, aber auch in Pausen zwischen Lehrveranstaltungen, im Lernzentrum aufhalten, entsteht der Bedarf, zwischendurch etwas zu Essen. Hier sollten klare, möglichst einheitliche Regeln vereinbart und für alle gut sichtbar kommuniziert werden, wo Essen und Trinken erlaubt ist. Auch ein Cafébereich kann in das Lernzentrum integriert werden, der zum Essen, Trinken und Verweilen einlädt. Getränke- und Snackautomaten können hier ein attraktives, jederzeit verfügbares Angebot darstellen.
  • Durch die selbstorganisierte Nutzung kommt es schneller zur Verschmutzung der Räume. Ausreichend Mülleimer (z.B. auch zusätzliche Container für Pizzaverpackungen, die bei langen Lernabenden übrig bleiben) und regelmäßige Kontrollen des Raumzustandes sind notwendig.
  • Die Planung der Größe und Raumkapazitäten des Lernzentrums ist eine große Herausforderung:  Ist das Lernzentrum zu klein, wird es schnell überfüllt, laut und unattraktiv. Ist das Lernzentrum zu groß, wirkt es ungemütlich und die Chance, einander zu begegnen, verringert sich. Sinnvoll kann hier ein Ausbau des Angebots in Etappen sein, mit begleitender Erhebung von Nutzungsdaten sowie der Bedarfe der Studierenden.

Vorteile

  • Selbstorganisiertes Lernen auf dem Campus wird durch die Einrichtung eines Lernzentrums gefördert. Der Campus gewinnt an Attraktivität, Studierende kommen häufiger auf den Campus und nehmen dadurch gegebenenfalls auch häufiger an Lehrveranstaltungen teil.
  • Das Lernzentrum bietet einen geschützten Lernraum für alle. Studierende, die zu Hause zu wenig Platz oder keine Ruhe haben, können hier lernen. Bildungsgerechtigkeit wird dadurch unterstützt.
  • Viele hybride Lehr- und Lernszenarien sind überhaupt erst möglich, wenn es genügend Räume gibt, in denen Studierende ungestört an Online-Sitzungen teilnehmen können – alleine oder in der Gruppe.
  • Learning Commons, wie Lernzentren in englischsprachigen Ländern genannt werden, sind öffentliche, gemeinschaftliche Räume. Lernraum wird als ein öffentliches Gut für Studierende wertgeschätzt. 

Nachteile

  • Das Lernzentrum kann in Konkurrenz zu dezentralen, fachspezifischen Lernräumen und Laboren stehen.
  • Insbesondere in großen Lernzentren können schnell „dunkle Ecken“ entstehen, die ein Sicherheitsproblem darstellen.
  • Die Wartung der Räume ist kostspielig und aufwändig, da Studierende unbeaufsichtigt in den Räumen sind und diese oft ohne böse Absicht nicht in einem ordentlichen Zustand hinterlassen (z.B. geänderte Verkabelung oder Umstellen von Möbeln). Aber auch mutwillige Beschädigungen kommen häufiger vor.
  • Für einen gut koordinierten Betrieb des Lernzentrums ist zusätzliche Infrastruktur erforderlich, wie z.B. ein Raumbuchungssystem oder Service Desk mit entsprechendem Personal. 

Beispiele

Beispiele für Lernzentren, die von Hochschulbibliotheken betrieben werden, finden sich z.B. an der Hochschule Reutlingen, der Hochschule Darmstadt oder auf dem Bildungscampus Heilbronn. Die Bibliothek des Bildungscampus Heilbronn ist ein Lernzentrum, das sich über fünf Stockwerke verteilt. Die Bibliothek wird von mehreren Hochschulen gemeinsam genutzt. Auf der ersten Ebene gibt es eine Lernlandschaft („Lernwelt“), auf den mittleren Etagen unterschiedliche Einzel- und Gruppenarbeitsplätze und auf der obersten Etage sind Stillarbeitsplätze vorgesehen. So verfügt das Gebäude über mehrere Geräuschzonen. Die Lernlandschaft auf der ersten Ebene kann in einem virtuellen Rundgang erkundet werden.

Die Georg-August-Universität Göttingen betreibt ein großes Lern- und Studiengebäude mit unterschiedlichen Raumtypen für Einzelarbeit, kleine und große Teams. Es gibt mehrere hundert Einzel- und Gruppenarbeitsplätze für Studierende. Neben unterschiedlicher Ausstattung (z. B. mit interaktiven Whiteboards) gibt es verschiedene Bereiche, u.a. ein Vortragsraum, Pausen und Ruheräume. Die über ein Belegungssystem online buchbaren Arbeitsplätze verteilen sich über mehrere Etagen. Es gibt eine Rezeption und einen Helpdesk. Auch ein Eltern-Kind-Bereich mit Angeboten zur Kinderbetreuung ist vorhanden. 

Lernzentrum an der Univ. Göttingen
Außenansicht und Arbeitsräume des Lernzentrums an der Univ. Göttingen (Fotos: Christian Kohls)

Die Frankfurt University of Applied Sciences betreibt ein Selbstlernzentrum mit Einzelarbeitsplätzen und Gruppenräumen. Es gibt verschiedene Serviceangebote, z.B. die Ausleihe von Geräten (Medienwagen, Projektoren, Kabel), sowie Beratungs- und Unterstützungsangebote. Das Zentrum befindet sich auf einer Etage eines größeren Hochschulgebäudes. 

Der James McCune Smith Learning Hub der Universität Glasgow bietet Lernplätze für mehr als 2500 Studierende. Dazu gehören moderne Hörsäle, Seminarräume, Einzel- und Gruppenarbeitsplätze sowie Lernlandschaften. Ein Campus-Tour-Video stellt das Gebäude vor. Einblicke in das Learning Hub sowie Skizzen der räumlichen Strukturen bietet außerdem die Projektwebseite des ausführenden Architekturbüros.

Das Smith Campus Center der Harvard Universität ist ein Lernzentrum für verschiedene Lernaktivitäten. Neben einer Lernlandschaft finden Studierende dort Arbeitsplätze und Treffpunkte für Gruppenarbeit. Das Zentrum verfügt über mehrere Ebenen und integriert mehrere Bistros und Restaurants. Mit dem Campus Center stellt die Universität nicht nur Studierenden und Hochschulmitarbeitenden vielfältige Lernräume zur Verfügung sondern öffnet sich durch die Bereitstellung von Räumen für soziale und kulturelle Aktivitäten auch für externe Besucherinnen und Besucher des Campus.