Lernecke

Eine Lernecke bietet einen geschützten Lernbereich, der gleichzeitig zu zwei Seiten hin offen und zu zwei Seiten hin geschlossen ist. Durch die geschützte Atmosphäre können Studierende in Ruhe arbeiten und miteinander diskutieren, ohne andere zu stören. Bei der Arbeit mit mobilen Endgeräten sind Studierende vor unliebsamen Blicken auf den Bildschirm geschützt. Gleichzeitig sind sie Teil der Umgebung: Lernende können einander sehen, Dozierende im Raum können schnell kontaktiert werden.

Kontext

Studierende benötigen Gruppenarbeitsflächen für flexible Gruppengrößen und fließende Sichtbarkeitsgrade innerhalb ihrer Lernumgebung. Je nach Lernaktivität haben Studierende auf dem Campus ein unterschiedliches Bedürfnis nach Privatsphäre. Einerseits möchte man Einblicke in die eigenen Lernaktivitäten geben und Teil einer größeren Lerngemeinschaft sein. Andererseits möchten Studierende ihre Unterlagen und Medien schützen. Ecken lösen diesen Konflikt auf, da sie sowohl geschlossene als auch offene Seiten haben.

Problem

Ecken sind optimale Lernorte. Doch die meisten Räume haben nur vier Ecken und diese werden meist schon für andere Zwecke genutzt.

Rahmenbedingungen

  • Anziehungskraft: Studierende möchten sich beim Lernen wohlfühlen. Ecken besitzen in allen Räumen eine starke Anziehungskraft. Sie erlauben es, aus einer geschützten Position heraus den Raum zu überblicken, wodurch sie gleichzeitig eine angenehme, vertrauensvolle Geschlossenheit und eine offene, sichere Atmosphäre ermöglichen.
  • Offen und geschützt: Lernende möchten gleichzeitig in einem geschützten Bereich mit Privatsphäre und Teil einer größeren Lerngemeinschaft mit offener Arbeitsatmosphäre sein. Hinter verschlossenen Türen kommt man nicht in den Austausch mit anderen. Doch in vollkommen offenen Bereichen ist es laut und Studierende können nicht ungestört und hochkonzentriert arbeiten.
  • Geräuschdämpfung: Studierende möchten nicht von Umgebungsgeräuschen gestört werden. Gleichzeitig möchten sie selbst bei normaler Lautstärke kommunizieren können, ohne andere zu stören. Hierzu muss es im Raum Möglichkeiten geben, geräuschabsorbierende Elemente, wie Bilder, Akustikelemente oder Regale einzusetzen.
  • Temporäre Nutzungsexklusivität: Studierende benötigen Bereiche, die sie für bestimmte Zeiträume als ihren Arbeitsbereich deklarieren können und der von anderen nicht einfach mitgenutzt werden soll.
  • Einsehbarkeit: Durch das Ausbreiten von Arbeitsmaterialien, das Schauen auf den Bildschirm oder die aktive Diskussion wird signalisiert: hier wird aktiv gelernt. Für andere soll ersichtlich sein, was gerade geschieht.
  • Inspiration: Studierende können durch ihre Lernaktivitäten andere inspirieren und sich selbst von anderen inspirieren lassen. Dazu müssen sich Studierende über die Schulter blicken können, doch jede Lerngruppe sollte für sich entscheiden können, wie viel Einblicke sie gewähren möchte.

Lösung

In Räumen, die für mehrere Lerngruppen ausgelegt sind (z.B. ein Lernzentrum oder eine Lernarena), sollten u.a. Lernecken entstehen, die für unterschiedliche Gruppengrößen ausgelegt sind. Eine Lernecke besteht mindestens aus einem Arbeitstisch und mehreren Stühlen oder einer Bank, die sich in der Ecke befinden. Dabei sind die Sitzlehnen an den zwei Rückwänden der Ecke ausgerichtet, so dass die Blickrichtung der Sitze in den Raum hinein ist. Innerhalb eines Raumes können zusätzliche Ecken geschaffen werden, indem Trennwände oder zusätzliche Verwinkelungen eingebaut werden.

Details

Entlang der Rückwände sollten jeweils 2-3 Sitzgelegenheiten geschaffen werden. Für jede Sitzgelegenheit sollte es einen eigenen Stromanschluss geben. Gerade an den Ecken eines Raumes gibt es bereits oft Steckdosen. Neben den Sitzgelegenheiten und dem Arbeitstisch kann es weitere Ablagefläche geben, z.B. um Lernmaterialien beiseite oder einen Rucksack abzulegen.

Durch die Ausrichtung der Blickrichtung in den Raum hinein können Studierende auf ihren Bildschirm schauen, ohne dass andere im Raum den Bildschirm sehen können. Gleichzeitig können die Studierenden von anderen gesehen werden und sie können auch andere Studierende oder Lerngruppen sehen. Ebenso kann es auch Inhalte geben, die nicht in den privaten Arbeitsbereich einzelner Studierender fallen und die ohne Einschränkungen offen dargestellt werden können. Hierfür können die Wände an der Ecke optional mit Medien ausgestattet werden, z.B. ein Display oder Whiteboard, mit dem die Gruppe gemeinsam arbeiten kann. Es entsteht ein fließender, von der Lerngruppe gesteuerter Übergang zwischen privaten, in der Gruppe geteilten und öffentlich sichtbaren Inhalten.

Durch verschiebbare Stellwände können auch im Raum verteilte Lerninseln zu Lernecken werden. Beim Aufstellen von Lernboxen können ebenfalls bewusst Lücken gelassen werden, um neue Ecken im Raum entstehen zu lassen.
Im Gegensatz zu Lernnischen oder Lernboxen sind keine baulichen Maßnahmen erforderlich, wenn vorhandene Raumecken genutzt werden. Eine Lernecke zeichnet sich zudem durch flexible Gruppengrößen aus: Gegenüber der Ecke lassen sich weitere Stühle platzieren, falls die Lerngruppe größer wird. In der Regel sollte aber für eine kleine Lerngruppe jeder einen Ecksitzplatz erhalten, um nicht an in die Wand zu starren, sondern in den offenen Raum zu schauen.

Stolpersteine

  • Zusätzliche Wände oder bauliche Einschübe können weitere Ecken im Raum schaffen. Dabei sollte der Raum jedoch nicht zu unruhig oder zu dunkel werden. Eine angenehme Atmosphäre schaffen hierbei u.a. eine gute, teils indirekte Beleuchtung sowie bspw. Topfpflanzen, die zusätzliche Wandvorsprünge oder Stellwände einrahmen.
  • Durch fest verbaute Bänke kann die Barrierefreiheit reduziert werden. Hier ist darauf zu achten, dass z.B. Lernende im Rollstuhl auch gemütlich in einer Ecke sitzen können und nicht nur die unattraktiven Außenplätze erhalten.
  • Lernecken können eher für formale Settings (z.B. Arbeiten an einer Aufgabe) oder informelle Settings (z.B. Gedankenaustausch) genutzt werden. Sitzhöhe und Tischhöhe geben der Lernecke dabei einen individuellen Charakter. Ein niedriger Tisch erhöht den informellen Charakter, ist aber zum Arbeiten mit dem Laptop eher ungeeignet. Falls möglich kann der Arbeitstisch durch einen kleinen Beistelltisch ergänzt werden.
  • Damit Studierende die Lernecken produktiv nutzen können, muss die Arbeitsfläche groß genug sein. Da Sitzplätze vor allem an den geschlossenen und nicht an den offenen Seiten eingerichtet werden sollten, ist darauf zu achten, dass der Abstand zwischen den einzelnen Plätzen nicht zu groß wird. Sonst können sich die Teilnehmenden nicht mehr in angenehmer Lautstärke unterhalten.

Vorteile

  • Lernecken sorgen für einen lebendigen Campus. Studierende sind Teil des Geschehens und können das Geschehen beobachten, sehen und gesehen werden wie in einem Café und trotzdem in Ruhe arbeiten.
  • Lernecken bieten Stauraum und Platz, um eigene Lernmaterialen auszubreiten. Rucksäcke oder Jacken können in einer Ecke gut untergebracht werden, ohne für andere zu Stolperfallen zu werden.
  • Ecken geben Studierenden das Gefühl von Geborgenheit und Privatsphäre.
  • Zusätzliche Lernmedien können in die Lernecken integriert werden, z.B. Displays oder Whiteboards.
  • Lernecken sind sehr gut geeignet, um kollaborativ zu schreiben: Studierende sitzen nebeneinander an ihrem eigenen Laptop und bearbeiten zeitgleich ein Dokument.

Nachteile

  • Dozierende oder andere Lernende können sich in Lernecken nicht so leicht dazusetzen wie bei freistehenden Tischen oder Lerninseln.
  • Die Anzahl der Ecken in einem Raum ist begrenzt, es müssen gegebenenfalls künstlich zusätzliche Ecken geschaffen werden.
  • Die Aufteilung des Raumes ist nicht sehr flexibel, die Nutzungsart der Ecken ist festgelegt.
  • Aufgrund der begrenzten Anzahl der Ecken in einem Raum, wird die Nutzung immer eine Exklusivität besitzen und übervorteilt eventuell andere Gruppen, die an weniger attraktiven Gruppenarbeitsplätzen sitzen.

Beispiele

Lernecke an der HAW Hamburg
Abb. 1: Lernecke an der HAW Hamburg
Lernecke am MIT
Abb. 2: Lernecke am MIT (Foto: Christian Kohls)

Wie Lernecken auch mitten auf einer größeren Raumfläche durch geschickt platzierte Trennelemente hergestellt werden können, zeigt das in Abbildung 1 dargestellte Beispiel von der HAW Hamburg. Durch hohe, mobile Trennwände und bepflanzte Raumteiler wird eine geschützte "Ecke" geschaffen. Bei Bedarf kann ein großer rollbarer Bildschirm an die Lernecke herangeschoben werden.

Abbildung 2 zeigt ebenfalls eine künstlich hergestellte Lernecke in einem Durchgangsbereich auf dem Campus des Massachusetts Institute of Technology (MIT), wobei die hochgezogenen Rückenlehnen der Sitzmöbel eine Ecke bilden.